An Cum-Ex-Geschäften Beteiligte haben das Ziel, sich so die Kapitalertragssteuer ggf. auch mehrmals erstatten zu lassen, die sie jedoch letztlich nie gezahlt haben. Dazu sind sowohl der gewählte Zeitpunkt als auch das schnelle und undurchsichtige hin und her Geschiebe der Aktienpakete von Bedeutung. Die Transaktionen werden nicht in Echtzeit nachvollzogen und bleiben daher für die Finanzbehörden oftmals undurchsichtig. Für sie ist im Nachhinein nicht mehr zu ermitteln, wer zu welchem Zeitpunkt im Besitz der Aktienpakete war und damit das reguläre Recht auf Erstattung der Kapitalertragssteuer hatte. Insbesondere dann, wenn solche Deals über verschiedene internationale Banken und Investoren abgewickelt werden. Der Bundesgerichtshof urteilte am 28. Juli 2021 dazu, dass es sich bei dieser bewussten Verfahrensweise in betrügerischer Absicht um eine strafbare Steuerhinterziehung handelt.
Die Bedeutung von Leerverkäufen bei Cum-Ex-Geschäften
Was sind Leerkäufe?
Im Rahmen der Cum-Ex-Geschäfte erlangten auch sog. Leerverkäufe eine besondere Bedeutung. Bei Leerverkäufen spekulieren Anleger auf fallende Aktienkurse. Sie profitieren insbesondere dann, wenn die meisten anderen Anleger Verluste erleiden. Dazu leihen sich Investoren gezielt bestimmte Aktien, bei denen sie von sinkenden Kursen ausgehen und verkaufen diese sofort wieder. Bei fallenden Kursen kaufen sie dann die Aktien zum Ende der (vereinbarten) Leihe zu einem günstigeren Kurs zurück.
Der Gewinn resultiert dann aus der Differenz von Kauf- und Verkaufspreis. Die Antwort auf die berechtigte Frage, warum Aktienbesitzer Aktien verleihen, ist einfach. Sie verdienen mit der Leihe Geld, weil sie dafür Gebühren erheben. Ein wirklich erfolgreicher Leerverkauf entsteht demnach nur dann, wenn die Kurse so tief fallen, dass die Differenz aus Kauf- und Verkaufspreis deutlich mehr als die gezahlten Gebühren einbringt. Weil Gewinne pro leer gekaufter Aktie oft nur Cent-Beträge betragen, werden mit dieser Absicht getätigte Leerverkäufe in einem Handelsvolumina von mehreren Millionen Stück umgesetzt.
Leerkäufe und Cum-Ex-Geschäfte
Solche Leerverkäufe wurden auch im Zuge der Cum-Ex-Geschäfte vor dem Dividendenstichtag getätigt. Dazu vereinbarten Verkäufer und Käufer für die jeweiligen Transaktionen einen Preis und einen Zeitpunkt, legten aber nicht offen, wer wann im Besitz welcher Aktien war. Hierbei machten sich die Beteiligten die zeitliche Lücke in Bezug auf den tatsächlichen Besitz der Aktien zunutze. Denn bei Leerverkäufen wird im Kaufvertrag geregelt, bis wann die Aktien geliefert werden müssen. Verspätete Lieferungen werden mit einer sog. Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende vereinbart. Die Nettodividende errechnet sich dabei aus der Dividende abzüglich der gezahlten Steuer. Auch auf diese Kompensationszahlungen müssen Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschläge gezahlt werden. An dem Punkt argumentierten die später Angeklagten, dass im Gesetzestext explizit nur inländische Kreditinstitute dazu verpflichtet wurden und legten dies im Umkehrschluss so aus, dass dies nicht für ausländische Kreditinstitute gelten würde. Dem war jedoch nicht so.
Beispiel
Verkauft eine ausländische Bank AB zum Beispiel am Tag (vor) der Hauptversammlung eines Aktienkonzerns sog. "Cum-Aktien" (mit Dividendenanspruch) an eine deutsche Bank DB1, wobei diese Aktien noch gar nicht im Besitz der ausländischen Bank AB sind, handelt es sich klassisch um einen Leerverkauf. Weder die ausländische Bank AB noch die deutsche Bank DB1 besitzen am Tag der Hauptversammlung entsprechende Aktien. Somit haben beide auch kein Anrecht auf Dividendenzahlungen und müssen somit auch keine Kapitalertragsteuer bzw. Solidaritätszuschlag leisten. Am Tag nach der Hauptversammlung verkauft nun eine weitere deutsche Bank DB2 sog. "Ex-Aktien", für die zum Verkaufszeitpunkt kein Dividendenanspruch bestanden hat, an die ausländische Bank AB.
Weil die deutsche Bank DB2 zum Zeitpunkt der Hauptversammlung rechtmäßige Eigentümerin der Aktien war, hat die Bank Dividenden erhalten und die fälligen Steuern und Abgaben abgeführt. Dafür hat sie eine entsprechende Steuerbescheinigung erhalten. Die ausländische Bank AB liefert die jetzt von der deutschen Bank DB2 erworbenen "Ex-Aktien" an die deutsche Bank DB1 weiter. Dabei handelt es sich (verabredungsgemäß!) um die Aktien, welche die deutsche Bank DB1 anfangs von der ausländischen Bank AB gekauft hatte. Diese werden jetzt "verspätet" geliefert, als Aktien ohne Dividendenanspruch. Zusätzlich erhält die deutsche Bank DB1 von der ausländischen Bank AB auch die vereinbarte Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende (Dividende abzgl. der Kapitalertragsteuer.) sowie eine entsprechende Steuerbescheinigung für die Abführung der Kapitalertragssteuer (auf die Kompensationszahlung). Denn ursprünglich waren ja im Kaufvertrag "Cum-Aktien" vereinbart, also Aktien mit Dividendenanspruch.
Die deutsche Bank DB1 hat nun also ebenfalls eine Steuerbescheinigung. Denn sie kann belegen, über den Leerverkauf "Cum-Aktien" erworben und eine Nettodividende erhalten zu haben, bei der die Steuer über die Kompensationszahlung (eigentlich) bereits abgeführt wurde. Weil die ausländische Bank AB diese Kapitalertragsteuer jedoch eben nicht an ein deutsches Finanzamt abgeführt hat, handelt es sich hierbei um Betrug. Über Umwege gehen die Aktien letztlich wieder zurück an die deutsche Bank DB2, der die Aktien ursprünglich gehörten. Die beiden deutschen Banken DB2 und DB1 können sich mit ihren jeweiligen Steuerbescheinigungen Beträge zurückerstatten lassen, die sie dann mit der ausländischen Bank AB teilen.
Bewertung von Cum-Ex und Cum-Cum Geschäften
Neben den Cum-Ex-Praktiken gibt es noch eine weitere Betrugsart, die in der Öffentlichkeit etwas weniger bekannt ist. Dabei handelt es sich um die Variante der sog. Cum-Cum-Geschäfte. Laut Gabler-Banklexikon sind diese darauf ausgerichtet, "inländische Aktien von regelsteuerpflichtigen Ausländern kurz vor der Dividendenzahlung auf einen körperschaftssteuerbegünstigten Inländer zu übertragen und unmittelbar nach der körperschaftssteuerbefreiten Dividendenvereinnahmung wieder an den ausländischen Aktionär zurückzugeben."
So können sich beispielsweise amerikanische Fonds bei Cum-Cum-Geschäften die Steuern auf Dividenden sparen. Dazu werden Cum-Aktien (mit Dividendenanspruch) lediglich kurzfristig, ausschließlich für den Zeitpunkt der Dividendenauszahlung, zum Beispiel an ein ausländisches (deutsches) Geldinstitut übertragen (verliehen), welches berechtigt ist, Kapitalertragsteuern zurückerstattet zu bekommen. Nach der erfolgten Ausschüttung werden die Aktien wieder an den ursprünglichen Besitzer zurück übertragen. Die auf diese Art und Weise gesparten Steuern werden im Nachgang (wieder verabredungsgemäß) unter den beteiligten Instituten und den Kunden aufgeteilt. Weil laut Ernst & Young weniger als ein Drittel (31 Prozent) der DAX-Aktien deutschen Anlegern gehören, konnte sich der Steuerschaden aus CumCum-Geschäften laut Capital in den Jahren 2001 bis 2021 auf bis zu 30 Mrd. Euro summieren.
Bei derartigen verabredeten Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäften liegt ein bewusster systematischer Betrug am Fiskus vor. Letztlich entsteht ein finanzieller Schaden, der von allen Steuerzahler*innen getragen wird. Aufspüren, Nachvollziehen und Beweisführung sind bei solchen komplexen Finanztransaktionen nicht leicht. In den laufenden Verfahren sind die ermittelnden Stellen auch daher darauf angewiesen, dass sog. Insider ihr Wissen preisgeben. So erhielten laut haufe.de zwei Londoner Investmentbanker vom Landgericht Bonn auch deshalb vergleichsweise milde Strafen, weil es durch ihre freiwilligen Aussagen für die Staatsanwaltschaft überhaupt erst möglich war, Ermittlungen aufzunehmen und gegen weitere maßgebliche Cum-Ex-Akteure vorzugehen.
Regulierung und rechtliche Entwicklungen
Argumentation der Angeklagten
Zu Beginn der bisherigen Aufklärungsversuche argumentierten viele Angeklagte mit Bezug auf bestehende Gesetzeslücken, wodurch derartige Finanztransaktionen im Rahmen gesetzlicher Grauzonen durchaus durchgeführt werden hätten können. So entschied am 15. Dezember 1999 der Bundesfinanzhof, dass bereits beim Kauf einer Aktie deren wirtschaftliches Eigentumsrecht an den Erwerber übergeht. Unabhängig davon, ob diese sofort oder auch erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert werden. Somit war das Tor geöffnet, dass es steuerrechtlich bei Cum-Ex-Deals grundsätzlich auch zwei Eigentümer*innen geben kann. Es ist gemäß dem Kanzlei-Portal von Juhn Partner zeitlich nicht genau abzugrenzen, seit wann sich Cum-Ex bzw. Cum-Cum-Geschäfte genau vollzogen haben. Angenommen wird jedoch, dass mit diesem Urteil der Startschuss für derartige Geschäfte gegeben wurde.
Rechtliche Grundlage zur Unterbindung von Cum-Ex-Geschäften
Weiter wird an der Stelle ausgeführt, dass im Zeitraum zwischen 2007 und 2012 zwar weitere, aber weitestgehend wirkungslose Regelungen getroffen wurden, um derartige Praktiken zu unterbinden. Erst seit der Reform, wonach Kapitalertragssteuern von den Depotbanken anstelle der Aktiengesellschaften abzuführen sind, und es danach nur noch möglich ist, ausschließlich Steuerbescheinigungen für wirklich gezahlte Steuern zu erhalten, wurden Cum-Ex technisch zumindest eingeschränkt. Durch die Reform des Investmentsteuergesetzes im Jahr 2016 wurden dann auch Cum-Cum-Geschäfte rechtlich nicht mehr möglich.
Eine europäische Finanzpolizei?
Weil die Anreize sowohl für Cum-Ex als auch Cum-Cum-Geschäfte vor allem im internationalen und grenzüberschreitenden (pan-europäischen) Transaktionshandel liegen, spricht sich das Netzwerk Steuergerechtigkeit dafür aus, einen automatischen Austausch von Daten zu Kapitalertragssteuern von Großunternehmen vorzunehmen. Ein solcher Austausch würde unrechtmäßige Steuerrückzahlungen zeitnah und nachvollziehbar offenlegen. Zudem sollen sich außereuropäische Länder verpflichten, ihre europäischen Geschäftspartner darauf hinzuweisen, wenn Betrugsmodelle "von internationaler Relevanz im eigenen Land aufgedeckt werden." Das Netzwerk fordert weiter eine "europäische Finanzpolizei" sowie, dass europäische Finanzaufsichtsbehörden ihre Rolle aktiver wahrnehmen. Darüber hinaus finden sich auf der Website des Netzwerks eine Reihe weiterer Punkte, die Cum-Ex und Cum-Cum-Praktiken verhindern sollen. Zum Beispiel ein verpflichtendes Lobbyregister, eine verstärkte Kooperation von nationalen und internationalen Steuerbehörden, eine adäquate Bestrafung und Abschreckung sowie entsprechende Strafen für Unternehmen und der Entzug von professionellen Lizenzen für Banken und Steuerberater*innen.
Fazit: Erhebliche Schäden und schwierige Aufklärung
Bei Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäften handelt es sich nach aktueller Rechtsprechung eindeutig um illegale Finanztransaktionen, die dem Staat und damit allen Steuerzahlern erhebliche Steuerschäden zufügen. Profiteure sind Großinvestoren sowie die dazugehörigen Banken, die sich im Zuge unzulässiger Steuerspar- und Renditeoptimierungsmodellen individuell bereichern. Der Sachverhalt ist komplex und die Möglichkeiten, derartige Geschäfte aufzuspüren, nachzuverfolgen und zu bestrafen, stellen sich auch heute noch als schwierig dar. Finanzielle Eigeninteressen und Abhängigkeiten sowie unzureichende Mittel zur Aufdeckung sind im Spiel des globalen Finanzsektors als die größten Hürden anzusehen. Hinzu kommen noch angebliche Gedächtnislücken von beteiligten Personen und eine fehlende moralische Integrität mancher Investoren.