USA rechnen mit "drastischeren Mitteln": Was bedeutet es, wenn Putin das Kriegsrecht verhängt?
Autor: Andreas Hofbauer
Ukraine, Donnerstag, 12. Mai 2022
Die USA rechnen mit einer weiteren Eskalation im Ukraine-Krieg. Welche Folgen könnte das auf den Krieg und den Konflikt Russlands mit der Europäischen Union haben?
Der russische Präsident Wladimir Putin könnte zu weitaus drastischeren Mittel greifen, um die Ukraine einzunehmen, als bislang schon. Das berichtete die amerikanische Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines vergangenen Dienstag, 10. Mai 2022, im Zuge einer Kongressanhörung in Washington. Grund dieser Einschätzung ist für sie die Beobachtung, dass "Putins Ziele größer" seien "als die Fähigkeiten der russischen Streitkräfte". "Er ist mit einem Missverhältnis zwischen seinen Ambitionen und Russlands derzeitigen militärischen Fähigkeiten konfrontiert", so Haines.
Sie meinte, dass die aktuellen Entwicklungen im Zuge des Überfalls auf die Ukraine die Wahrscheinlichkeit erhöhten, dass Putin zu noch drastischeren Mitteln greifen werde, um seine Ziele zu erreichen. Dazu zählt unter anderem das Verhängen des Kriegsrechts, die Umstellung der Industrieproduktion zur Aufrechterhaltung der Kriegsanstrengungen oder "potenziell eskalierende militärische Optionen".
Ausrufen des Kriegsrechts: So würde der Ukraine-Krieg beeinflusst werden
Im Zuge der Verhängung des Kriegsrechts, einer Kriegserklärung, könnte Russland auf die Reservisten im eigenen Land zurückgreifen. Eine sogenannte Generalmobilmachung. "Dann gilt in Russland das Kriegsrecht im eigenen Land, und die Armee kann 900.000 Reservisten einberufen", erklärte der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter gegenüber der "Augsburger Allgemeinen Zeitung".
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In Russland gilt die Reservepflicht bis zum Alter von 50 Jahren. Wer sich im Kriegsfall weigert, dem drohen mehrere Jahre Gefängnis. Dass Russland eine Mobilmachung plane, weist der Kreml wiederholt zurück. Laut der Agentur Interfax soll Kremlsprecher Dmitri Peskow gesagt haben: "Das ist nicht wahr. Das ist Unsinn." Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine bezeichnet der Kreml den Krieg ausschließlich als "militärische Spezialoperation".
Durch die zahlreichen Verluste, die das russische Militär bislang in der Ukraine zu verzeichnen hat, sehen Expertinnen und Experten eine zeitnahe Kriegserklärung als "nicht unwahrscheinlich". Russland müsse laut dem Experten für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Wolfgang Richter, rund ein Fünftel seiner Truppen ersetzen. Das schilderte Richter im Interview mit t-online.
Putin will im Kriegsgebiet Verbindung zu Moldau herstellen
Das sei jedoch nicht ohne Risiko, da viele Truppen im Ausland stationiert sind. Daher brauche der Kreml eine andere Maßnahme, um die Truppen wieder aufzufüllen. Beispielsweise die Einberufung der Reservisten. "Ob eine Generalmobilmachung den Krieg in der Ukraine wirklich beeinflussen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Die entsprechenden militärischen Effekte würden wohl erst in einigen Wochen eintreten, wenn überhaupt", wird der Experte des Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg, Ulrich Kühn, von t-online zitiert.
Derzeit soll Putin beabsichtigen, die Offensive über die östliche Donbass-Region hinaus auszuweiten. Damit wolle er den südlichen Teil der Ukraine, nach Transnistrien, erschließen. Dieser Teil des Landes führt zu einer von Russland unterstützten Region in der Republik Moldau. Um Transnistrien jedoch zu erreichen, brauche es laut den amerikanischen Kriegsexpertinnen und Experten "eine umfassende Mobilisierung innerhalb Russlands", was bislang nicht geschehen ist.