Jeder Zweite nach sechs Monaten Arbeit zurück im Bürgergeld - macht es träge oder gibt andere Gründe?

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Jeder Zweite nach sechs Monaten Arbeit zurück im Bürgergeld - macht es träge?
Was ist der Hauptgrund für den längerfristigen Bezug von Bürgergeld? (Archivbild)
Jeder Zweite nach sechs Monaten Arbeit zurück im Bürgergeld - macht es träge?
Jens Kalaene/dpa/dpa-tmn

Etwa die Hälfte der Bürgergeld-Bezieher in Deutschland bleibt kurze Zeit nach der Aufnahme ihrer Arbeit auf Unterstützung angewiesen. Die Gründe sind vielfältig und eine Gruppe ist besonders betroffen.

Ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland, die Bürgergeld beziehen, ist sechs Monate nach Beginn einer Arbeit weiterhin oder erneut auf staatliche Hilfe angewiesen. Parteigründerin Sahra Wagenknecht (BSW), die sich bei der Regierung nach den Zahlen erkundigt hatte, bezeichnet diese Quote als "inakzeptabel".

Es sei unverständlich, "dass nach nur sechs Monaten Arbeit jeder Zweite zurück im Bürgergeld ist", erklärte Wagenknecht gegenüber der Bild, die als erste darüber berichtete. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hält die Grundstruktur des Bürgergeldes jedoch für richtig, da es Arbeitslosen langfristig helfen soll, wieder in Beschäftigung zu kommen. 

Wagenknecht fordert Sanktionen für bestimmte Bürgergeldbezieher 

"Die These, dass das Bürgergeld träge mache, stimmt so nicht", sagte ein Sprecher Heils der Deutschen Presse-Agentur. Er verweist auf aktuelle Daten: Die Mehrheit der Personen mit Bürgergeld, die in Arbeit integriert werden, bleibt auch weiterhin beschäftigt. Sechs Monate nach Arbeitsaufnahme trifft dies auf fast zwei von drei Betroffenen zu - etwa 64 Prozent. "Diese Quote ist in den letzten Jahren stabil geblieben und sogar gestiegen", so der Sprecher des Ministeriums.

Wagenknecht, deren Partei BSW bei ostdeutschen Landtagswahlen Erfolge feierte, kritisiert, dass die Zahlen "die entscheidende Frage" nicht beantworten: "Liegt es an den Betroffenen, die schlicht keine Motivation zu arbeiten haben? Liegt es an miesen Arbeitsbedingungen und unfairer Bezahlung? Oder bieten die Unternehmen immer noch viel zu viele befristete Stellen an beziehungsweise feuern nach Ablauf der Probezeit?" Wagenknecht fordert Sanktionen "für diejenigen, die sich lieber im Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit einrichten möchten".

Für Alleinstehende war das Bürgergeld Anfang des Jahres um 61 auf 563 Euro im Monat gestiegen. Hinzu kommen in der Regel Kosten für Wohnung und Heizung. Im Jahr 2025 wird es keine Erhöhung der Regelsätze geben. Ist das Bürgergeld also auch eine wichtige Unterstützung für jene, die ihren Alltag so gestalten, dass es ohne großen Aufwand gelingt? Heils Sprecher stellt fest: "Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Bürgergeld Menschen dazu verleitet, nach kurzer Zeit wieder in den Leistungsbezug zurückzukehren."

Warum sind viele Menschen weiter auf Bürgergeld angewiesen? Vor allem Herausforderungen für Familien

Ausschlaggebend dafür, dass Menschen weiterhin auf Bürgergeld angewiesen seien, seien vielmehr "strukturelle Faktoren", wie niedrige Löhne und Teilzeitarbeit. Was ist der Hauptgrund für den längerfristigen Bezug von Bürgergeld? "Dies liegt oft daran, dass das Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um die Hilfebedürftigkeit der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu überwinden", sagte der Ministeriumssprecher. Viele Personen, die arbeiten, seien schlicht weiterhin auf ergänzende Leistungen angewiesen - wegen niedriger Löhne, Teilzeitarbeit oder großer Bedarfsgemeinschaften, also meist Familien.

"Besonders betroffen", sagte Heils Sprecher, "sind hierbei Personen mit Kindern und geringen Entgelten, für die es schwierig ist, die Hilfebedürftigkeit vollständig zu überwinden." In den letzten Jahren hat sich wenig geändert. Rund 50 Prozent der Personen, die sich bereits im Arbeitsmarkt befinden, sind sechs Monate nach dem Einstieg weiterhin auf Bürgergeld angewiesen, und dieser Anteil lag früher nicht viel niedriger. 2019 und 2020 waren es 46 Prozent. Der Anteil derer, die sechs Monate nach ihrer Integration weiterhin sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist im Vergleich zu 2019 um vier Punkte von damals 60 Prozent gestiegen.

Bemerkenswert laut Ministerium: Personen mit Berufsausbildung haben eine höhere Quote der kontinuierlichen Beschäftigung. Sie verlassen den Leistungsbezug häufiger. Auch Alleinstehenden gelingt dies im Schnitt deutlicher leichter als Personen mit Kindern. Inwieweit rechnet sich Arbeit für Menschen mit Bürgergeld? Im Allgemeinen führt Arbeit zu einem erheblichen Plus auf dem Konto im Vergleich zum Bürgergeld. Allerdings lohnt es sich für Leistungsbeziehende nicht immer.

Mehrarbeit lohnt sich für Alleinerziehende oft nicht

Bei großen Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen besteht oft ein Anspruch auf Zusatzleistungen wie Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld. Zusammengenommen ergibt sich oft nicht wesentlich mehr Einkommen, selbst bei Ausweitung der bestehenden Arbeit. Das Heil'sche Ministerium wollte im Detail wissen, wann sich Arbeit (nicht) lohnt, und gab eine Expertise in Auftrag. Diese liegt seit 2023 vor.

Die 65-seitige Analyse der Institute ifo (München) und ZEW (Leipzig) zeigt: Mehrarbeit lohnt sich für Alleinerziehende oft nicht. Beispiel einer Mutter mit zwei Kindern: Ohne Arbeitseinkommen fließen demnach 2.169 Euro Sozialleistungen zu; bei einem Minijob-Lohn von 520 Euro verbleiben 2.353 Euro auf dem Konto, bei 1.000 Euro insgesamt 2.823 Euro - jedoch bei 1.500 Euro Arbeitseinkommen brutto nur geringfügig mehr, nämlich 2.907 Euro.

Die Forscher bemerken: "Es existieren also nach wie vor Einkommensbereiche, in denen (...) sich zusätzliches Bruttoerwerbseinkommen kaum und mitunter sogar negativ auf das verfügbare Einkommen auswirkt." Die Forscher schlagen vor, bei den Gruppen von Bürgergeld-Beziehenden, bei denen es sich heute wenig lohnt, mehr zu arbeiten, im Fall von Mehrarbeit das Bürgergeld nicht so stark wie heute zu kürzen.

Wie sich Arbeit mehr lohnen könnte

Denn bei ihnen sei eine Ausweitung der Beschäftigung heute finanziell wenig attraktiv, "weil die erhaltenen Sozialleistungen in der Folge stark sinken". Eine solche Reform würde, so die Institute, die verfügbaren Einkommen von Transferempfängerinnen und -empfängern in einigen Einkommensbereichen erhöhen.

Erwerbsanreize und somit Beschäftigung könnten steigen. Der Staat müsse zwar mehr Bürgergeld bezahlen, könne jedoch auch mit höheren Steuereinnahmen rechnen. Die Haushalte, bei denen dies rechnerisch zu erwarten ist, sind laut den Forschern jene mit Einkommen von mehr als 520 Euro pro Monat sowie Haushalte mit mehr als 2.000 Euro monatlichem Gesamthaushaltseinkommen.

Die Institute schlagen hierfür vor, die geltenden unterschiedlichen Kürzungsraten für das Bürgergeld im Fall eines höheren Arbeitslohns zu reduzieren. Die Betroffenen hätten so unterm Strich am Monatsende spürbar mehr auf dem Konto.

 

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