Der Paritätische Gesamtverband hat seinen Jahresbericht zur Armut in Deutschland vorgestellt. Demnach lebten mehr als 14 Millionen Menschen im Jahr 2022 in Armut - viele von ihnen erwerbstätig. Aber warum ist das so - und wie ist die Lage in Franken?
Die Armut in Deutschland wächst, laut einer neuen Studie: "Mehr als jedes fünfte Kind ist mittlerweile von Armut betroffen", resümiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Das sei ein "trauriger Rekordwert". Der Armutsbericht seines Verbands, den Schneider am Dienstag (26. März 2024) in Berlin vorgestellt hat, fördert noch weitere "traurige" Werte zutage: Demnach waren 14,2 Millionen Menschen in Deutschland im Jahr 2022 von Armut betroffen - 100.000 Menschen mehr als 2021 und fast eine Million mehrals im Vor-Pandemiejahr 2019. Die Armutsquote von 16,8 Prozent bereitet Schneider große Sorgen.
Die Zahlen des Verbands beziehen sich auf das Jahr 2022, weil bislang keine aktuelleren des Statistischen Bundesamts vorliegen. Für 2023 gibt es erst im kommenden Jahr belastbare Daten aus dem sogenannten Mikrozensus, auf dem der Armutsbericht basiert. Er erwarte für 2023 keine große Trendwende, schickte Schneider vorweg. Besonders schwierig sei die Lage von Alleinerziehenden und Familienmit mehreren Kindern. Mehr als 40 Prozent aller Alleinerziehenden sind laut Bericht von Armut betroffen. Es gebe immer noch zu viele in "erzwungener Teilzeit", beklagte Schneider. Es brauche dringend ein größeres Betreuungsangebot.
Mit Blick auf die Gesamtverteilung warnte der Verbandschef vor einem falschen Bild: Zwar seien Erwerbslose neben Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss und jenen mit Migrationshintergrund überproportional von Armut betroffen. Die Statistik zeige aber, dass von den 14,2 Millionen Betroffenen mehr als ein Viertel erwerbstätig seien, ein weiteres knappes Viertel seien Rentnerinnen und Rentner. Die Gruppe der Erwerbslosen mache 2022 gerade einmal knapp fünf Prozent der armen Menschen aus. Zu den Hauptforderungen des Verbands zählen daher eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro und eine "Bürgerrentenversicherung", in die alle einzahlen sollen - auch Selbstständige und Beamte.
Die niedrigsten Armutsquoten haben laut Bericht Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg. Die höchsten, mit jeweils 19 Prozent und mehr sind das Saarland, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Schlusslicht ist Bremen mit einer Quote von 29,1 Prozent. Und die Beobachtung zeige: Deutschland driftet auseinander. Ärmere Bundesländer würden immer ärmer, reiche immer reicher.
Auch wenn Bayern im deutschlandweiten Vergleich gut dasteht, gibt es innerhalb des reichen Bundeslandes deutliche Unterschiede, je nach Region. Die niedrigste Armutsquote hat München mit nur 9,2 Prozent, gefolgt von Ingolstadt mit 11,7 Prozent. Anders sieht es in Franken aus: Mit einer Armutsquote von 17,1 Prozent ist das Gebiet Oberfranken-Ostnegativer Spitzenreiter Bayerns. Zu dem Gebiet gehören die Landkreise Hof, Kulmbach, Bayreuth, Wunsiedel und die kreisfreien Städte Hof und Bayreuth. Wesentlich besser sieht es hingegen in der anderen Hälfte Oberfrankens aus: Mit 12,8 Prozent Armutsquote liegt Oberfranken-West im oberen Mittelfeld. Dazu gehören die Städte Bamberg und Coburg, sowie die gleichnamigen Landkreise.
Armutsschwelle: Wer ist betroffen und ab wann?
Würzburg in Unterfranken liegt ebenfalls im Mittelfeld mit 14,4 Prozent. Das Main-Rhön-Gebiet liegt mit einer Armutsquote von 15,9 Prozent dahinter. Gleichzeitig hat die Region den zweitschlechtesten WertBayerns in der Statistik.
Innerhalb Mittelfrankens zeichnet sich ein gemischtes Bild: Westmittelfranken steht mit einer Armutsquote von 12,8 Prozent vergleichsweise gut dar. Dazu gehören die kreisfreie Stadt Ansbach sowie die Landkreise Ansbach, Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim und Weißenburg-Gunzenhausen. Die Industrieregion Mittelfranken mit dem Ballungsraum der Stadt Nürnberg und dem Nürnberger Land liegt mit 15,4 Prozent merklich dahinter.
Wer als "arm" gilt, ist laut Mikrozensus nach Haushaltstypen und verfügbarem Nettoeinkommen gestaffelt. Dabei gilt generell: Jede Person, die mit ihrem verfügbaren Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt, wird als einkommensarm eingestuft. Ein Single-Haushalt ohne Kinder erreicht die Armutsschwelle demnach etwa bei weniger als 1186 Euro verfügbarem Einkommen im Monat. Eine Alleinerziehende mit einem Kind unter 14 Jahren gilt entsprechend der Staffelung als arm, wenn sie weniger als 1542 Euro monatlich zur Verfügung hat.
Ergebnisse zur Kinderarmut - Entsetzen bei Sozialverbänden
Gegenüber BR24 äußerte Doris Rauscher, SPD-Abgeordnete im bayerischen Landtag, ähnliche Kritik: Im Freistaat gehe die Schere zwischen Arm und Reichimmer weiter auseinander. Sie merkte an: "Auch in Bayern ist Armut jung, alleinerziehend, kinderreich, im Alter oft weiblich und geprägt von einem niedrigen Bildungsniveau." Gerade im Hinblick auf die Situation von Frauen sprach sie von einer "Teilzeitfalle". Um dieser zu entkommen, brauche es mehr Kitaplätze und mehr bezahlbaren Wohnraum.
Die Ergebnisse zur Kinderarmut lösten insbesondere bei Sozialverbänden Entsetzen aus. Sie seien eine "Schande für so ein reiches Land", erklärte etwa die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. Sie forderte die Bundesregierung auf, bei der geplanten Kindergrundsicherung nachzubessern. "Mit der Kindergrundsicherung, wie sie im Moment geplant ist, können wir die Kinderarmut in Deutschland nicht bekämpfen."
Ähnlich äußerte sich Verbandschef Schneider. Auf die Frage, ob das Projekt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) in seiner jetzigen Form geeignet sei, die Kinderarmut substanziell zu bekämpfen, antwortet der Verbandschef mit einem klaren "Nein". Es brauche nicht nur eine digitale Auszahlung von Mitteln, sondern schlichtweg mehr Geld, mahnte Schneider an. Die Kindergrundsicherung müsse im Vergleich zu den Bürgergeldsätzen "um 40 Prozent höher liegen".
Verbandschef kritisiert Projekt von Familienministerin Paus
Mit der Kindergrundsicherung will die Bundesregierung ab 2025 bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder den Kinderzuschlag bündeln. Mehr anspruchsberechtigte Familien sollen so das erhalten, was ihnen zusteht. Ob Familien dadurch künftig automatisch mehr Geld als bisher haben werden, wie es Verbandschef Schneider verlangt, ist bislang unklar.
Die Hauptkritik an dem Projekt sind befürchtete Doppelstrukturen. Diese Gefahr sieht unter anderem auch der Normenkontrollrat (NKR), der Zeitaufwand und Kosten untersucht, die durch neue Gesetze entstehen. Am Dienstag stellte er ein neues Gutachten vor, in dem ein vereinfachtes System zur Auszahlung von Sozialleistungen angeregt wird - unter anderem durch mehr Pauschalen. In dem vom Beratungsunternehmen Deloitte erstellten Gutachten heißt es unter anderem, die Leistungen der Kindergrundsicherung müssten "konsequent gebündelt" sein. Dies sei bei dem Vorhaben noch nicht der Fall, unter anderem weil "angrenzende Leistungen wie Bürgergeld und Wohngeld nicht ausreichend adressiert und Behördenkontakte nicht reduziert, sondern erhöht wurden".
Auf diese Kritik geht die Familienministerin auf dpa-Nachfrage nicht ein. Vergangenen Dezember hatte ein Sprecher des Ministeriums versichert: "Klar ist, es soll hier kein Bürokratie-Monster aufgebaut werden, sondern es soll Bürokratie abgebaut werden. Das ist das Ziel der Kindergrundsicherung und daran arbeiten wir." Klar ist aber auch: Die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen.