Kann man ein Dokudrama über den Krieg filmkritisch bewerten?
Das Publikum hört im Film die echte Hind Rajab – verwirrt, verzweifelt und immer wieder um Hilfe flehend. Zwischendurch schallen Schüsse aus der rauschenden Aufnahme, bis Hind letztlich verstummt. Das erschüttert viele Zuschauer nachhaltig: Einige weinen, als sie den Kinosaal verlassen. Am Ende gibt es die längsten stehenden Ovationen des Festivals und nach der Premiere Menschen, die im Kinosaal palästinensische Flaggen schwenken.
Es ist ein Film, der auf die emotionale Überwältigung seiner Zuschauer setzt – und dem dies in Venedig eindrucksvoll gelang. Manche sprachen aber auch von Kalkül und emotionaler Geiselnahme - also dem Gefühl, nicht anders zu können, als von der Geschichte überwältigt zu sein, und das halb dokumentarische Werk nicht nach filmkritischen Maßstäben bewerten zu können.
Der Krieg beeinflusst das Kino
Der Krieg, das zeigen die Filmfestspiele Venedig eindrücklich, ist nicht nur auf der Kinoleinwand angekommen. Er beeinflusst auch die Art, wie Menschen über Kunst sprechen.
So auch bei der Preisverleihung. Jarmusch trug auf der Bühne einen Anstecker mit der Aufschrift «Enough», den auch Kaouther Ben Hania an ihrem Kleid befestigt hatte. Der Anstecker bezog sich auf den Gaza-Krieg, Ben Hania sagte dazu in ihrer Rede: «Ich fordere ein Ende dieser unerträglichen Situation. Genug ist genug.» Sie warf der israelischen Regierung vor, einen Völkermord zu begehen.
Mehrere andere Filmschaffende, darunter Indya Moore aus Jarmuschs «Father Mother Sister Brother», hatten im Lauf des Festivals in die gleiche Richtung argumentiert. Den Genozid-Vorwurf weisen Israel und auch die deutsche Regierung zurück.
Zurück zu den Zwischentönen
Kino kann, das zeigt die Rezeption von «Hind Rajab», einseitige Narrative verfestigen. Aber es kann auch Empathie schaffen. Bei der Preisverleihung sagte Jarmusch, Kunst könne «Verbundenheit zwischen uns erzeugen, was tatsächlich der erste Schritt zur Lösung unserer Probleme ist.»
Er bezog sich auf den jüdischen Filmemacher Benny Safdie, der für «The Smashing Machine» mit dem Regie-Preis ausgezeichnet wurde. Safdie hatte zuvor gesagt: «Empathie ist heute wichtiger denn je. Ich denke, das ist etwas, worum wir uns alle bemühen sollten.»
Nach der Preisverleihung wurde Jarmusch gefragt, ob er möchte, dass sein Film in Israel ins Kino kommt. Nicht, wenn dabei Geld der israelischen Regierung im Spiel wäre, antwortete der 72-Jährige. Um direkt anzufügen: «Es gibt wunderbare Menschen in Israel, mit starkem Geist, die ich liebe. Ich mag es nicht, zu verallgemeinern.»
Da sind wieder die Zwischentöne, die auch Jarmuschs Gewinnerfilm auszeichnen. Indya Moore formulierte es in Venedig treffend. Es gebe keine Helden und Antihelden in Jarmuschs Geschichten, sagte sie. «Es sind einfach nur Menschen.» Vielleicht war es diese Haltung, die die Jury letztlich davon überzeugte, dass Jarmusch der würdige Löwen-Gewinner ist.