Journalisten und Diplomaten wurde ein gut 40-minütiger Zusammenschnitt von Videoaufnahmen gezeigt, um das Ausmaß der Gräueltaten zu veranschaulichen. In Netiv Haasara mussten zwei Jungen etwa mit ansehen, wie ihr Vater erschossen wurde. Einer konnte auf einem Auge nicht mehr sehen, einer rief «Warum lebe ich?» und «Ich will zu Mama». Währenddessen bediente sich einer der Terroristen im Kühlschrank und trank aus einer Flasche. Auf dem Musikfestival schoss ein Terrorist wahllos auf Toiletten, in denen sich Menschen versteckt hatten.
Sanitäter erzählten von Szenen höchster Grausamkeit. Von einer Schwangeren, der das Baby aus dem Leib geschnitten und dann erstochen wurde. Von einer Familie mit Kindern im Alter von sechs und acht Jahren, die beim Frühstück überfallen wurden. Dem Vater wurden die Augen ausgestochen, der Mutter eine Brust und Finger abgeschnitten.
Schicksal der Geiseln in Gaza ist ungewiss
Festgenommene Hamas-Terroristen erzählten im Verhör, sie hätten den Auftrag gehabt, möglichst viele Menschen zu töten, auch Zivilisten. Außerdem sollten sie Geiseln nehmen. Mehr als 240 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt und werden seitdem dort festgehalten. Ob bei den massiven israelischen Angriffen auch Geiseln getötet wurden und wie viele, ist unklar. Der bewaffnete Hamas-Arm behauptet, es seien mehr als 60 Geiseln getötet worden. Doch dabei könnte es sich auch um psychologische Kriegsführung handeln. Vier weibliche Geiseln wurden von der Hamas bisher freigelassen, eine Soldatin konnte von der Armee befreit werden.
Die Angehörigen der Geiseln, darunter auch viele Ausländer, kämpfen verzweifelt um ihre Freilassung und dass ihr Schicksal nicht in Vergessenheit gerät. Vor dem Militärhauptquartier gibt es ständig Proteste. Vor dem Nationaltheater stehen Betten als Symbol ihrer Abwesenheit. Auf dem Platz vor dem Kunstmuseum in Tel Aviv steht ein sehr langer Tisch, der für die Geiseln gedeckt ist. In der Nähe sind Protestzelte aufgebaut, in denen Familienmitglieder übernachten.
Einer davon ist Rubi Chen, Vater eines 19-jährigen entführten Soldaten. Beide sind auch amerikanische Staatsbürger. «Er war an der Grenze zum Gazastreifen positioniert, zur Verteidigung», erklärt er. Weder das Rote Kreuz noch die Organisation Ärzte ohne Grenzen hätten die Geiseln im Gazastreifen bisher sehen können, kritisiert er. Auch von den Vereinten Nationen gebe es keine Hilfe. Seine Botschaft an die internationale Gemeinschaft und auch die israelische Regierung: «Die Rückführung aller Geiseln ist das wichtigste Thema von allen. Der Preis ist uns egal.»
Sympathie für Israel seit Gaza-Angriffen wieder gesunken
Nach den Worten von Politik-Professor Jonathan Rynhold gab es nach dem Massaker in Ländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland zunächst einen Anstieg der Sympathie für Israel. Unter dem Eindruck der massiven Gegenangriffe im Gazastreifen mit mehr als 10.000 Toten sei diese wieder gesunken. Die meisten Menschen in diesen Ländern hätten es zu ihren Lebzeiten nie mit radikalen Anführern und Ideologien zu tun gehabt, die massive Verluste innerhalb ihrer eigenen Bevölkerung in Kauf nähmen wie etwa die Hamas.
«Die Menschen sehen die Zerstörung in Gaza und tragische Vorfälle und denken, es sei leicht, diese zu verhindern», sagt der Leiter der Abteilung für politische Studien an der Bar-Ilan-Universität nahe Tel Aviv. «Sie sehen nicht die Komplexität des Kampfes gegen einen Feind, der seine eigenen Zivilisten in Gefahr bringt und sich hinter ihnen versteckt.» Es gebe auch nicht den Blick auf den größeren Zusammenhang, «nämlich was es bedeuten würde für die Palästinenser in Gaza und die Israelis, wenn die Hamas an der Macht bleibt».
Enttäuschung über Staat und Armee
Für Omri Schifroni ist der 7. Oktober rückblickend ein krasser Einschnitt in seinem Leben und in der Geschichte des Landes. «Es ist alles zerbrochen», sagt er. Besonders schlimm sei die Enttäuschung über die Armee, die erst nach Stunden gekommen sei. Eine große Verantwortung sieht er auch bei der rechtsreligiösen Regierung von Benjamin Netanjahu, die mit ihrer umstrittenen Justizreform einen tiefen Spalt in die israelische Gesellschaft getrieben habe. Eine große Frage bleibt, wie Geheimdienst, Militär und politische Führung derart überrascht werden konnten.
Eine Rückkehr der Einwohner Beeris in den Kibbuz sieht er nur im Fall einer kompletten Zerstörung der Hamas als Möglichkeit. «Ich habe dieselbe Sympathie für ein Kind in Gaza wie für ein Kind in Sderot», sagt Schifroni. Er lebt in dem Ort Givat Chaviva, der sich seit langem für Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt. «Aber die Hamas ist eine mörderische Organisation, wie (das Terrornetzwerk) Islamischer Staat, und sie muss zerstört werden.»