Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger ist tot. Der gebürtige Fürther starb am Mittwoch im Alter von 100 Jahren in seinem Zuhause im Bundesstaat Connecticut.
Daniel Karmann (dpa)
Henry Kissingers Leben ist gespickt mit außenpolitischen Erfolgen. Der einstige US-Minister gilt als eine Art Jahrhundertgestalt. Auf der internationalen Bühne fühlte der gebürtige Fürther sich wohl - mischte sich bis ins hohe Alter ein. Doch das ist nur die eine Seite seiner Geschichte.
Die einen haben ihn bewundert, die anderen verachtet: Henry Kissinger war der vielleicht berühmteste Diplomat in der Geschichte der USA. Noch im hohen Alter äußerte sich der Deutschamerikaner zu verschiedenen internationalen Themen.
Erst im Mai feierte er seinen 100. Geburtstag und bekam Glückwünsche aus aller Welt. Doch der ehemalige US-Außenminister war eine kontroverse Figur. Lobten ihn die einen als brillanten Realpolitiker mit Verhandlungsgeschick, sahen ihn andere als skrupellosen Machtmenschen - ja gar als Kriegsverbrecher. Nun ist der im mittelfränkischen Fürth als Heinz Alfred geborene Kissinger am Mittwoch (29. November 2023) gestorben.
In Fürth geboren - Ex-US-Außenminister Henry Kissinger tot
Kissinger war in seinen letzten Lebensjahren schwerhörig und auf einem Auge blind. Er musste sich mehreren Herzoperationen unterziehen. Doch geistig war er bis zum Schluss topfit - auch wenn er seine Gedanken langsam und manchmal schwer verständlich formulierte. Ob der Krieg in der Ukraine oder die Spannungen zwischen Taiwan und China: Selbstbewusst mischte er sich in Debatten über internationale Politik ein. Auf die Frage eines TV-Journalisten, ob Chinas Präsident Xi Jinping den Hörer abheben würde, sollte Kissinger anrufen, sagte er kurz vor seinem 100. Geburtstag: "Die Chancen stehen gut, dass er meinen Anruf annimmt". Er lag richtig. Wenige Monate später, im Juli, flog der hundertjährige Kissinger tatsächlich noch mal nach Peking und traf Xi dort.
Auch nach Deutschland reiste Kissinger zuletzt noch: Im Juni feierte er in seiner fränkischen Geburtsstadt seinen 100. Geburtstag nach, mit hochrangigen Gästen aus Politik und Diplomatie - und einer Kindermannschaft seines Lieblingsvereins SpVgg Greuther Fürth. Kissinger war der Sohn eines deutsch-jüdischen Ehepaares. 1938 floh die Familie vor den Nazis in die USA. Kissinger wuchs dann in New York auf - konnte zunächst kein Englisch. Es heißt, als Jugendlicher sei er so schüchtern gewesen, dass er kaum sprach. Das könnte erklären, warum Kissinger sein ganzes Leben lang einen starken deutschen Akzent hatte. Anders als in Deutschland habe er sich in den USA aber als Jude nicht diskriminiert gefühlt, sagte er einst. Kissinger wurde nach der US-Einbürgerung 1943 zum Militärdienst eingezogen, kämpfte in den Ardennen und arbeitete dann in Deutschland für die US-Spionageabwehr.
Nach der Rückkehr studierte er mithilfe von Stipendien an der Elite-Universität Harvard Politikwissenschaften und promovierte 1954. In den Folgejahren lehrte er an der Uni und machte sich als Spezialist für internationale Politik einen Namen. 1969 holte ihn der republikanische Präsident Richard Nixon als Sicherheitsberater ins Weiße Haus. Später wurde er auch Außenminister - und blieb zumindest Letzteres unter Nixons Nachfolger Gerald Ford. Kissinger prägte die sogenannte Pendeldiplomatie - reiste zwischen Hauptstädten hin und her und verhandelte zwischen Konfliktparteien. Als Außenminister war er eine Art Berühmtheit, bekannt für sein Machtbewusstsein und seine Frauengeschichten.
Friedensstifter oder Kriegsverbrecher? Zeitlebens eine streitbare Figur
Kissinger hat viele Erfolge vorzuweisen. Er suchte Entspannung mit dem isolierten China und der Sowjetunion, stiftete Frieden in Nahost, bemühte sich um Abrüstung. So fädelte er in Geheimgesprächen in der damaligen UdSSR das erste Abkommen zur strategischen Rüstungsbegrenzung (SALT I) ein. Bei einem Geheimtrip nach Peking organisierte er den ersten Besuch eines amtierenden US-Präsidenten in der Volksrepublik. Nixon reiste 1972 nach China und traf dort Parteiführer Mao Zedong. Außerdem handelte Kissinger 1973/74 das Ende des Jom-Kippur-Krieges arabischer Staaten gegen Israel aus. Es sind beeindruckende Errungenschaften. Für viele gilt Kissinger bis heute als außenpolitisches Genie - als Jahrhundertgestalt.
Das ist aber nur die eine Seite der Geschichte. Kritiker sehen in ihm einen MachtpolitikerohneMoral, der auch Diktaturen unterstützte - solange es nur seinen Interessen nützte. Dabei, so der Vorwurf, habe der Zweck die Mittel geheiligt. Er galt damals als zunehmend selbstherrlich und verschlossen. In einem Interview aus dem Jahr 1972 verglich er sich mit einem Cowboy, der allein voranreite und die Kolonne anführe.
Neben den außenpolitischen Erfolgen gibt es eine ganze Liste an Kriegen und Krisen, in denen Kissinger eine mindestens zweifelhafteRolle spielte. Da ist zum einen der Vietnamkrieg: Kissinger soll 1968 einen nahen Friedensschluss verhindert haben, um Nixon zum Wahlsieg zu verhelfen. 1973 mündeten seine jahrelangen Geheimverhandlungen mit dem nordvietnamesischen Unterhändler Le Duc Tho schließlich in einen Friedensvertrag. Beiden wurde der Friedensnobelpreis zugesprochen - obwohl der Krieg noch bis 1975 weiterging. Kissinger nahm den Preis an, Le Duc Tho nicht.
Auch nach Rückzug aus der Politik - Kissinger blieb immer gefragte Persönlichkeit
Heftig kritisiert wurde Kissinger für seine Rolle bei der geheimen BombardierungKambodschas während des Vietnamkriegs. Er soll die Bombardierungen genehmigt und vor der Öffentlichkeit geheim gehalten haben. Die Angriffe haben Schätzungen zufolge mindestens 150.000 Menschen das Leben gekostet. Gegner werfen ihm auch vor, dass die Folgen seines Vorgehens das Land destabilisiert haben und den Roten Khmer in dem Land in Südostasien zur Macht verholfen haben.
Auch die Unterstützung der Invasion Indonesiens in Osttimor 1975 ist ein dunkler Fleck in Kissingers außenpolitischer Karriere. Zusammen mit dem US-Geheimdienst CIA soll Kissinger 1973 außerdem in den blutigen Putsch von General Augusto Pinochet gegen Chiles gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende verstrickt gewesen sein. Kissinger erhielt Vorladungen von Gerichten in verschiedenen Ländern, erschien aber nie. Die Vorwürfe gegen ihn hat er stets zurückgewiesen - zumindest öffentlich war er sich keiner Schuld bewusst. Die jüngere Generation, die ihn verurteile, stellte er in einem TV-Interview zu seinem 100. Geburtstag als ignorant dar.
Nach Nixons Rücktritt blieb Kissinger Außenminister - die politische Bühne verließ er dann nach dem Amtsantritt des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter 1977. Doch der Rückzug aus der aktiven Politik bedeutete für Kissinger nicht, sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Er gründete eine Beraterfirma, schrieb mehrere Bücher und war trotz seines hohen Alters bis zu seinem Tod ein gefragter Redner, wenn es um außenpolitische Einschätzungen ging.
Große Anteilnahme in Bayern und Fürth - Internationale Politik würdigt Kissinger
In seiner Geburtsstadt Fürth wurde die Nachricht vom Tod Kissingers mit Bestürzung aufgenommen. „Ich bin sehr froh, dass wir vor wenigen Monaten nochmals die große Ehre hatten, unseren Ehrenbürger in seiner Geburtsstadt willkommen zu heißen. Er konnte dabei das Grab seines Großvaters auf dem neuen jüdischen Friedhof ebenso besuchen wie den Ronhof und hatte bei dem heiteren und gleichzeitig bewegenden Festakt im Stadttheater die Gelegenheit, viele Weggefährten aus Fürth und ganz Deutschland zu treffen", erinnert sich Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) an das letzte Treffen mit Kissinger. "Bei seinen Besuchen in Fürth habe ich ihn als bescheidenen, bodenständigen und sehr herzlichen Menschen kennenlernen dürfen." Jung betonte, dass Kissinger immer Interesse an seiner Geburtsstadt und deren Entwicklung gezeigt habe. Mit ihm verliere die Stadt eine Jahrhundertpersönlichkeit.
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) würdigte den verstorbenen Kissinger. Auf der Plattform X schrieb Söder, Bayern trauere um Kissinger, einen bedeutenden Staatsmann, "der mit Weitsicht und großem analytischen Scharfsinn die Menschen überzeugen konnte". Kissinger sei einer der einflussreichsten außenpolitischen Beobachter und Denker gewesen. "Nicht alle seiner Positionen waren unumstritten. Aber er war einer der wichtigsten und klügsten Außenpolitiker des vergangenen Jahrhunderts."
Zudem unterstrich Söder am Donnerstag die bayerische Herkunft des früheren Politikers: "Er war Bayer, Franke, Fürther und seiner alten Heimat und dem jüdischen Leben bis zuletzt verbunden." Er freue sich, einige Male die Gelegenheit gehabt zu haben, "diese beeindruckende Persönlichkeit aus nächster Nähe zu erleben". Zuletzt seien sie einander im Sommer dieses Jahres anlässlich des 100. Geburtstages von Kissinger begegnet.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger als "Jahrhundertgestalt der internationalen Politik" gewürdigt. "Für viele war er Vorbild. Andere haben sich auch an ihm gerieben", schrieb die Grünen-Politikerin am Donnerstag auf der Plattform X. "Was über allem bleiben wird, ist seine Größe, unserem Land nach dem Zweiten Weltkrieg die Hand auszustrecken und bis zuletzt in Freundschaft verbunden zu sein", fügte Baerbock hinzu.
International erinnerte unter anderem Russlands Staatspräsident Wladimir Putin an den ehemaligen US-Chefdiplomaten. "Ein weiser und weitsichtiger Staatsmann, der jahrzehntelang in der ganzen Welt wohlverdientes Ansehen genoss, ist verstorben", schrieb Putin an Kissingers Witwe Nancy in einem Telegramm, das der Kreml am Donnerstag veröffentlichte. Kissingers Name stehe für eine "pragmatische außenpolitische Linie" in den 1970er-Jahren, die wichtige amerikanisch-sowjetische Abkommen ermöglicht habe, fügte der Kremlchef hinzu. Er selbst habe oft mit dem früheren Diplomaten gesprochen.
Artikel enthält Affiliate Links
*Hinweis: In der Redaktion sind wir immer auf der Suche nach nützlichen Produkten für unsere Leser. Es handelt sich bei den in diesem Artikel bereitgestellten und mit einem Einkaufswagen-Symbol beziehungsweise einem Sternchen gekennzeichneten Links um sogenannte Affiliate-Links/Werbelinks. Wenn du auf einen dieser Links klickst bzw. darüber einkaufst, bekommen wir eine Provision vom Händler. Für dich ändert sich dadurch nichts am Preis. Unsere redaktionelle Berichterstattung ist grundsätzlich unabhängig vom Bestehen oder der Höhe einer Provision.