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Bundesrat macht Weg für Krankenhausreform frei - davor kommt es zum Eklat


Autor: Alexander Milesevic, Agentur dpa

Berlin, Freitag, 22. November 2024

Bevor Minister Lauterbach sein Prestigeprojekt trotz des Bruchs der Ampel-Koalition ins Ziel bringt, herrscht im Bundesrat Aufregung. Im Streit entlässt Brandenburgs Regierungschef seine Gesundheitsministerin.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht während der 1049. Plenarsitzung des Bundesrates. Thema ist unter anderem die Krankenhausreform.


Update vom 22.11.2024, 13.47 Uhr: Entscheidung zu Krankenhausreform gefallen

Vor der Entscheidung über die Krankenhausreform im Bundesrat hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) entlassen. Sie sei von ihren Amtsgeschäften entbunden, verkündete die Staatskanzlei. Informationen der Deutschen Presse-Agentur zufolge soll in Streit über die Reform zur Entlassung geführt haben.

Nonnenmacher wäre ohnehin in wenigen Tagen ausgeschieden, da SPD und BSW momentan über eine neue Regierungskoalition verhandeln. Die amtierende Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen ist nur noch geschäftsführend im Amt. Seit Beginn ihrer Amtszeit 2019 hat Nonnemacher besonders in der Corona-Pandemie und bei der Schweinepest viel krisenmanagement betrieben.

Bereits mehrfach gerieten Nonnemacher und Woidke inhaltlich aneinander. Während der Corona-Pandemie verlegte Woidke vorübergehend die Impfzuständigkeiten von Nonnemachers Ministerium ins Innenressort. Im Bundesrat warnte die Grünen-Politikerin vor dem vorläufigen Aus der umstrittenen Krankenhausreform. "Wenn eine neue Bundesregierung mit der Krankenhausreform von vorn anfängt, bekommen wir eine neue Zeit der Unsicherheit", hatte sie kürzlich gesagt.

Mehrheit für Vermittlungsausschuss zu Klinikreform verfehlt

Die Reform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) soll den finanziellen Druck auf die Kliniken verringern und mehr Spezialisierung durchsetzen. Die Länderkammer machte das noch von der Ampel-Koalition im Bundestag verabschiedete Gesetz für eine grundlegende Neuordnung der Kliniken in Deutschland passieren. 

Die Länderkammer ließ das von der Ampel-Koalition im Bundestag verabschiedete Gesetz für eine grundlegende Neuordnung der Kliniken in Deutschland passieren. Eine Anrufung des gemeinsamen Vermittlungsausschusses mit dem Bundestag erhielt nicht die nötige Mehrheit. Die Reform kann somit umgesetzt werden. 

Im Wesentlichen soll das derzeitige System der Vergütung durch Fallpauschalen geändert werden. In Zukunft sollen Kliniken 60 Prozent der Vergütung allein für das Vorhalten bestimmter Angebote bekommen. Das soll Anreize zu immer mehr Fällen und medizinisch teils nicht optimalen Eingriffen beseitigen. 

Lauterbach appellierte an die Länder

Grundlage für die Finanzierung durch die Krankenkassen sollen neue "Leistungsgruppen" sein, die Klinik-Behandlungen genauer beschreiben und bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben sicherstellen sollen – beispielsweise beim Fachpersonal oder der Behandlungserfahrung. Zudem ist ein milliardenschwerer "Transformationsfonds" geplant, um die Neuorganisation finanziell zu unterstützen.

In der Sitzung der Länderkammer gab es eine kontroverse Debatte. Lauterbach appellierte kurz vor der Abstimmung an die Länder, das Gesetz zu verabschieden. Es gehe um "die einmalige Chance, Zehntausenden Menschen pro Jahr eine bessere Versorgung zukommen zu lassen". Bei möglichen Änderungen müsse man sich ehrlich machen: Dabei gehe es um den Kern der Reform. Wenn diese Änderungen vorgenommen würden, brauche man die Reform nicht mehr.

Bei der Abstimmung wurde das Votum Thüringens nicht mitgezählt, da das Land nicht einheitlich abstimmte, wie Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger feststellte.

Mehrere Länder meldeten Kritikpunkte an 

Der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU), meinte: "Wir brauchen diese Reform, aber es gibt nach wie vor wenige Punkte, die unbedingt nachgebessert werden müssen." Sonst würde das Gesetz zu Verwerfungen in der Krankenhauslandschaft führen. Konkret gehe es um Änderungen bei Vorgaben zu Fachärzten, die in ländlichen Regionen derzeit einfach nicht erreichbar seien. Es sei "mehr Beinfreiheit" für die Länder bei der Umsetzung erforderlich.

Bayern hatte den Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses gestellt. Ressortchefin Judith Gerlach (CSU) betonte: "Unser Ziel ist es, zu dringend notwendigen Nachbesserungen zumindest in zentralen Punkten des Gesetzes zu kommen." Sie wies auch auf die akute Finanznot bei vielen Kliniken hin. "Der Bund hätte längst ein Soforthilfeprogramm vorlegen müssen."

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), warnte, dass bestehende Versorgungsungleichheiten zwischen Ost und West nicht verschärft werden dürften. Für Baden-Württemberg kritisierte der Bevollmächtigte beim Bund, Rudi Hoogvliet (Grüne), dass man die Folgen der Reform weiterhin nicht seriös abschätzen könne. Mit einem Vermittlungsausschuss solle das Vorhaben weder verzögert noch verhindert werden. Die Vorsitzende der Länder-Gesundheitsminister, Kerstin von der Decken (CDU) aus Schleswig-Holstein, erklärte, dies biete wahrscheinlich die letzte Möglichkeit, grobe Fehler zu korrigieren.

Andere Länder warben für Zustimmung

Der rheinland-pfälzische Minister Clemens Hoch (SPD) warb hingegen um Unterstützung für die Reform und mahnte, das Ergebnis eines zweijährigen Arbeitsprozesses nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Benötigt würden auch die kurzfristigen finanziellen Effekte des Gesetzes. Der niedersächsische Minister Andreas Philippi (SPD) warnte, wenn die Reform in den Vermittlungsausschuss geschoben werde, dann sei sie "politisch tot".

Das Gesetz soll am 1. Januar 2025 in Kraft treten. Die neue Struktur wird jedoch erst über mehrere Jahre bis 2029 umgesetzt. Für die Patientinnen und Patienten wird sie also nicht sofort spürbar sein. Das Netz der 1.700 Krankenhäuser dürfte damit auch kleiner werden. Viele Krankenhäuser kämpfen schon seit längerem mit finanziellen Schwierigkeiten, nicht belegten Betten und Personalmangel. Die Länder und die Klinikbranche hatten zudem eine Überbrückungsfinanzierung für die Krankenhäuser bis zum Greifen der Reform gefordert.

Ursprungsmeldung vom 22.11.2024, 9.36 Uhr: 

Nach fast zwei Jahren intensiver Diskussionen um eine umfassende Krankenhausreform steht Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun an einem entscheidenden Punkt: Der Bundesrat berät am Freitag (22. November 2024) über die Umsetzung des noch von der Ampel-Koalition beschlossenen Gesetzes. Ob es doch erst in eine Warteschleife geht und wie dann die weiteren Aussichten sind, ist ungewiss. Der Minister spricht von nicht weniger als einer "Revolution". Die Ziele sind eine Verringerung des finanziellen Drucks auf die Kliniken und eine stärkere Spezialisierung bei komplizierten Eingriffen, um den Patienten eine bessere Versorgung zu bieten. Doch trotz allem gibt es bis zuletzt erhebliche Widerstände gegen die Pläne.

Für Lauterbach geht es darum, das vom Bundestag verabschiedete Gesetz über den letzten Hürden zu bringen. Es ist in der Länderkammer nicht zustimmungspflichtig, jedoch könnte der Bundesrat den Vermittlungsausschuss mit dem Parlament anrufen und vorübergehend die Umsetzung stoppen. Dabei könnte versucht werden, einen Kompromiss zu erreichen. Allerdings sind die Vorzeichen wegen der unklaren Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und den anstehenden Neuwahlen am 23. Februar - bei denen Olaf Scholz als Kanzlerkanidat der SPD antreten wird - nicht ideal. Lauterbach warnt eindringlich vor dem Scheitern: "Ich glaube, dass wir diese sehr wichtige Reform durchbringen können, müssen und auch werden."

Deutschland hat im Vergleich zu benachbarten Ländern nach der Ansicht von Experten relativ viele Kliniken, und es plagen den Sektor schon seit Jahren anhaltende Probleme: finanzielle Engpässe, Personalmangel, und laut Gesundheitsministerium sind ein Drittel der 480.000 Betten nicht belegt. Lauterbach sieht in der Reform eine Art Notbremse: Ohne Änderungen drohten Klinik-Insolvenzen und nicht optimale Behandlungen. Klar sei, dass Deutschland nicht den medizinischen Bedarf und nicht die personellen Ressourcen für 1.700 Krankenhäuser aufbringen könne. Ziel sei deshalb, den wirklich benötigten Kliniken eine wirtschaftlich tragfähige Basis zu bieten.

Was sieht die Reform beim Geld vor?

Das vor zwei Jahrzehnten eingeführte Vergütungssystem mit Pauschalen pro Behandlungsfall soll grundlegend geändert werden. Denn es führe dem Bundesgesundheitsminister zufolge bisher zu einem "Hamsterrad-Effekt", möglichst viele Fälle auf möglichst kostengünstige Art zu erreichen oder sogar zu Anreizen für medizinisch unnötige Eingriffe. Zukünftig soll ein fester Anteil von 60 Prozent der Vergütung bereits gewährt werden, wenn Kliniken eine Basisausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte Leistungen bereithalten. Zusätzlich sollen Kliniken mit Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Intensiv- und Unfallmedizin, speziellen Schlaganfall-Stationen und Notfallversorgung Extrazuschläge erhalten.

Die neue feste Vergütung soll eine Klinik für "Leistungsgruppen" erhalten, die vom Land zugewiesen werden. Diese Gruppen spiegeln medizinische Leistungen präziser wider als grob benannte Fachabteilungen. Ausgangspunkt sollen 65 Gruppen sein, die maßgeblich auf einem Modell aus Nordrhein-Westfalen basieren, etwa "OPs an der Wirbelsäule" oder "Leukämie". Zu jeder Gruppe werden einheitliche Qualitätsvorgaben für Fachpersonal und Ausstattung mit definiert. Lauterbach betonte wiederholt, keine Abstriche zu machen. Dies soll sicherstellen, dass Krebsbehandlungen in Kliniken mit entsprechenden Spezialkenntnissen stattfinden.

Steuern sollen den Wandel die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder. Sie könnten etwa darüber entscheiden, ob es innerhalb einer Region zwei oder vier Standorte für Wirbelsäulenchirurgie geben solle, erklärte Lauterbach. Die neue feste Vergütung soll auch die Existenz kleinerer Kliniken in ländlichen Gebieten weiter sichern. Die Länder sollen Standorte zusätzlich zu "sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen" erklären können, die "wohnortnah" stationäre Behandlungen mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden. Wo es an Fach- und Hausarztpraxen mangelt, sollen Patienten künftig für solche Behandlungen auch ins Krankenhaus gehen können. Klinikstandorte könnten vor allem in großen westdeutschen Städten wegfallen.

Sind Finanzhilfen geplant?

Das Gesetz sieht zudem finanzielle Unterstützung vor. So sollen Kostensteigerungen der Kliniken, darunter die Tariflöhne aller Beschäftigten, ab diesem Jahr nicht mehr nur zur Hälfte, sondern vollständig von den Krankenkassen getragen werden. Um den Übergang zu den neuen Strukturen zu fördern, soll zudem ein "Transformationsfonds" eingerichtet werden, der von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden Euro bereitstellen könnte – vorausgesetzt, die Länder beteiligen sich in gleicher Höhe. Die Mittel sollen aus den gesetzlichen Krankenkassen und entsprechend ihrer Beteiligung an den Behandlungen, den privaten Krankenversicherungen kommen.

Im Entwurf weist das Ministerium auf "Effizienzgewinne und Minderausgaben" durch eine besser koordinierte und hochwertigere Versorgung hin. Die jährlichen Ausgaben der gesetzlichen Kassen für Kliniken stiegen zuletzt auf 94 Milliarden Euro, was ein Drittel der gesamten Leistungsausgaben ausmacht. Die Krankenkassen unterstützen eine stärkere Spezialisierung für mehr Qualität, warnen jedoch vor einer weiteren "Kostenlawine" angesichts der ohnehin angespannten Finanzlage. Die Kliniken und die Länder verlangen schnellere finanzielle Hilfen, da einige Kliniken die Reform, die erst in einigen Jahren greifen würde, sonst nicht erreichen könnten.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: "Jetzt Verantwortung zu übernehmen, bedeutet, dieses Gesetz im Bundesrat nicht aufzuhalten." Es möge manchem nicht als perfekt erscheinen. "Aber es schafft zweifelsohne die lebensnotwendigen Voraussetzungen, damit viele Krankenhäuser überhaupt weiter existieren können – und damit die Garantie für Patientinnen und Patienten, zukünftig die richtige Versorgung zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu finden."

Krankenkassen für grünes Licht 

Zusätzlich riefen die gesetzlichen Krankenkassen dazu auf, die Reform zuzulassen. Stefanie Stoff-Ahnis, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes, erklärte: "Wir können es uns nicht erlauben, auf die 'perfekte Reform' zu warten." Ein "Weiter-so" ohne eine Perspektive für eine bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten wäre ein fatales Signal. In der folgenden Wahlperiode müsse jedoch angestrebt werden, die Reform zu verbessern. Insbesondere müsse aus Sicht der Patienten ausgeschlossen werden, dass im ländlichen Raum geringere Qualitätsmaßstäbe angelegt werden dürfen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warb noch kurz vor der Abstimmung für ein Anrufen des Vermittlungsausschusses. "Wir wollen und brauchen eine Reform, aber eine richtige, die die Versorgung verbessert und nicht absehbar verschlechtert", sagte Verbandschef Gerald Gaß. Gegenüber der Rheinischen Post erklärte er: "Wenn sowohl Bund als auch Länder guten Willens sind, kann diese Reform gerettet und zu einem besseren Gesetz gemacht werden."

Auch der Deutsche Landkreistag forderte die Länder zum Anrufen des Vermittlungsausschusses auf. "Anders kann es nicht gelingen, unsere Krankenhäuser zu stabilisieren", sagte Präsident Achim Brötel der dpa. In den vergangenen zwei Jahren hätten bereits 48 Kliniken Insolvenz anmelden müssen. "So wird es auch weitergehen, wenn der Bund jetzt nicht handelt." Dringend nötig sei ein rückwirkender Inflationsausgleich seit 2022. "Die Länder müssen über den Bundesrat erreichen, dass diese wichtige Sofortmaßnahme auf den Weg gebracht wird", sagte Brötel. "Der Bruch der Ampel darf jedenfalls nicht dazu führen, dass jetzt auch das gesamte System der Krankenhausversorgung auseinanderbricht."

Wie geht es weiter?

Der Verband der Universitätsklinika warnte unterdessen vor den fatalen Folgen eines Scheiterns: kein geordneter Strukturwandel, keine bessere medizinische Versorgung und keine kurzfristigen finanziellen Hilfen. Der Sozialverband VdK rief dazu auf, das Gesetz zu verabschieden. Keine Reform hätte zur Folge, dass willkürliche Schließungen drohten. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte, dass die Anforderungen der Leistungsgruppen von der Mehrheit der Kliniken gar nicht erfüllt werden könnten.

Die nächsten Schritte hängen auch vom Votum des Bundesrats ab. Die Reform soll planmäßig am 1. Januar 2025 in Kraft treten - sie würde dann nach und nach bis 2029 vollständig umgesetzt werden. Geplant ist, dass die Länder ihren Kliniken bis Ende 2026 die vorgesehenen Leistungsgruppen zuweisen. Die Finanzierung soll dann schrittweise 2027 und 2028 auf das neue System umgestellt werden, wie das Ministerium erläutert.

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