Alter Baustoff neu entdeckt

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Lehm als Baustoff wird vor allem aufgrund seiner guten baubiologischen Eigenschaften geschätzt.
Lehm als Baustoff wird vor allem aufgrund seiner guten baubiologischen Eigenschaften geschätzt.
Alt und neu lässt sich leicht kombinieren wie man an dieser restaurierten Lehmdecke auf neuen Mauern aus Poroton-Steinen sieht.
Alt und neu lässt sich leicht kombinieren wie man an dieser restaurierten Lehmdecke auf neuen Mauern aus Poroton-Steinen sieht.
 
Beim Entkernen alter Häuser trifft man häufig auf alte Baustoffe wie Lehm.
Beim Entkernen alter Häuser trifft man häufig auf alte Baustoffe wie Lehm.
 
Lehmsteine, eine lose Lehmmischung und Wasser: Mehr braucht man nicht, um die Gefache eines Fachwerkhauses zu füllen.
Lehmsteine, eine lose Lehmmischung und Wasser: Mehr braucht man nicht, um die Gefache eines Fachwerkhauses zu füllen.
 
Alte Lehmdecken müssen bei einer Sanierung nicht zwangsläufig ausgetauscht werden.
Alte Lehmdecken müssen bei einer Sanierung nicht zwangsläufig ausgetauscht werden.
 
Aus alt mach neu: Die Gefache eines Fachwerkhauses lassen sich beim Sanieren leicht wieder mit Lehmsteinen ausmauern. Fotos: Jessica Rohrbach
Aus alt mach neu: Die Gefache eines Fachwerkhauses lassen sich beim Sanieren leicht wieder mit Lehmsteinen ausmauern. Fotos: Jessica Rohrbach
 

Bauen mit Lehm erfährt eine Renaissance - das Naturprodukt lässt sich sowohl im Alt- als auch im Neubau verwenden

Wer ein altes Haus saniert, entdeckt dabei häufig Zeugen aus längst vergangenen Tagen. Das können alte Zeitungen, vergessene Bodenbeläge oder aber auch historische Baustoffe sein. Oft trifft man dabei auf Lehm, das älteste Baumaterial der Menschheit. Wer jetzt einfach das alte Material durch moderneres ersetzt, der macht mitunter einen Fehler. Denn Bauen mit Lehm ist wieder im Kommen - und das zu Recht.
Seit mehr als 9000 Jahren ist Lehm als Baustoff bekannt und auch heute noch lebt etwa ein Drittel der Weltbevölkerung in Lehmhäusern. Mit Ende des 19. Jahrhunderts wurde Lehm immer mehr durch industriell gefertigte Baustoffe verdrängt. Trotzdem gibt es in Deutschland derzeit noch rund zwei Millionen Gebäude, in denen Lehm verarbeitet wurde, Tendenz wieder steigend. Derzeit ist das Naturprodukt häufig in vor 1950 errichteten Fachwerkhäusern zu finden - etwa in den Innenwänden, als Putz oder in den Geschossdecken. Und hier erfüllt es seinen Zweck auch nach mehreren hundert Jahren noch sehr gut.

Kein Arme-Leute-Baustoff

"Leider gilt Lehm in der Öffentlichkeit noch häufig als Arme-Leute-Baustoff bzw. rückschrittlich - ein Vorurteil, das auf Unkenntnis beruht", sagt Stephan Jörchel vom Dachverband Lehm e.V. Dabei hat der Baustoff hervorragende baubiologische Eigenschaften: Durch Zugabe von Wasser kann man Lehm leicht verarbeiten. Auch altes Material kann man auf diese Art und Weise mit wenig Aufwand wiederverwenden. Nach der Verarbeitung trocknet der Baustoff an der Luft aus und wird fest, sodass man einfach und umweltschonend stabile Wände errichten kann.

Gutes Raumklima

Besonders beliebt ist Lehm in der heutigen Zeit vor allem wegen seines guten Einflusses auf das Raumklima. Lehm ist sorptionsfähig, das heißt, er kann den in der Luft enthaltenen Wasserdampf aufnehmen und auch wieder abgeben. Zudem speichert er Wärme. So sorgen Lehmoberflächen im Wohnbereich für einen angenehmen Ausgleich von Luftfeuchtigkeit und Temperatur und damit ganz nebenbei auch für mehr Wohlbefinden der Bewohner.
"Außerdem benötigt Lehm nur einen Bruchteil der Energie zur Gewinnung als Baustoff und zur Verarbeitung zu Bauprodukten ebenso wie für die Entsorgung. Er ist also sehr ökologisch, nachhaltig, lokal verfügbar, wiederverwendbar, schadstofffrei, unbedenklich und gesundheitsfördernd", ergänzt Jörchel. Nicht umsonst komme Lehm auch in der Naturheilkunde und im Wellnessbereich häufig zum Einsatz, beispielsweise als Heilerde oder als Hauptbestandteil eines belebenden Lehmbades.

Keine erhöhte radioaktive Belastung

In negative Schlagzeilen gerieten Lehmbaustoffe vor drei Jahren, als in einem fränkischen Fachwerkhaus erhöhte radioaktive Strahlung nachgewiesen wurde. Ist Lehm also radioaktiv belastet? "Hierfür gibt es keine plausiblen Beweise", so Jörchel. "Im Gegenteil: Alle Lehmbaustoffhersteller unseres Verbandes haben ihre Produkte auf Unbedenklichkeit gemäß gesetzlich gültiger Grenzwerte prüfen lassen. Der genannte Artikel beruhte auf Einzelfallmessungen, deren Ursachen hypothetisch und unwissenschaftlich aufbereitet wurden. Er ist daher irritierend und verunsichernd für den Verbraucher."
Neuere wissenschaftliche Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Lehmbaustoffe im Vergleich zu anderen mineralischen Baustoffen bei ausreichend bemessenen Schichtstärken sogar zu einer besseren Abschirmung gegen hochfrequente elektromagnetische Strahlung, beispielsweise von Mobilfunksendeanlagen, beitragen.

Vielfältige Verwendungsmöglichkeiten

Als Baustoff wird Lehm gerne in Form von Putzen oder Farben verwendet. Stephan Jörchel erläutert dies näher: "Lehm kann im kompletten Innenbereich von Gebäuden angewendet werden, gerade in Räumen mit erhöhter bzw. schwankender Raumluftfeuchte wie Bad oder Küche sollte Lehmputz auf den Oberflächen verwendet werden, da er die relative Luftfeuchtigkeit im Komfortbereich des menschlichen Behaglichkeitsempfindens einstellt bzw. hält. Lediglich auf Oberflächen, die direkt mit Spritzwasser oder dauerhaft mit Wasser in Berührung kommen, wie zum Beispiel Duschkabinen, Spülbeckenbereichen und anderem sollte kein Lehmputz verwendet werden, weil er wasserlöslich ist."
Neben Putzen gibt es aber auch noch eine große Auswahl an weiteren Baustoffen aus Lehm: Man unterscheidet dabei zwischen ungeformten Baustoffen wie zum Beispiel Mörtel, Schüttung, Stroh- oder Stampflehm, sowie geformten wie Lehmsteinen oder -platten. Am bekanntesten sind wohl die Lehmsteine, die man mit einer Schicht aus mit Wasser angerührtem Lehmmörtel wie Backsteine verbaut und so entweder ganze Wände errichten, oder aber auch die Gefache von Fachwerk- oder Holzständerhäusern ausmauern kann.

Höchstes Stampflehmhaus steht in Weilburg

Ebenso beliebt ist Stampflehm. Dieser hat seinen Namen durch die Methode erhalten, mit der er verarbeitet wird. Hierbei wird der erdfeuchte Lehm zwischen eine druckfeste Schalung geschüttet und mit Stampfgeräten verdichtet. Stampflehm kommt häufig in Fußböden zum Einsatz. Hier besticht der Lehm entweder pur durch seinen zeitlosen Look und seine natürliche Oberflächentemperatur oder dient als Träger fester Bodenbeläge aus Ziegeln, Natursteinplatten und ähnlichem. Er lässt sich aber auch gut zu tragenden Wänden verarbeiten. Dies beweist unter anderem ein sechsgeschossiges Wohnhaus in Weilburg. Das 1827 errichtete Haus gilt derzeit als das höchste Stampflehmhaus Deutschlands.

Sanierung mit Strohlehm

Für Neubauten eher ungebräuchlich, in alten Fachwerkhäusern jedoch häufig zur Sanierung verwendet ist mit Stroh angereicherter Lehm. Dieser wird entweder zur Reparatur alter Ausfachungen oder aber als Deckenfüllung verwendet. Traditionelle Lehmdecken sind häufig sogenannte Stakendecken. Als Staken werden längliche, in der Regel runde Holzstangen, bezeichnet, die ähnlich einem Lattenrost zwischen den Balken eingebracht werden. Darauf wird dann eine Schicht aus Strohlehm aufgebracht und mit den Decken bündig glattgestrichen. Manchmal wurden dazu auch die Staken selbst mit Strohlehm umwickelt und noch feucht nebeneinander zwischen den Balken eingelegt. Diese Deckenart wird auch als Lehmwickeldecke bezeichnet.

Baustoff für Selbermacher

Ein Vorteil bei fast allen Lehmbaustoffen ist der, dass man sie auch als Bauanfänger recht gut verarbeiten kann. Hierzu erhält man entweder gute Tipps beim Lehmexperten vor Ort oder kann an Lehmbauseminaren teilnehmen, die häufig in Freilandmuseen oder direkt beim Baustoffhändler angeboten werden. "Nur edle Putzoberflächen sind nichts für Laien, dafür benötigt man einiges handwerkliches Geschick", warnt Jörchel.
Bei allen Vorteilen hat das Bauen mit Lehm aber auch einen Haken: Im Gegensatz zu heute gebräuchlichen Baustoffen muss man bei eher selten verwendeten Materialien immer ein bisschen tiefer in die Tasche greifen - so auch bei Lehm. Jörchel spricht von 10 bis 30 Prozent Kostendifferenz. Einlagiger Lehmputz kostet beispielsweise im Schnitt 20,50 Euro pro Quadratmeter, einlagiger Kalkputz hingegen nur 19 Euro. Je nach Hersteller und Anbieter sind jedoch größere Preisspannen möglich. Es lohnt sich daher, vor Bau- bzw. Sanierungsbeginn verschiedene Angebote einzuholen. Außerdem ist es ratsam, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen. Das rät auch Stephan Jörchel: "Wer überlegt, mit Lehm zu bauen, sollte sich umfangreich informieren und Lehm als Baustoff selbst ausprobieren. Wer dann nicht mit Lehm baut ist selbst schuld!"
Weitere Informationen rund um das Bauen mit Lehm gibt es im Internet unter: www.dachverband-lehm.de/lehmbau-info/ Jessica Rohrbach