Die Armee hatte die Menschen in der Stadt vor Beginn der Offensive dazu aufgerufen, sich in eine sogenannte humanitäre Zone im Süden des Küstenstreifens zu begeben. In der Zone gebe es mehr Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente und Unterkünfte, so die Darstellung des israelischen Militärs. Internationale Hilfsorganisationen haben immer wieder vor einer Verschärfung der schlimmen humanitären Lage im umkämpften Gazastreifen gewarnt.
Fast alle der rund zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen sind während des verheerenden Krieges, der schon seit fast zwei Jahren wütet, zu Binnenvertriebenen geworden. Viele von ihnen mussten schon mehrmals unter unbeschreiblichen Umständen fliehen. Den Vereinten Nationen (UN) zufolge ist die Versorgungslage in dem abgeriegelten Küstenstreifen dramatisch, vielen Menschen leiden an Hunger.
Wadephul: Eroberung der Stadt Gaza der falsche Weg
Außenminister Johann Wadephul kritisierte Israels Vorgehen. Deutschland trage eine besondere Verantwortung für den Staat Israel in dessen grundsätzlich gerechtfertigtem Kampf gegen die Hamas. «Aber wir schauen uns genau an, mit welchen Mitteln und zu welchen Kosten dieser Kampf geführt wird.» Die humanitäre Situation im Gazastreifen sei inakzeptabel, auch das Fortführen der Auseinandersetzung mit dem Ziel der Eroberung der Stadt Gaza sei der falsche Weg.
Die britische Außenministerin Yvette Cooper schrieb auf der Plattform X, die neue Offensive des israelischen Militärs sei «rücksichtslos und entsetzlich». Diese werde nur zur mehr Blutvergießen und zu mehr getöteten Zivilisten führen sowie das Leben der verbliebenen Geiseln gefährden. Es brauche eine sofortige Waffenruhe, forderte sie.
Sorge um das Schicksal der Geiseln
Das Forum der Angehörigen der Geiseln äußerte große Besorgnis. Nach 710 Nächten in der Gewalt von Terroristen «könnte heute Nacht die letzte Nacht für die Geiseln sein», hieß es in einer Erklärung des Forums in der Nacht auf Dienstag. Netanjahu entscheide sich bewusst dafür, «sie aus politischen Erwägungen zu opfern». Er ignoriere dabei völlig die Einschätzungen des Generalstabschefs und der Sicherheitsbehörden.
Oppositionsführer Lapid: Niemand versteht, was Israel will
Israels Oppositionsführer Jair Lapid warf Netanjahu vor, für die wachsende internationale Isolation des Landes verantwortlich zu sein. Dies habe keine höhere Macht verursacht, vielmehr sei Netanjahu der «Hauptschuldige», sagte Lapid. Der Ex-Ministerpräsident warf ihm unter anderem vor, er habe zu extremistischen Äußerungen seiner Minister zum Gazastreifen geschwiegen. Außerdem gebe es keine klare politische Linie. «Niemand auf der Welt versteht, was Israel will.» Es sei unklar, wie der Gaza-Krieg enden solle. «Alles ist amateurhaft und nachlässig und arrogant», kritisierte Lapid.
Das israelische Sicherheitskabinett hatte im August gegen den Widerstand der Militärspitze die Einnahme der Stadt Gaza gebilligt. Netanjahu sagte, die Armee solle dort die verbliebenen Hamas-Kräfte zerschlagen. Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind.
Der Gaza-Krieg begann mit dem Überfall der Hamas und weiterer islamistischer Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seither sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums rund 65.000 Palästinenser in dem Küstengebiet getötet worden, darunter zahlreiche Frauen und Kinder.
UN-Menschenrechtler werfen Israel Völkermord vor
Kritiker werfen Israel Kriegsverbrechen vor. Israel betont dagegen, man bekämpfe ausschließlich die Hamas, während Zivilisten von der Terrororganisation als «menschliche Schutzschilde» missbraucht würden.
Von den Vereinten Nationen bestellte Menschenrechtler warfen Israel am Dienstag auch vor, Genozid, also Völkermord, zu begehen. Die Kriegsführung Israels gegen die Hamas ziele auf die Auslöschung der Palästinenser ab. Vier der fünf in der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 erwähnten Tatbestände seien erfüllt, befand die dreiköpfige Kommission. Sie zitierte zahlreiche Reden und Schreiben der politischen und militärischen Führung Israels, die nach ihrer Überzeugung Völkermordabsichten belegen. Israel verurteilte den Bericht der Menschenrechtler als skandalös.