Brennpunkt Kosovo: Weitere Spannungen in Europa
Autor: Werner Diefenthal
Deutschland, Montag, 29. August 2022
Droht ein neuer Krieg in Europa? Zwischen dem Kosovo und Serbien treten erneut Spannungen auf. Was bedeutet das für die Region und für Europa?
- Woher resultieren die Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo?
- Welche Folgen könnten diese haben?
- Droht ein neuer Krieg?
- Was hat Putin damit zu tun?
- Welche Folgen hätte ein Krieg in Europa?
Am 17. Februar 2008 rief der Kosovo seine Unabhängigkeit aus. Dem vorausgegangen war ein Krieg mit Serbien. Doch Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Nun eskaliert die Lage erneut. Droht der Balkan erneut zum Pulverfass zu werden?
Worum geht es im aktuellen Konflikt?
Der Hintergrund für die erneute Eskalation ist der Streit über eine gegenseitige Nichtanerkennung von Ausweisdokumenten und Autokennzeichen. Der Kosovo hat eine Bestimmung erlassen, nach der Serben für die Einreise in den Kosovo neben ihrem serbischen Ausweis ein kosovarisches Zusatzpapier sowie ein kosovarisches Nummernschild benötigen. Laut dem Ministerpräsidenten des Kosovo sei das eine Gegenmaßnahme dafür, dass Serbien seit Jahren bereits kosovarische Dokumente nicht anerkennt. Bei der Einreise nach Serbien erhalten Kosovaren ähnliche Dokumente, wie sie der Kosovo nun für Serben fordert. In der Folge der Ankündigung hatten serbische Einwohner des Kosovo in Grenznähe Straßenblockaden errichtet.
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Dies ist nicht der erste Vorfall. Im September 2021 hatten Kosovo-Serben Grenzübergänge mit Lastwagen blockiert, es soll Übergriffe auf Kfz-Zulassungsstellen im Norden des Kosovo gegeben haben, wo überwiegend ethnische Serben leben. Die Regierung des Kosovo schickte daraufhin Spezialeinheiten der Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen ins Grenzgebiet, was die serbische Regierung als Provokation empfand. Daraufhin wurden die Militäreinheiten an der Grenze in Kampfbereitschaft versetzt und Kampfflugzeuge und Hubschrauber in die Region geschickt.
Nach den jüngsten Zwischenfällen hat die KFOR-Mission unter der Leitung der NATO die Routine-Patrouillen verstärkt. Seit 1999 sind in der Region die NATO-Truppen stationiert, darunter befinden sich auch rund 80 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland. Die EU hat die Beteiligten zu einem Treffen nach Brüssel eingeladen, um über das weitere Vorgehen zu beraten und die Spannungen abzubauen. Der Ministerpräsident des Kosovo hat daraufhin das Inkrafttreten der neuen Regelungen vorerst auf den 1. September 2022 verschoben.
Geht es nur um die Grenzkontrollen?
Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie fragil der Frieden zwischen Serbien und dem Kosovo ist. Doch geht es nur um die Grenzkontrollen? Ein Tweet eines Abgeordneten der serbischen Regierungspartei scheint dies zu verneinen. Serbien könnte gezwungen sein, mit der "Entnazifizierung des Balkans" zu beginnen. Mit eben dieser Aussage begründet Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine. Man müsse die Ukraine von den Nazis befreien, sagte Wladimir Putin. Eine eindeutige Parallele, denn hier wird behauptet, dass westlich gesteuerte Nazis eine Revolution entfachen würden. Der serbische Präsident Aleksander Vučić sagte sinngemäß, sein Land wolle Frieden – aber nicht um jeden Preis.
Zusätzlich kommt hinzu, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennt. Vučić zeigt sich weiterhin unbeeindruckt vom Druck der Europäischen Union, der auf ihn ausgeübt wird, den Kosovo als Staat anzuerkennen. Dabei ist Serbien wirtschaftlich von der EU abhängig. Zwei Drittel der serbischen Exporte gehen in die EU, gleichzeitig erhält das Land seit 2007 jährlich rund 170 Millionen Euro als sogenannte Heranführungshilfe aus Brüssel. Diese finanzielle Abhängigkeit ist durch den Ukraine-Krieg noch gewachsen, der serbische Wirtschaftsmotor lahmt. Serbien stellte 2009 einen Mitgliedsantrag in die EU, seit 2014 laufen die Verhandlungen. Doch hat es momentan den Anschein, als ob Vučić sein Land nicht wirklich in die EU führen will. Seit geraumer Zeit sind keine Fortschritte mehr in den Gesprächen erzielt worden. Es scheint vielmehr, als sei der serbische Staatschef ideologisch näher an Russland als an der EU. Im April 2022 kaufte Serbien von China ein Raketenabwehrsystem, auch investieren die Chinesen in großem Stil in Serbien in Gesundheit, Bildung und die Überwachungsstruktur. Vučić scheint sich alle Optionen offenzuhalten.