Der Ukraine-Krieg und der deutsche Arbeitsmarkt: Welche Chancen gibt es - und welche Risiken?
Autor: Klaus Heimann
Deutschland, Montag, 25. April 2022
Ankommen und in Sicherheit sein - das sind am Anfang die wichtigen Dinge für Flüchtlinge aus der Ukraine. Aber schnell kommt die Frage: Gibt es Arbeit für mich? Über die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sprechen wir mit der gebürtigen Ukrainerin, Dr. Yuliya Kosyakova, die jetzt als Arbeitsmarktforscherin arbeitet.
- Könnten die Flüchtlinge aus der Ukraine einen Gewinn für den deutschen Arbeitsmarkt sein?
- Zum ersten Mal wird die "Massenzustromrichtlinie" in der EU angewandt. Was bedeutet das konkret für die Arbeitsmarktchancen der Kriegsflüchtlinge?
- Was sind Bedingungen für eine gelingende Arbeitsmarktintegration der Kriegsflüchtlinge?
- In welchen Bereichen haben die jungen Frauen in der Ukraine gearbeitet?
- Gibt es Chancen, einen ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz in Deutschland zu bekommen?
- Wer ist Yuliya Kosyakova?
inFranken.de sprach mit der gebürtigen Ukrainerin, Dr. Yuliya Kosyakova, die als Wissenschaftlerin beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg forscht, über den Arbeitsmarkt für ukrainische Kriegsflüchtlinge.
inFranken.de: Könnten die Flüchtlinge aus der Ukraine ein Gewinn für den deutschen Arbeitsmarkt sein?
Yuliya Kosyakova: "Wir reden zunächst einmal über die humanitäre Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Das ist der Ausgangspunkt: Es geht zunächst um 'Ankommen', Sicherheit und Unterkünfte – das sind die vorrangigen Bedürfnisse der Flüchtlinge, die wir erfüllen müssen. Ist das geklärt, ist die Integration von Ukrainer*innen in den Arbeitsmarkt und deren soziale Teilhabe zu begrüßen, insbesondere wenn sie beabsichtigen, auf längere Zeit in Deutschland zu bleiben und Interesse haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Und in jedem Fall wäre es ein Gewinn für den deutschen Arbeitsmarkt, wenn das Interesse sich in Arbeitsverhältnisse umsetzen lässt."
Warum wäre das positiv zu bewerten?
"Grundsätzlich weisen erwachsene Geflüchtete aus der Ukraine günstige Voraussetzungen für die Arbeitsmarktintegration auf: Wir reden über Menschen, die eine sehr gute Bildung in ihrer Heimat durchlaufen haben. In der Ukraine haben fast alle eine umfassende Grundbildung absolviert. Der Anteil der Personen, die eine Hochschule, Fachschule, Berufsakademie oder eine Berufsbildung durchlaufen haben, ist in der Ukraine höher als in Deutschland. Dies gilt insbesondere für Frauen, die ja den Hauptanteil der Kriegsflüchtlinge stellen."
Sie sind in der Ukraine geboren ...
"Ja, das stimmt und ich bin schon vor zwanzig Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen. Ohne die deutsche Sprache zu können und habe dann selber einen Integrationsprozess durchlebt. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass ich mich als Wissenschaftlerin heute mit Migration beschäftige. Nach dem Kriegsanfang in der Ukraine ist meine Schwester Anfang März zusammen mit ihrem Sohn aus Kharkiv geflohen. Beide leben nun bei mir in Nürnberg. Ich erlebe jetzt, was es heißt, Kriegsflüchtling zu sein."
Zum ersten Mal wird die "Massenzustromrichtlinie" in der EU angewandt. Was bedeutet das konkret für die Arbeitsmarktchancen der Kriegsflüchtlinge?
"Das ist sicherlich eine Lehre aus der großen Flüchtlingsbewegung von 2015. Sie eröffnet den sofortigen Einstieg in den Arbeitsmarkt, jenseits von Asyl. Die Erfahrung zeigt: Die oft langwierigen Verfahren und der damit verbundene, unsichere rechtliche Status belastet die Menschen sehr und beeinflussen die Arbeitsmarktintegration negativ. Diese lähmende Situation bleibt den ukrainischen Kriegsflüchtlingen zumindest erspart. Allerdings bekommen die Kriegsflüchtlinge zunächst diesen sicheren Status für ein Jahr - so ist die Situation bei meiner Schwester. Die jüngsten Pläne der Regierung, diese kurze Bleibeperspektive nun auf zwei Jahre zu erweitern, sind sehr zu begrüßen."
Was sind Bedingungen für eine gelingende Arbeitsmarktintegration der Kriegsflüchtlinge?
"Die Sprache zu erlernen, ist der erste Schritt, um eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration zu schaffen. Ohne Sprachkenntnisse können Geflohene zumeist nur auf niedrigstem Niveau einsteigen. Erfahrungen mit den Ukrainern, die schon früher nach Deutschland gekommen sind, zeigen, dass sie dieses Defizit schnell ausgleichen können."