Jahrzehntealte Clubs schlossen zuletzt reihenweise
In Berlin wurde der ursprünglich schwule und legendär verruchte Club «Berghain» in den letzten Jahren zum Touristen-Hotspot und zur «Schaffe ich es hinein?»-Challenge.
In der Hauptstadt sorgten in den vergangenen Monaten außerdem Schließungen für Aufsehen: Clubs wie «Die Busche» (gegründet 1985 in Ost-Berlin an der Buschallee in Weißensee) und das «Connection» in Schöneberg (einst das Travestie-Cabaret «Chez Romy Haag») machten dicht, auch die Cruising-Bar «Mutschmann's» oder das Kaffeehaus «Berio».
Zeit für eine Nachfrage bei der «Siegessäule» in Berlin. Das seit 1984 erscheinende Stadtmagazin, dessen Anfänge im «SchwuZ» zu verorten sind, hieß anfangs «Monatsblatt für Schwule» und firmiert heute als «queer».
Kulturredakteur Kevin Clarke sagt: «Ich finde die Veränderungen in der LGBTIQ-Szene schon massiv, teils auch beängstigend. Viele aus nostalgischer Sicht liebgewonnene Orte werden "weggewischt". Aber es entsteht auch viel Neues.» Die Umwälzungen seien eine Chance für diejenigen, die sie zu nutzen wüssten, statt nur Altem nachzuweinen. So habe im traditionellen Schwulenkiez in Berlin-Schöneberg das eine Café zwar zu gemacht, dafür ein anderes soeben seine Fläche verdreifacht, trotz vielbeschworener Mietenexplosionen.
Die Community ist vielfältiger und verteilt sich mehr
Es gebe in der Szene Bingoabende, Dragqueen-Events, Naked-Sex-Partys, Fetisch-, Yoga-, Kuschel-Treffen oder sonstige Workshops. Gerade Orte zur «unmittelbaren Kontaktaufnahme» (wie die Sauna «Boiler» oft mit Schlange von auffallend vielen jungen Männern) boomten trotz Dating-Apps, meint Clarke, «weil es halt nach wie vor toll ist, Leute "in the flesh" zu sehen und ansprechen zu können».
Clarke meint: «Die Vielzahl der Menschen, die zum CSD auf der Straße ist, die geht ja im restlichen Jahr auch irgendwo hin. Vielleicht nicht mehr ins "SchwuZ", aber nur zu Hause sitzen die auch nicht. Sie mixen ihre Aktivitäten nur anders.» Und: «Weiße Schwule» seien nicht mehr der Mittelpunkt der Szene. «Die Community zerteilt sich mehr. Das ist nicht nur negativ. Auch Familie bedeutet ja für jeden und jede etwas Anderes.»
Gerade Jüngere suchen warme Orte statt kalter Keller-Ästhetik
Statt Underground-Atmosphäre oder einem kühlen Riesen-Club in einer dunklen Ecke von Neukölln (wohin das «SchwuZ» 2013 zog) suchten vor allem jüngere Queers oftmals ein Sicherheits- und Geborgenheitsgefühl, meint Clarke, echte Schutzräume, soziale Wärme.
Das sei umso wichtiger, wenn man vermehrt feindliche Worte von religiösen Fanatikern oder rechten Stimmungsmachern gegen die eigene Lebensart wahrnehme, die längst überwunden schienen.
Das gelte aber auch für manche extrem linke Stimmungsmache gegen Gruppen wie schwule Cis-Männer, die als Vertreter des Patriarchats abgekanzelt würden und sich dann oft woanders hinverziehen. «Beschimpfungen sind einfach nie eine gute Basis für eine Community und ein freundschaftliches Miteinander.»
Die Debatte um das mögliche Ende der traditionellen Schwulenszene steht somit exemplarisch für eine größere Frage: Wann werden kulturelle Einrichtungen zu Institutionen, die um jeden Preis bewahrt werden müssen und wann ist es an der Zeit, neue Formate und neue Bedürfnisse anzuerkennen?