Philipp Türmer: "Das sind arme Teufel, die massiv ausgebeutet werden!"
Konsequenzen sollen künftig auch Sozialbetrüger spüren. Einerseits soll eine einschlägige Richtlinie auf EU-Ebene den Begriff Mini-Job neu sowie präzise definieren, nannte Ziemiak die Pläne seitens der Regierung, gleichzeitig gehe es um Kontrollen und Razzien. "Das hat mit der EU zu tun, mit der Zuwanderung aus Südosteuropa", sagte er, "Rumänien, Bulgarien, Sinti und Roma - das sind die Strukturen, die wir in den Großstädten erleben." Damit müsse Schluss sein.
"Was Sie betreiben ist falsch", unterbrach Türmer. Zwar müsse man gegen "bandenmäßigen Betrug unbedingt etwas tun", doch die "Arbeitnehmer, die hier hergekarrt werden, sind nicht die Übeltäter". Hier Sinti und Roma zu benennen, drücke "ganz populistische Knöpfe", warf er dem CDU-Politiker vor. "Diejenigen, die die Sozialleistungen ausgezahlt bekommen und zu einem großen Teil an Hintermänner abführen müssen, sind Opfer", echauffierte er sich, "das sind arme Teufel, die massiv ausgebeutet werden."
Er könne doch "als vernünftiger Sozialdemokrat" nicht sagen, keiner sei schuld, appellierte Ziemiak ans Wertesystem seines Gegenübers. Die Leute könnten dieses politisch Korrekte nicht mehr hören. "Er hat ja gesagt, wer schuld ist", verteidigte Illner den Juso-Vorsitzenden, doch der brauchte keinen Beistand: "Als vernünftiger Sozialdemokrat stelle ich mich vor diejenigen, die selbst ausgebeutet werden", setzte er dagegen.
VdK-Präsidentin Verena Bentele zur Steuerpolitik Deutschlands: "Da läuft definitiv etwas schief"
Wie er seine Rolle als "vernünftiger Sozialdemokrat" verstand, stellte Türmer auch unter Beweis, als sich Illner mit den "reichen Menschen" befassen wollte. Vor zwei Wochen hatte sich Jens Spahn in der Sendung überraschend zur ungleichen Vermögensverteilung geäußert. "Ich schließe mich Spahn an, dass wir über die Verteilung sprechen", betonte Ziemiak - unter einer Voraussetzung: Man dürfe keine Arbeitsplätze gefährden, indem man beispielsweise kleine und mittlere Unternehmen bei der Erbschaft von Betriebsvermögen besteuere.
Ob auch Türmer mit dieser Diagnose übereinstimme, wollte Illner von ihm wissen: "In der Analyse tatsächlich, das hat mich selbst überrascht", gab er zu, war dann aber sofort wieder in seinem Element: "Was mich auch immer wieder überrascht bei CDU-Politikern wie Herr Ziemiak, ist, wie passioniert man sich darüber empören kann, wenn Menschen 563 Euro im Monat bekommen, damit sie überleben", kam er so richtig in Fahrt, "wenn sie aber völlig leistungslos und komplett unverdient und - leider Gottes in Deutschland gar nicht versteuert - mehrere Milliarden bekommen, dann ist das kein Problem. Wenn Sie diese Toleranz hätten bei Leuten, denen es dreckig geht, wie bei Leuten, die auf Ihrer Jacht sitzen ..."
Jetzt wurde es Ziemiak zu bunt: "Das ist unseriös und polemisch." - "Nein, das ist Realität", warf Türmer ein, doch der CDU-Politiker widersprach: "Das eine hat doch mit der anderen Frage nichts zu tun. Das Beste ist, wie wir Menschen in Arbeit bringen", wollte er offensichtlich über etwas anderes sprechen
Den Gefallen taten ihm weder Illner noch die anderen Gäste. "Wenn Kapitalertrag mit 25 Prozent besteuert wird, Arbeit mit über 40, kann man definitiv darüber nachdenken, ob in Deutschland die Steuerpolitik gerecht ist. Da läuft definitiv etwas schief", diagnostizierte VdK-Präsidentin Verena Bentele und forderte eine Vermögenssteuer nach dem Vorbild Frankreich.
Auch Palmer sah auf der Einnahmensseite Optionen: "Wenn die vermögensbezogene Steuer in den USA fünfmal höher ist als in Deutschland, gibt es Potenzial", betonte er. Es brauche sowohl zusätzliche Finanzmittel wie auch Kürzungen im Sozialbereich: "Nur zusammen wird ein Schuh daraus, sonst kriegen wir die Lücke nicht geschlossen", bezog er sich auf die fehlenden 240 Milliarden Euro im Bundeshaushalt.
Die Situation der Wirtschaft sei dramatisch und die Kommunalfinanzen ständen so schlimm da wie nie zuvor. Hier sei es an der "Zeit für ehrliche Worte an der Bevölkerung". Die Politik müsse den Ernst der Lage zur Kenntnis nehmen und sich auf Themen wie den Abbau von unnötigen Regelungen fokussieren. "Wenn es stimmt, dass die Bürokratie 150 Milliarden Euro im Jahr kostet, da kann man einen Teil auch für Sozialausgaben nutzen", meinte er und fügte hinzu: "Ich könnte ein paar Regelungen auf den Tisch legen, die ich sofort zerrreissen könnte, ohne etwas kaputt zu machen." Eines sei jedenfalls klar: "Der Herbst der Reformen ist dringend nötig."