Auch Anke Weißenborn empfiehlt, eine Diagnostik vom Arzt durchführen lassen und zu schauen, ob tatsächlich eine zusätzliche Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen angeraten ist. Vitaminpräparate könnten langfristig auch gesundheitliche Schäden anrichten, warnt sie. «Was über den normalen physiologischen Bedarf hinausgeht, kann für den Körper eine Belastung sein.»
Vitamin D sei ein prominentes Beispiel dafür. «Seit Jahren wird immer wieder gesagt, wir seien unzureichend versorgt und sollten es zusätzlich einnehmen, um unser Immunsystem zu stärken.» Inzwischen seien Fälle bekannt, in denen Eltern ihren Kindern sehr viel höhere Dosen verabreicht hätten als empfohlen. «Das hat teilweise zu schweren Störungen der Nierenfunktion geführt», so Weißenborn.
Auch bei anderen Präparaten könne es schnell zu Überdosierungen kommen, gerade wenn sie Süßigkeiten ähnelten. «Es sind keine harmlosen bunten Pillen und Gummibärchen, sondern da sind Stoffe enthalten, die einen gesundheitlichen Schaden hervorrufen können», so die Expertin.
Wirkungen und Wechselwirkungen unüberschaubar
Ein weiteres Problem aus ihrer Sicht: «Zunehmend werden die Präparate von den Herstellern auch noch mit Pflanzenextrakten, Fettsäuren oder anderen Stoffen angereichert, die eine physiologische Wirkung haben. Es kann kaum noch jemand überschauen, welche Wirkungen und auch Wechselwirkungen diese Stoffe im Körper möglicherweise auslösen.»
Für Eltern sei es so gut wie unmöglich einzuschätzen, welche Dosierung die richtige sei, sagt Angela Clausen. «Die Prozentangaben auf den Verpackungen beispielsweise gelten nur für Erwachsene», so die Expertin. Eine Untersuchung von 33 Produkten für Kinder habe in diesem Jahr gezeigt, dass in 13 Fällen sogar die Höchstmengenempfehlungen für Erwachsene erreicht oder überschritten wurden.
Es gebe europaweit keine Höchstmengen für den Zusatz von Mikronährstoffen oder sonstigen Stoffen zu Nahrungsergänzungsmitteln. «Das ist ein großes Problem», so Clausen. Theoretisch könne jeder Hersteller so viel oder so wenig in seine Produkte packen, wie er möchte - vorausgesetzt, das Produkt ist sicher.
Das BfR hat Höchstmengenvorschläge für den Einsatz solcher Mikronährstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln entwickelt, allerdings nur für Personen ab 15 Jahren. «Für Kinder haben wir keine Höchstmengenvorschläge abgeleitet, unter anderem auch, weil damit einer zusätzlichen Produktkategorie Vorschub geleistet worden wäre», erklärt Anke Weißenborn. Diese habe sich allerdings trotzdem etabliert. Auf «mikroco-wissen.de» hat das BfR Informationen über Mikronährstoffe gebündelt. Laut Weißenborn wird die Plattform noch um Informationen, die speziell Kinder betreffen, erweitert.
«Es ist immer möglich und viel sinnvoller, die Nährstoffe über übliche Lebensmittel aufzunehmen, anstatt in isolierter Form über eine Pille», sagt sie. In normalen Lebensmitteln seien auch andere wichtige Stoffe enthalten wie etwa Ballaststoffe. «Eine Vitamin-Pille kann keinen Apfel und auch keine ausgewogene Ernährung ersetzen.»
«Kinder, die sich gesund und ausgewogen ernähren, benötigen keine Nahrungsergänzung - dem stimmen wir voll und ganz zu», sagen auch Marlena Hien und Laurence Saunier. Aber: «Als Mütter von vier Kindern wissen wir, dass dies nicht immer der Realität entspricht und viele Kinder zu einer sehr einseitigen Ernährung tendieren.»
Aus Sicht von Angela Clausen erwecken die Präparate einen falschen Eindruck: «Wenn ich Probleme zum Beispiel mit der Schule habe, muss ich nur eine Pille schlucken oder ein Vitaminbärchen essen und dann wird alles wieder gut», so die Verbraucherschützerin. «Was Kindern wirklich gut tut, ist eine abwechslungsreiche Ernährung, Bewegung draußen, genügend Schlaf und Zeit mit den Eltern.»