Wegducken geht nicht: Die Ereignisse in Köln werfen die Frage nach Versäumnissen in der Integration auf und nötigen das Land, neue Antworten darauf zu finden. Der Erlanger Islamwissenschaftler Mathias Rohe kann dabei helfen.
Die Debatten nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht finden auf argumentativ vermintem Gelände statt. Die Vorfälle zu verschweigen oder zu beschwichtigen, wäre aber intellektuelle Feigheit und nur Wasser auf die Mühlen von Rechten. Was Deutschland jetzt braucht, ist eine ernsthafte Diskussion über Sicherheit, Integration und die Gesellschaft, in der wir leben wollen.
Menschen wie Mathias Rohe sind hier besonders gefordert. Rohe ist Jurist und Islamwissenschaftler an der Erlanger Universität. Er beschäftigt sich mit Islamismus und berät den Verfassungsschutz. Zuletzt hat er für das Berliner Justizministerium eine Studie über "Paralleljustiz" erstellt.
Haben Sie sich schon einen Reim auf die Ereignisse von Köln machen können?Mathias Rohe: Es ist ein Phänomen, das wir in Deutschland noch nicht erlebt haben. Das letzte und vielleicht auch einzige Mal, dass ich etwas Vergleichbares gesehen habe, war im Frühjahr 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz während der Proteste gegen den damaligen Präsidenten Mubarak. Auch damals haben Horden von Männern Frauen angegriffen und sexuell belästigt.
Sie halten die Darstellungen also für glaubhaft, dass es sich bei den Tätern in Köln um Nordafrikaner gehandelt hat?Die Berichte stimmen darin ja überein. Ich denke, dass man dem Glauben schenken kann. Generell sind Gruppen von betrunkenen Männern immer ein Problem für andere. Wir hatten in
Erlangen bis vor ein paar Jahren ja auch regelmäßig Ärger mit amerikanischen Soldaten. Oder denken Sie an das Oktoberfest. Ich glaube aber trotzdem, dass in Köln jetzt etwas Entscheidendes dazugekommen ist.
Was?Ein spezifisches Bild von europäischen Frauen. Viele Männer aus arabischen und nordafrikanischen Ländern halten europäische Frauen für freizügig, sexuell offensiv und deshalb billig zu haben. Das sind regelrechte sexuelle Fantasien.
Dass ein Minirock sexuelle Bereitschaft signalisiert, ist doch auch unter deutschen Männern keine so seltene Einstellung.Stimmt. Deshalb ist das, was wir jetzt in Köln erlebt haben, auch eine Begegnung mit unserer Vergangenheit. Es mag diese Einstellungen auch unter Deutschen noch geben, aber sie haben doch deutlich abgenommen.
Was also tun mit den Männern, die einem rückständigen Frauenbild anhängen?Da ist zum einen der Rechtsstaat gefordert. Zum anderen bedarf es großer Bildungsanstrengungen. Menschen aus anderen Kulturkreisen müssen lernen, mit den hiesigen Freiheiten verantwortungsvoll umzugehen.
Wie kann dies gelingen?
Durch Aufklärung. Ich selbst arbeite gerade an einer App, die kulturelle Unterschiede aufzeigen will. Da geht es um so einfache Dinge wie den Augenkontakt. In arabischen und nordafrikanischen Kulturen bedeutet ein längerer Augenkontakt schon ein Interesse, das auch sexueller Natur sein kann. In Europa ist er dagegen in den meisten Fällen nur eine freundliche Geste.
Das setzt aber die Bereitschaft voraus, eigenes Verhalten zu reflektieren und gegebenenfalls auch zu ändern.
Natürlich. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Flüchtlinge und Einwanderer dazu auch bereit sind. Es gibt im Übrigen auch Selbsthilfegruppen, in denen Männer aus patriarchalen Kulturen über ihr Frauenbild und Gewaltverhalten sprechen und diese zu ändern versuchen.
Ist dieses problematische Frauenbild religiös geprägt?
Das traditionelle Frauenbild ist - wie im Christentum über lange Zeit - auch im Islam patriarchalisch geprägt. Der Islam verurteilt aber solche Übergriffe wie in Köln sehr deutlich. Das Problem sind die patriarchalen Denkmuster in den Herkunftsländern. Die eigene Frau oder Schwester werden als besonders reine und fast schon heilige Figuren behandelt, außereheliche Beziehungen werden tabuisiert. Fantasien von sexueller Dominanz werden dann auf europäische Frauen projiziert, die, ich wiederhole mich, als besonders leicht zu haben gelten.
Sind die muslimischen Gemeinden Teil der Lösung oder Teil des Problems?
Teil der Lösung. Wenn sie an die gefährdeten Leute herankommen.
Sind junge Männer, die ihre Sexualität nicht ausleben können, nicht generell ein Problem für die öffentliche Sicherheit?
Junge Männer, die keine Sexualpartner haben und darüber hinaus zu viel Zeit totschlagen müssen, sind grundsätzlich nicht unproblematisch.
Welche Lehren stecken in den Kölner Ereignissen für die gegenwärtige Flüchtlingspolitik?
Man darf keinesfalls voreilige Verbindungen zwischen den ja noch unbekannten Tätern von Köln und Flüchtlingen ziehen. Unabhängig von Köln gilt aber auch weiterhin, dass man die Asylbewerber möglichst schnell in unsere Gesellschaft integrieren muss. Das beginnt mit Deutschkursen, Schule, Ausbildung und muss mit dem schnellen Einstieg in den Arbeitsmarkt weitergehen. Deutschland muss die Fehler aus den 80er-Jahren unbedingt vermeiden.
Welche waren dies?
Damals hat Deutschland Flüchtlingen systematisch den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Dies hat erheblich dazu beigetragen, dass insbesondere die nach Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bremen eingewanderten großen arabischen und kurdisch-libanesischen Clans mit den Jahren ein kriminelles Netzwerk aufgebaut haben. Da haben sich Parallelstrukturen gebildet, in denen das Gewaltmonopol des Staates nicht anerkannt wird.
Aber nicht jeder Arbeitslose wird zum Kriminellen.
Hinzu kommt aber, dass die Loyalitäten vieler Mitglieder ausschließlich dem Clan gelten und nicht dem Staat oder der Gesamtgesellschaft. Etwas anderes wird aber zu oft übersehen.
Was?
Dass die Flüchtlinge unter großem Druck stehen, hier Geld verdienen und an ihre zurückgebliebenen Familien schicken zu müssen. Die Menschen in den Herkunftsländern verstehen es meist nicht, wenn ihre Angehörigen in Deutschland an kein Geld kommen.
Das heißt?
Das heißt, dass sie alles daran setzen werden, Geld zu verdienen. Und wenn sie auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, suchen sie sich andere Wege.
Spricht das gerade nicht dafür, eben doch Obergrenzen zu definieren? Mehrere hunderttausend Flüchtlinge im Jahr wird selbst der deutsche Arbeitsmarkt auf Dauer nicht aufnehmen können.
Wie will Deutschland praktisch eine Obergrenze einhalten? Die Diskussion um Obergrenzen führt in eine Sackgasse.
Das Gespräch führte
Christoph Hägele.
Kommentar von Corinna Igler: Eine Armlänge reicht nicht!
Von einem Spießrutenlauf für Frauen in der Silvesternacht in Köln ist die Rede. Inmitten der feiernden Menschenmenge seien Frauen umzingelt, angefasst und bestohlen worden. Das darf nicht sein.
Mindestens genauso unzulässig ist aber, was sich im Internet, in sozialen Netzwerken abspielt: Unklar ist nach wie vor, wer die Täter sind. Zeugen haben das Aussehen der Täter als nordafrikanisch beschrieben. Mehr aber auch nicht. Mehr wussten aber innerhalb weniger Minuten scheinbar zahlreiche Internetnutzer. Flüchtlinge waren's - ganz klar. Fehler hat die Polizei gemacht. Und schuld an allem ist überhaupt Angela Merkel.
Was haben aber eigentlich die anderen Leute in der 1000 Personen umfassenden Menschenmenge am Bahnhof gemacht? Es waren keine 1000 Täter, wie einige Internetnutzer ebenso wissen (auch wenn sie gar nicht selbst in Köln waren), sondern Einzelpersonen und kleinere Gruppierungen aus dieser Menge heraus. Warum waren die Polizeibeamten nicht in der Lage, mehr für die weinenden und geschockten Frauen zu tun?
Um Antworten darauf zu bekommen, bedarf es eines sachlichen Auf-den-Grund-Gehens, nicht hysterischer Schnellschüsse oder pauschaler Vorverurteilungen.
Wenn bei diesem Auf-den-Grund-Gehen am Ende herauskommen sollte, dass die jüngsten Gewalttaten in Zusammenhang mit einem bestimmten kulturellen, Frauen abwertenden Hintergrund stehen, darf das nicht hingenommen werden.
Die Rolle der Frau in der Gesellschaft muss deutlich gemacht werden - und zwar nicht nur gegenüber Fremden. Die Gefährdung von Frauen muss nun wieder herhalten für die Machenschaften verschiedenster Gruppierungen - leider auch rechter.
Frauen müssen sich trauen, ihre Ideen zu vertreten. Doch nicht nur wir Frauen sind gefordert. Die Männer müssen ihresgleichen in die Schranken weisen, wenn es zu Überheblichkeiten, Pöbeleien oder eben gar zu Übergriffen gegenüber Frauen kommt. Und die Polizei muss in der Lage sein zu helfen.
Dass manche Frau nun Angst hat, ist nachvollziehbar. Allerdings müssen wir dieser Angst begegnen. Dass Touristen ihre Trips nach Köln nun absagen, ist der falsche Weg. Vielmehr müssen wir zeigen, dass wir uns derartige Angriffe nicht gefallen oder uns dadurch gar einschüchtern lassen. Mit einer Armlänge Abstand ist das sicher nicht getan.