Was ist eigentlich systemisches Coaching, wie arbeiten Coaches und wie wird man selbst Coach?

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Jeder Mensch hat seine individuelle Lebensgeschichte. Somit lebt jeder Mensch in seiner subjektiv-individuellen Wirklichkeit. Die empathische und wertschätzende Haltung im systemischen Coaching berücksichtigt diesen Ansatz.
Symbolbild: Coaching
Jason Goodman/unsplash.com
Jeder Mensch hat seine individuelle Lebensgeschichte. Somit lebt jeder Mensch in seiner subjektiv-individuellen Wirklichkeit ...
Jeder Mensch hat seine individuelle Lebensgeschichte. Somit lebt jeder Mensch in seiner subjektiv-individuellen Wirklichkeit. Die empathische und wertschätzende Haltung im systemischen Coaching berücksichtigt diesen Ansatz.
Joachim Tiefenthal
Unterschiedliche Anlässe für Coaching.
Unterschiedliche Anlässe für Coaching.
Joachim Tiefenthal

Systemisches Coaching: Über den Begriff wirst du unweigerlich stolpern, wenn du dich in Business-Netzwerken wie LinkedIn oder XING bewegst. Aber was ist das für ein Beruf? Wie kannst du systemischer Coach werden?

  • Was ist Coaching?
  • Anlässe für Coaching
  • Systemisches Coaching - Was ist der Unterschied?
  • Vorteil von systemischem Coaching
  • So wirst du systemischer Coach

Der Begriff Coaching oder Coach wird immer noch häufig mit einem sportlichen Umfeld in Verbindung gebracht. So wird der*die Trainer*in einer Mannschaft gerne auch Coach genannt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Tätigkeit als Coach oder Coachin zunehmend vor allem im beruflichen Kontext ausgeweitet und etabliert. Der DBVC (Deutscher Bundesverband Coaching e.V.) definiert den Begriff Coaching als "professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs-/ Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen und Organisationen." Darüber hinaus wird Coaching mittlerweile aber auch für viele andere Bereiche des täglichen Lebens angeboten: Life-Coaching, Ernährungs-Coaching, Familien-Coaching, Personal Coaching oder Beziehungs-Coaching - die Liste lässt sich beliebig weiterführen.   

Anlässe für Coaching

Die Anlässe für ein Coaching sind vielfältig. Im Leben stehst du immer wieder mal vor Situationen, in denen du nicht so wirklich weiß, wie du dich entscheiden sollst. Dein innerer Kompass zeigt in bestimmten Momenten oder Lebensphasen nicht eindeutig die Richtung an. Das kann im privaten oder im beruflichen Umfeld sein. Manchmal spüren wir auch, dass wir uns selbst nicht (mehr) grün sind. Wir haben das Gefühl, etwas bei uns selbst verändern zu müssen, wissen aber nicht so recht, wie wir es anpacken sollen.

Im Privatem geht es häufig um Themen, die in der Partnerschaft, Familie oder im Freundeskreis aufkommen. Im beruflichen Kontext stehst du vielleicht (un-)freiwillig vor Situationen, den Job zu wechseln oder zu verlieren, eine neue Aufgabe anzugehen, in ein anderes Team zu wechseln oder es bestehen Konflikte mit Vorgesetzten, Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen. Nicht selten vermischen und verstärken sich die jeweiligen Problemlagen wechselseitig. Wir nehmen Privates mit zur Arbeit und umgekehrt. Das Ergebnis ist für alle Betroffenen und Beteiligten belastend. 

Somit treten Konstellationen und Ereignisse in unserem Leben auf, die Konfliktpotenzial besitzen, uns zu Veränderungen zwingen, für die wir Entscheidungen treffen müssen. Abhängig vom Zeitpunkt, ab dem du dich für ein Coaching entscheidest, liegen die Anlässe zeitlich zurück, sind gerade akut oder werden von dir antizipiert und perspektivisch erwartet.      

Systemisches Coaching - Was ist das?

Ein Coaching stellt grundsätzlich Hilfe zur Selbsthilfe dar. Die Rat- und Hilfesuchenden können durch das Coaching die eigenen Ressourcen aktivieren. Dazu setzt der Coach zielgerichtete Interventionen ein. Mittels vielfältiger Methoden und Tools soll der Coachee (der oder die ein Coaching in Anspruch nimmt) durch Selbstreflexionen eigenständig zum Ziel gelangen, seine aktuellen Problemstellungen aufzuspüren, für ihn geeignete Lösungsansätze zu finden und sie umzusetzen. Der Coachee formuliert dabei im Rahmen seines Coachings Themen und Zielsetzungen immer selbst. Der Coaching-Prozess verfolgt als ergebnis- und lösungsorientierte Beratungsform das Ziel, die eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten oder zu steigern, gibt jedoch keine Erfolgsgarantie.

Systemisches Coaching arbeitet auch auf diese Art und Weise, nimmt für sich jedoch explizit eine ganzheitliche (systemische) Perspektive in Anspruch. Jeder Mensch wird durch seine Sozialisierung, seine Lebenserfahrungen, sein privates wie berufliches Umfeld und die Resultate seiner getroffenen Entscheidungen geprägt. Alle Entscheidungen, die wir treffen, und jedes daraus resultierende Verhalten basieren auf dieser Prägung sowie den abgespeicherten und bewerteten Erfahrungen. Durch sie entstehen unser Wertekompass, unsere Haltung, Einstellung, unsere Verhaltens- und Reaktionsmuster.

Somit lebt jeder Mensch in seinem subjektiv-individuellen System. Du kannst es auch Blase oder Bubble nennen. Durch die Interaktionen mit anderen Systemen treffen unzählige unterschiedliche Lebensgeschichten und Erfahrungen täglich aufeinander – das birgt Konfliktpotenzial. Denn jeder Mensch hat seine subjektiv-individuelle Wirklichkeitskonstruktion. Die empathische und wertschätzende Haltung im systemischen Coaching berücksichtigt diesen Ansatz: Jedes Verhalten ist vor dem jeweiligen Systemhintergrund kontextbezogen und zumindest erklärbar. Das ist nicht gleichbedeutend mit allgemein akzeptierbar oder gar im Falle von Straftaten entschuldbar.

Vorteile von Systemischen Coaching

Systemisches Coaching betrachtet dich als Mensch ganzheitlich und berücksichtigt insbesondere deine Wurzeln. In der systemischen Arbeit werden die Unterschiede zwischen Ursache und Wirkung (Zirkularität)  herausgearbeitet und in Beziehung zu deinem situativen Kontext gesetzt. So lernst du zu verstehen, wie Ursache und Wirkung zusammenhängen, warum du dich in bestimmten Situationen immer gleich verhältst oder warum du oft in gleiche, von dir aber eigentlich nicht gewünschte, Situationen hineingerätst. Erfolgreiches systemisches Coaching steigert deine Handlungskompetenz. Du lernst nicht nur zu verstehen, sondern auch, wie du dein Verhalten ändern kannst, um in Problemlagen für dich besser reagieren zu können.

Aufgrund des tiefer gehenden Ansatzes wird systemisches Coaching manchmal mit einer Psychotherapie verglichen. Bei der Frage, wann zwingend eine psychotherapeutische Behandlungsmethode angezeigt und wann ein systemisches Coaching weiterhilft, kommt u.a. auch auf den Leidensdruck des Patienten eine erhebliche Bedeutung zu. Sowohl die persönliche Wahrnehmung als auch die empfundene Tiefe des Problems, bezogen auf die Einschränkungen im Arbeits- oder Alltagsleben, spielen eine wesentliche Rolle dafür, ob jemand als krank (Patient) eingestuft und damit einer Psychotherapie zugeführt wird. Die Ausprägung und Intensität von "Leidensdruck" und "Problemtiefe" sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, sind dabei maßgeblich entscheidend für einen Therapieerfolg.

Obgleich es einen offensichtlich großen Überschneidungsbereich zwischen Psychotherapie und Coaching gibt, sollte die Grenze klar gezogen sein: Während sich gesunde Menschen (Klienten) durch Coaching unterstützen lassen (können), richtet sich Psychotherapie an Menschen, die sich durch ihr Problem so maßgeblich eingeschränkt fühlen, dass eine Störung von "Krankheitswert" diagnostiziert werden kann.

So wirst du systemischer Coach

Als Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnung ist der Begriff "Coach" bzw. "Coachin" nicht geschützt und es bedarf von offizieller Seite keinerlei Ausbildungsnachweise. Somit könntest du dich ab heute Coach oder Coachin nennen und entsprechende Dienstleistungen anbieten. Anders als Coaching ist die Psychotherapie eine gesetzlich geschützte Profession. Nur wer über eine Approbation in Psychotherapie verfügt, darf Menschen behandeln und sich Psychotherapeut*in nennen. Kurz gesagt: Jeder darf sich Coach nennen, aber nicht jeder Coach darf sich auch als Psychotherapeut*in ausweisen. 

Eine Vielzahl von Instituten und selbsternannten Ausbilder*innen bieten eine Qualifizierung zum systemischen Coaching an. Um einen gewissen Qualitätsstandard im freien Markt etablieren zu können, haben verschiedene Coaching Verbände eine Zertifizierung eingeführt. Ein solches Qualitätssiegel, das man nur unter bestimmten Voraussetzungen vom jeweiligen Verband erhält, soll Interessierte (z.B. auch Unternehmen) dabei unterstützen, nicht an eine falsche Adresse zu geraten.

Wenn du in Erwägung ziehst, dich als systemischer Coach ausbilden zu lassen, informiere dich bei den entsprechenden Verbänden. Sie können dir wertvolle Tipps geben, mit welcher Ausbildung du dich am Markt behaupten kannst. Neben einer Ausbildung ist es vor allem die vielfältige Lebenserfahrung, das Interesse an Menschen und eine empathische und wertschätzende Haltung, die einen guten Coach, eine gute Coachin ausmachen.