Merkel geht beim Dieselskandal nicht in die Offensive - zu ihrem Schaden?

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Blick in eine CDU-Broschüre mit Porträts von Bundeskanzlerin Angela Merkel Foto: Kay Nietfeld, dpa
Blick in eine CDU-Broschüre mit Porträts von Bundeskanzlerin Angela Merkel Foto: Kay Nietfeld, dpa

Die Kanzlerin verliert deutlich an Zustimmung. Offenbar nehmen es ihr viele Leute übel, dass sie sich beim Diesel-Skandal bedeckt hält.

Diesmal wollte sie es ganz anders machen. In die Offensive gehen, Emotionen zeigen, Debatten führen und so. Von wegen. In Wahrheit setzt Angela Merkel auch in ihrem vierten Bundestagswahlkampf auf das bewährte Erfolgsrezept: Wer wenig macht, macht wenig falsch. Sollen sich die anderen ruhig an ihr abarbeiten. Sie ist schließlich die Kanzlerin, das muss als Botschaft genügen.
Glaubt man den Umfragen, wird diese Taktik auch diesmal aufgehen. Wäre da nicht die blöde Sache mit dem Diesel. Am Skandal um die deutsche Auto-Industrie will sich Merkel die Finger lieber nicht schmutzig machen. Dabei scheinen die Bürger genau das von ihr zu erwarten.


Zu nachsichtig?

Der aktuelle "Deutschlandtrend" der ARD hat das Zeug dazu, der CDU-Chefin zumindest ein bisschen die Urlaubslaune zu vermiesen. Mehr als zwei Drittel der Befragten haben das Gefühl, dass die Regierung zu nachsichtig mit den Schummlern von VW, Daimler und Co. umgeht. Die große Mehrheit ist sogar überzeugt davon, dass sich die Regierung mehr für die Interessen der Autoindustrie einsetzt als für die Gesundheit der Bevölkerung oder die Belange von Dieselfahrern. Und die Verantwortung dafür sehen die Leute allem Anschein nach in erster Linie im Kanzleramt.

Wenn es um die Frage geht, wie zufrieden die Deutschen mit einzelnen Politikern sind, erlebt Angela Merkel jedenfalls einen erstaunlichen Absturz. Waren im Juli noch 69 Prozent zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, so sind es jetzt nur noch 59 Prozent. Offenbar nehmen es viele Leute der Regierungschefin übel, dass sie die Vertrauenskrise der deutschen Vorzeigeindustrie nicht zur Chefsache gemacht hat. Zum Gipfel mit den Autobossen letzte Woche schickte sie Alexander Dobrindt, Barbara Hendricks und einen weithin unbekannten Staatsminister. Denen wurde später prompt vorgeworfen, sie hätten die Konzerne zu billig davon kommen lassen.


Merkel trifft Entscheidungen oftmals in der letzten Sekunde

Möglicherweise war genau das der entscheidende Grund für die Kanzlerin, diesem Termin fernzubleiben: Auch sie hätte den Herren aus Wolfsburg, Stuttgart oder München wohl nicht viel mehr abringen können, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sie riskiere Tausende Jobs. Machtstrategisch war es also gar nicht ungeschickt, zwei ohnehin eher schwachen Ministern das Feld zu überlassen - und zu schweigen, bis sich die dunklen Abgaswolken verzogen haben. Keine Frage, Angela Merkel ist eine gute Krisenmanagerin. Doch: Sie ist nie in die Offensive gegangen, sondern hat ihre (oft richtigen) Entscheidungen fast immer erst getroffen, wenn es nicht mehr anders ging.

Dieser Zeitpunkt scheint im Dieselskandal noch nicht erreicht zu sein. Denn zur Umfragewahrheit in diesem Wahlsommer gehört auch: Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die 63-Jährige ihren Schreibtisch im Kanzleramt im Herbst räumen muss. Herausforderer Martin Schulz kann von der Entscheidungsverweigerung seiner Rivalin nicht profitieren. Im direkten Duell mit der Amtsinhaberin liegt er um dramatische 26 Prozentpunkte zurück. Wechselstimmung sieht anders aus.




Text: Michael Stifter