Die letzten Umfragen vor den Landtagswahlen: Sind Sachsen und Thüringen unregierbar?

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An Bayerns Grenzen wird am Wochenende gewählt: Es sind schicksalshafte Wahlen, die die politische Lage weit über die Landesgrenzen von Sachsen und Thüringen beeinflussen könnten.

Am Sonntag, dem 1. September 2024, wird in Sachsen und Thüringen gewählt. "Es ist eine Schicksalswahl, hier geht es um alles", sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer unlängst bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden.

Und damit könnte er Recht behalten: Nicht nur, was seine eigene Zukunft angeht. Die Wahlen in Thüringen und Sachsen könnten über die Landesgrenzen hinaus große Auswirkungen haben und die Politik in Deutschland die nächsten Monate bestimmen. Ein Blick über die Grenze Bayerns.

Enger Kampf zwischen CDU und AfD - Ampelparteien drohen aus Landtag zu fliegen

Zunächst ein Blick nach Sachsen: Bei der letzten Landtagswahl 2019 konnte die CDU mit 32,1 Prozent die AfD (27,5 Prozent) zwar noch auf Distanz halten. Aber inzwischen schlug die AfD die Union in Sachsen bei zwei Bundestagswahlen und einer Europawahl schon drei Mal. Umfragen deuten jetzt auf einen knappen Ausgang hin. Mal hat die CDU die Nase vorn, mal die AfD, die Anspruch auf die Macht erhebt. In der letzten Umfrage steht die CDU von Ministerpräsident Kretschmer 2 Prozentpunkte vor der AfD. Die CDU schließt ein Bündnis mit der AfD kategorisch aus. Der Verfassungsschutz in Sachsen stuft die AfD in dem Freistaat als gesichert rechtsextrem ein. 

"Der Ausgang ist so offen wie noch nie", sagt der Leipziger Politikwissenschaftler Johannes Kiess. Das verschärfe auch den Wahlkampf. "Grüne und Linke könnten auf Direktmandate angewiesen sein, um überhaupt wieder einzuziehen. Es gibt so viele Unbekannte, man kann wirklich nicht sagen, wie die Wahl ausgeht."

Tatsächlich landeten SPD und Grüne in Wahlumfragen zuletzt nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde vorbei. Die Linken lagen mit vier Prozent sogar darunter und wären nach der sächsischen Grundmandatsklausel nur noch im Parlament vertreten, wenn sie zwei Wahlkreise gewinnen. Auch die Freien Wähler kamen zuletzt auf vier Prozent und machen sich Hoffnung. Für die FDP scheint es dagegen wieder nicht zu reichen. 

Mögliche Koalitionen: Minderheitsregierung in Sachsen?

Eine Regierungsbildung ist in Sachsen deshalb schwierig: Sollten sich die letzten Umfrageergebnisse bewahrheiten, könnte die AfD zwar mit der CDU oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht regieren - beide Parteien wollen dies jedoch nicht. Rein rechnerisch blieb dann Stand jetzt nur eine Regierung von CDU und BSW - eine kaum vorstellbare Zusammenarbeit. 

Kiess bezweifelt, ob das BSW überhaupt ernsthaft an einer Regierungsbeteiligung interessiert ist, oder "ob Frau Wagenknecht spielt und mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr pokert. Das ist wohl ihr größeres Interesse." Was das für Koalitionsverhandlungen in Sachsen bedeute, ließe sich aber nur sehr schwer abschätzen. 

Für das aktuelle Regierungsbündnis aus CDU, SPD und Grünen dürfte es sehr eng werden. Nach den letzten Umfragen fehlen den drei Parteien 5 Sitze zu einer regierungsfähigen Koalition (ab 61 Sitzen). Läuft es also auf eine Minderheitsregierung hinaus? Anzeichen dafür sieht man zumindest bei den Grünen: "Wir beobachten, dass CDU und SPD eine Minderheitsregierung vorbereiten", sagt Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert. 

AfD in Thüringen klar vorne - Ampel fast draußen

In Thüringen kennt man sich Minderheitsregierungen aus: Die Linke von Bodo Ramelow regiert zusammen mit SPD und Grünen seit 2020 in einer Minderheitsregierung. Die Linke hatte nach dem Skandal um FDP-Kandidat und Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich durch Duldung der CDU Ramelow eine zweite Amtszeit als Thüringer Ministerpräsident beschert. Doch diesmal könnte es auch dafür eng werden.

Von seinen zwei bisherigen Koalitionspartner scheinen es die Grünen ziemlich sicher nicht in den Landtag zu schaffen. Und selbst für die SPD könnte es eng werden: Zuletzt rangierte die Partei von Bundeskanzler Olaf Scholz bei mageren 6 Prozent.

Experten befürchten zudem, dass der Messerangriff bei einem Stadtfest in Solingen mit drei Toten und mehreren Verletzten der sowieso schon sehr starken AfD unter dem rechtsextremen Spitzenkandidaten Björn Höcke nochmal Rückenwind gibt. Zumindest versucht die Partei offensiv, das Thema für ihren Wahlkampf auszunutzen. 

Koalition in Thüringen? Eine fast unmögliche Aufgabe

Thüringen könnte eine schwierige Regierungsperiode bevorstehen: Die AfD wird wohl mit Abstand stärkste Partei und könnte sich theoretisch den Regierungspartner aussuchen. Allein: Niemand will mit der AfD zusammenarbeiten. Das ficht Höcke aber nicht an. "Wir wollen regieren", sagt der 52-Jährige, der wegen der Nutzung einer Nazi-Parole vor einigen Wochen in erster Instanz zweimal zu Geldstrafen verurteilt wurde. Und auch ohne Regierungsbeteiligung könnte der Einfluss der AfD in Thüringen sehr groß werden:  Mit gut einem Drittel der Sitze könnte sie im Landtag nicht nur die Wahl von Richtern blockieren. 

Einzig realistische Koalition könnte ein Bündnis aus der von Mario Voigt geführten CDU und dem von der ehemaligen Linken-Politikerin Katja Wolf geführten BSW sein. Wobei "realistisch" hier immer noch sehr kompliziert bedeutet. Denn bei einigen Themen stehen sich die beiden Partei unversöhnlich gegenüber. Und: Es ist noch nicht ausgeschlossen, dass das BSW an der CDU sogar noch vorbeizieht, was eine Regierungsbildung weiter erschweren könnte.

So wird eine weitere Minderheitsregierung immer wahrscheinlicher. Und damit eine Fortsetzung einer Politik des Stillstandes und gegenseitigen Blockierens, die das Vertrauen der Thüringer in die Politik in den letzten Jahren weiter untergraben hat. Schon jetzt ist klar, dass Thüringen vor einer Schicksalswahl steht, die die politischen Verhältnisse in dem kleinen Freistaat mit 2,1 Millionen Menschen grundlegend ändern könnte - mit bisher noch nie praktizierten Koalitionen oder sogar einer drohenden Unregierbarkeit. rowa/mit dpa

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