Ein Prosit der Sterblichkeit

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"Tatort: Die letzte Wiesn"
Früher war nicht alles besser, aber die Wiesn war schöner. Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Batic (Miroslav Nemec) schwelgen in Kindheitserinnerungen.
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller
"Tatort: Die letzte Wiesn"
Auf ihre Besucher werden Betäubungsmittelanschläge verübt, dennoch wollen sie das Festzelt nicht schließen (von links): Georg Schemberg (Daniel Christensen), Kirsten Moosrieder (Gisela Schneeberger) und Korbinian Riedl (Leo Reisinger).
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller
"Tatort: Die letzte Wiesn"
Ina Sattler (Mavie Hörbiger) gehört zu den hübschesten und charmantesten Bedienungen im "Amperbräu"-Festzelt. Wie sehr sie ihr Job ankotzt, vermag sie gut zu verbergen. Zumindest meistens.
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller
"Tatort: Die letzte Wiesn"
"And this is the livingroom." - Franz Leitmayr zeigt den Untermieterinnen aus Skandinavien seine Wohnung. Er will so schnell wie möglich raus aus der Stadt - wie jedes Jahr zur Wiesnzeit.
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller
"Tatort: Die letzte Wiesn"
Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Batic (Miroslav Nemec) befragen die Wiesnbedienung Ina Sattler (Mavie Hörbiger), ob ihr etwas Verdächtiges aufgefallen ist. Im Festzelt vergiftet ein Unbekannter die Maßkrüge.
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller
"Tatort: Die letzte Wiesn"
Weil er seine Wohnung an Wiesntouristinnen zwischenvermietet hat, weicht der überraschend heimgekehrte Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) auf einen alternativen Schlafplatz aus.
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller
"Tatort: Die letzte Wiesn"
An der U-Bahn-Station Marienplatz fällt Leitmayr (Udo Wachtveitl, hinten), der auf dem Weg in den Urlaub ist, ein italienischer Tourist auf. Dass der Wiesnbesucher nicht betrunken ist, sondern betäubt wurde und später verstirbt, kann der Kommissar da noch nicht ahnen.
BR / Wiedemann Berg Television / Bernd Schuller

Im München hat erneut die fünfte Jahreszeit begonnen. Passend dazu wiederholt der BR den Oktoberfest-Krimi mit den Ermittlern Batic und Leitmayr aus dem Jahr 2015. Und der "Tatort: Die letzte Wiesn" ist ein bisschen wie das weltgrößte Volksfest selbst: laut, vulgär, lustig - und am Ende tief traurig.

Wieder was Interessantes gelernt beim "Tatort". Wiesn-Bedienungen tragen offenbar Radlerhosen unterm Dirndl! Warum? Weil ihnen die Besoffenen gern mal zwischen die Beine greifen. Wahrscheinlich hat es sich auch nördlich vom Weißwurstäquator längst rumgesprochen, dass das weltgrößte Volksfest mit einer bayrisch-gemütlichen Familienkirmes rein gar nichts mehr zu tun hat. Die Festzelte werden von Jahr zu Jahr voller, die Besucher auch. Gut zwei Wochen lang herrscht im Gebiet um die Münchner Theresienwiese Ausnahmezustand. In den Duft gebrannter Mandeln mischt sich verlässlich der Gestank von Erbrochenem und Exkrementen. Die Vorstellung, dass sich zwischen den aus aller Herren Ländern stammenden Bierleichen auch mal eine echte befinden könnte, ist eine naheliegende Steilvorlage für den Münchner "Tatort", der mit der Folge "Die letzte Wiesn" den Herzschlag der Stadt trifft.

Nur drei Tage, nachdem zur neuen Wiesn-Saison "o'zapft" wurde, ist der Krimi aus der Hölle der lebenden Bierleichen am Dienstagabend im BR treffend platziert. Gedreht wurde der Film, der zum Oktoberfest 2015 erstausgestrahlt wurde, freilich schon im Jahr zuvor, mitten im feucht-fröhlichen Trubel zwischen Festzelt, Fahrgeschäft und Sanitätsstation. Schön dass mal wieder ein Filmteam dahinging, wo's wehtut - der Regisseur Marvin Kren soll sich bei den turbulenten Dreharbeiten ein blaues Auge geholt haben. Im Gegenzug gab's authentisches Volksfestflair frei Haus, das kein amerikanischer Special-Effects-Experte so lebensnah hätte hinzaubern können.

"Es geht um einen kollektiven Zustand der Vergiftung"

Wem diese aus allen Fugen schlagende Rauschmittelsause, die nur der Preuße brav "Oktoberfest" nennt, per se gewaltig gegen den Strich geht, findet im Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Film einen Verbündeten. Der Kriminaler hat seine Wohnung wie jedes Jahr an Wiesntouristinnen zwischenvermietet und ist schon auf dem Weg, besser: auf der Flucht in die Toskana, da hält ihn ein scheinbar volltrunkener Italiener (ausgerechnet!) an der U-Bahn-Station Marienplatz auf.

Dass dann der Kommissar über die Leiche stolpern muss, die alles in Gang setzt, ist der schwächste Einfall eines ansonsten überzeugenden Drehbuchs (Stefan Holtz und Florian Iwersen). Da der Italiener bald verstirbt, muss der Augenzeuge Leitmayr jedenfalls zurück nach München, bis der Todesfall geklärt ist, und das dauert überraschend lange.

Wie sich zeigt, war der italienische Sauftourist nur mittelprächtig alkoholisiert. Dafür weist sein Blut Rückstände des kreuzgefährlichen Betäubungsmittels GHB auf. Bald ist klar: Ein Unbekannter geht im (fiktiven) Festzelt "Amperbräu" um und mischt den Bierseligen Tropfen in die Maß. Wer könnte so etwas tun? Etwa ein sonderbarer U-Bahn-Fahrer (Julius Feldmeier), der dem aufmerksamen Batic (Miroslav Nemec) bei einer Personenkontrolle auffällt? Oder doch die schöne Wiesnbedienung (Mavie Hörbiger) mit den Radlerhosen und der Drogenvergangenheit (in die sich der arme Leitmayr selbstredend verguckt)? Oder war's doch eher der junge Restaurantleiter (Leo Reisinger), der mit der Brauereierbin (Gisela Schneeberger) über Kreuz liegt?

"Es geht um einen kollektiven Zustand der Vergiftung - ob das Gift nun Alkohol, GHB, Gier oder Vergnügungssucht ist", brachte der Regisseur Marvin Kren die Essenz des bis dahin wahrscheinlich promillereichsten "Tatorts" aller Zeiten auf den Punkt. Im Ergebnis ist sein Wiesn-Krimi ein bisschen wie das Volksfest selbst: wild, laut, vulgär, unbeherrscht, lustig und bedrohlich. Und am traurigen Ende darf man sich sogar ein wenig verkatert fühlen.

Tatort: Die letzte Wiesn - Di. 23.09. - BR: 20.15 Uhr