Richard David Precht hat ein Buch geschrieben. Darin geht es darum, dass sich immer mehr Menschen von anderen beleidigt fühlen. Die sollen sich nicht so anstellen, fordert er sinngemäß am Dienstagabend bei Maischberger im der ARD.
Knapp die Hälfte aller Bundesbürger ist laut einer Allensbach-Umfrage der Ansicht, man könne in Deutschland nicht gefahrlos seine Meinung sagen. Nicht ganz unverständlich, möchte man meinen. Zwar gibt es in Deutschland im Vergleich zu Ländern wie Russland keine politischen Repressalien, wenn jemand das sagt, was er denkt. Doch gerade in sozialen Netzwerken werden Diskussionen immer persönlicher, die Angriffe immer härter.
"Man kann natürlich in Deutschland frei seine Meinung äußern, aber die sozialen Kosten unliebsamer Meinungsäußerungen sind stark gestiegen", sagt Richard David Precht. Der Philosoph, der zu diesem Thema ein Buch geschrieben hat, ist am Dienstagabend zu Gast bei Sandra Maischberger im Ersten. Was Precht unter "sozialen Kosten" versteht? "Gesellschaftliche Ächtung: Man wird vielleicht nicht mehr eingeladen. Es kann sein, dass man am Arbeitsplatz aneckt, vor allem im Kulturbetrieb, wo falsche Äußerungen sehr stark sanktioniert werden."
Richard David Precht sieht "eine ganz unheilvolle Entwicklung"
Den Grund dafür sieht Precht in einer eigentlich positiven Entwicklung: "Die besteht darin, dass wir vor allen Dingen seit Mitte der 1960er-Jahre eine immer freiheitlichere Gesellschaft sind, die sukzessive die Rechte von immer mehr Menschen erkämpft hat und die Beteiligung und die Achtung immer weiter ausgedehnt hat, und parallel dazu gibt es Sensibilisierung und Emotionalisierung: Du darfst Deine Gefühle zulassen und über sie reden."
Diese Entwicklung sei eigentlich positiv gewesen. "Die Schattenseite ist: Je sensibler und emotionaler Menschen werden, umso verletzlicher werden sie, umso leichter fühlen sie sich angegriffen." Man kann das auch leichter formulieren: Man darf zwar alles sagen, doch die anderen Menschen sind schneller beleidigt. Selber schuld also? Ob das beispielsweise Journalisten auch so sehen, die in den letzten Jahren immer häufiger mit Morddrohungen konfrontiert werden, kann bezweifelt werden.
An der Meinungsfreiheit, die gesetzlich geregelt wird, habe sich in Deutschland nicht viel geändert, bekräftigt Precht. "Aber die Meinungstoleranz ist geringer geworden", sagt der Philosoph bei Sandra Maischberger. "Die Moralisierung der Gesellschaft ist enorm fortgeschritten." Jeder wolle, dass die anderen Menschen genau so denken wie er selber. Täten sie das nicht, fühle sich der Einzelne persönlich angegriffen. "Das ist eine ganz unheilvolle Entwicklung, denn so kann dauerhaft eine liberale Demokratie nicht funktionieren", warnt Precht.
"Wenn man sich ein dickeres Fell zulegt, dann gehen wir auch wieder gut miteinander um"
"Wie kommen wir da raus?" Fragt Moderatorin Maischberger. "Resilienz", antwortet Precht. "Anpassungsfähigkeit", könnte man auch sagen. Oder mit den Worten von Precht: "Wenn man sich ein dickeres Fell zulegt, dann gehen wir auch wieder gut miteinander um." Resilienz müsse aber auch an den verantwortlichen Stellen sein. Das gelte besonders im Kulturbetrieb. Verantwortungsträger müssten hinter denen stehen, die strittige Meinungen äußerten, fordert Precht, der selbst schon öfter in breite Kritik geriet.
Damit könnte das Gespräch dann schon zu Ende sein. Maischberger hat aber noch Sendezeit. Die Moderatorin spricht den TV-Philosophen auf dessen Familie an, seine Stiefgeschwister aus Vietnam und die Frage, warum er, Precht, denn nicht Politiker geworden sei. Weil es für ihn keine passende Partei gäbe, antwortet er.