Der Vorwurf von zu viel Diversität ist nicht neu. Schon öfter wollten Unternehmen mit bunter Werbung und Menschen verschiedener Hautfarben ein Signal dafür setzen, ihre Marke modern und jung erscheinen zu lassen.
Als etwa die Deutsche Bahn 2019 in einer Werbekampagne Reisende mit Migrationshintergrund abbildete, sorgte der Tübinger Oberbürgermeister und damalige Grüne Boris Palmer mit der Frage «Welche Gesellschaft soll das abbilden?» für Kopfschütteln.
Ein ähnlicher Aufreger sollte vergangenes Jahr mit dem Trikot der deutschen Nationalmannschaft in Pink-Lila hergestellt werden. Einigen missfiel die Farbwahl für den männlich geprägten Sport. Das Design verwische die Geschlechtergrenzen und sei «woke». Doch das verfing offenbar nicht: Für Ausrüster Adidas wurde der Dress zum Verkaufsschlager.
Was hinter dem Wokeness-Vorwurf steckt
In der Regel entspinnt sich solch eine Debatte von ganz Rechtsaußen. Eines der strategischen Ziele dabei: Aufregung generieren, um vermeintlich relevant zu bleiben. Protagonisten, die früh den Milram-Packungen zum Beispiel «anti-weiße Propaganda» vorwarfen, leben davon, viel Aufmerksamkeit zu erhalten. «Das ist ihr politisches und ökonomisches Lebenselixier», sagt Politikwissenschaftler Biskamp.
Der Milram-Hersteller verortet den Shitstorm «fast ausschließlich auf der Plattform X»: Dieser werde «durch Fake-Accounts und Bots verstärkt und klar aus dem rechten Spektrum gespeist – inklusive AfD-Unterstützung».
Politikwissenschaftler Holnburger spricht von einer rechten Szene auf X, «die das Thema ganz stark bespielt hat». Ihm zufolge wollen die extrem Rechten alles, «was irgendwie nicht dem entspricht, was sie als Normalbild definieren», unsichtbar machen. «Es geht darum, neben Heterosexualität und Weißsein alle anderen gesellschaftlichen Erscheinungsformen zurückzudrängen», also etwa queere oder nicht weiße Menschen.
Wie mit solchen Vorwürfen umgegangen werden sollte
Wenn ein Shitstorm dieser Art aufbraust, «kann und muss ein Unternehmen das aushalten, weil hier eine besonders aktive und laute Gruppe im Netz Stimmung gegen Minderheiten macht», so Holnburger. Die Firmen sollten weiterhin das tun, was den Tatsachen entspreche: die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilden.
So liest sich auch das Statement des Milram-Herstellers: «Was in bestimmten Kreisen als "woke" diffamiert wird, ist schlicht ein Spiegel unserer Gesellschaft.»
Das Entscheidende, ob solche Debatten Fuß fassen, sehen die Wissenschaftler Biskamp und Holnburger im Verhalten der demokratischen Parteien. Machen sich etwa Konservative und Liberale die Empörung von Rechtsaußen über eine angebliche Wokeness zu eigen - und wenn ja, wie? Oder sagen sie einfach: «Nein, zu diesem Käse habe ich jetzt mal keine Meinung.»
Am Ende bleibt ohnehin die Frage: Wie viele Leute regen sich tatsächlich auf, wenn sie nur zufällig dieser Packung im Supermarkt begegnen? Milram jedenfalls sieht auch zwei Wochen nach Einführung der Sonderauflage eine stabile Nachfrage: «Erste Rückmeldungen aus dem Handel bestätigen: Die Edition läuft unbeeindruckt vom digitalen Lärm.»