Deutlich von der Front entfernt liegen Alltag und die Schrecken des Krieges dicht beieinander. In der südukrainischen Hafenstadt Odessa kommt die Gefahr aus der Luft.
Für die ukrainische Hafenmetropole Odessa verläuft die Front am Himmel. Russland feuert auch zu Beginn des dritten Kriegsjahres mit Raketen und lässt mit Sprengstoff beladene Einweg-Drohnen vom Typ Shahed auf die Stadt fliegen. Olexander Kolomin, Kommandeur des mobilen ukrainischen Flugabwehrtrupps «Tschajka» (Möwe), ist dann mit seinen Soldaten in Stellung.
«Der Feind ist immer hinterhältig», sagt Kolomin, der den militärischen Rufnamen «Deputat» hat, eine Anspielung auf sein Zivilleben als Abgeordneter in einer Gemeinde. «Wir sind fast jede Nacht unterwegs und wachen», sagt er nach einem nächtlichen Übungsschießen einiger Soldaten. Die Angreifer änderten dauernd ihre Taktik. «Sie suchen wahrscheinlich unsere Positionen. Sie umgehen uns, doch wir sind geschickter, wir sind mobiler, lernfähiger. Wir haben eine Aufgabe. Wir schützen den Himmel, den Luftraum unseres Staates.»
Drohnen sind eine billige und gefährliche Massenware
Die Drohnenjäger wissen aus der Luftraumüberwachung, wenn etwas gegen die Stadt unterwegs ist. Sie spitzen die Ohren nach dem Klang der Drohnenmotoren und suchen den Himmel mit Scheinwerfern ab. Auf die erkannten Ziele wird aus Maschinenkanonen, von Pritschenwagen aus oder auch mit der fahrbaren Flugabwehrkanone SU-23 gefeuert. Die Drohnen sind billige und langsame, aber gefährliche Massenware, die oft im Tiefflug ankommen. Darauf verschwendet die Luftabwehr nicht ihre teuren und knappen Lenkflugkörper. Russische Marschflugkörper vom Typ Kalibr seien schon mit Hilfe einer schultergestützten Flugabwehrrakete abgeschossen worden, sagen die ukrainischen Soldaten.
Und sie hätten in den vergangenen Jahren einiges gelernt. Es geht dabei um technische Details, wie die richtigen Farbspektren des Lichts der Scheinwerfer, um mattgrau oder schwarz lackierte Ziele im Nachthimmel erkennen zu können. Oder auch die Bedeutung der Stille. Früher habe man für das Licht motorbetriebene Stromgeneratoren benutzt und dann anfliegende Waffensysteme im Lärm nicht ausreichend gehört. Nun wird eine mobile, geräuschlose Stromversorgung mitgeführt. Der Drohnenjäger ähnelt damit dem Waidmann auf seinem Ansitz.
«Jedes Luftziel in unsere Richtung, überhaupt auf das Territorium der Ukraine, hat eine große Bedeutung, denn das kann jemanden das Leben kosten», sagt Kolomin. «Denn, Sie verstehen, eben das Leben ist das kostbarste, was ein Mensch hat, was es in einem Staat geben kann. Daher müssen wir beschützen und wünschenswert wäre, dass es das alles nicht gäbe.»
Zwei Angriffe treffen Odessa binnen weniger Stunden
Absolute Sicherheit kann es nicht geben. Auch bei Luftalarm gehen viele Menschen ungehindert ihren Alltagsverrichtungen nach. Odessa ist eine quirlige Stadt geblieben - ohne Touristen zwar, aber mit Restaurants und Cafés, einem Wirtschaftsleben und einer mitunter auch hedonistisch wirkenden Ausgehkultur. Auf den Straßen stehen große Dieselgeneratoren und zahlreiche Apps warnen die Bevölkerung bei Luftalarm.
In der vergangenen Woche schafften es binnen 24 Stunden zwei russische Shahed-Drohnen durch den Abwehrschirm. Beide mit Sprengstoff beladenen Flugautomaten wurden nach Behördenangaben von der Flugabwehr getroffen. Eine Drohne stürzte auf ein Industriegebiet, eine vor dem eigentlichen Ziel auf ein Wohnhaus in einem dicht und niedrig bebauten Stadtteil. Die Explosion riss Wände weg.