Am Ende sind es dann die mitunter sehr unternehmensspezifischen Anforderungen sowie bestehende demografische Arbeitsmarktstrukturen, die einen Wechsel unmöglich werden lassen. Ganz abgesehen von familiären Lebensentwürfen, die sich trotz motivierter Veränderungsbereitschaft nicht so leicht umbiegen lassen.
Zuwanderung als Mittel gegen den demografischen Wandel
In der Diskussion um den Fachkräftemangel wird immer wieder die dringliche Notwendigkeit der qualifizierten Zuwanderung angeführt. Nach dem Vorbild der Gastarbeiteroffensive Mitte der 50er und Anfang 60er Jahre sollen junge und qualifiziert ausgebildete Menschen aus dem Ausland dafür gewonnen werden, hier in Deutschland heimisch zu werden und vor allem in sozialen, gesundheits- und technischen Berufen zu arbeiten.
Laut der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gehe die Deutsche Industrie- und Handelskammer hier derzeit von etwa 2 Millionen vakanten Stellen aus – Tendenz steigend. Denn eine der Hauptursachen für den Fachkräftemangel sei der demografische Wandel. In Deutschland altere die Bevölkerung zusehends und damit verschiebe sich sukzessiv das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Ruheständlern. Dies wiederum mit eklatanten Folgen für das derzeitige Rentensystem. Dass eine Zuwanderung nicht ohne Weiteres verordnet werden kann, liegt u. a. daran, dass nicht nur in Deutschland Bedarf in den genannten Bereichen besteht und wirklich gut qualifizierte und nachgefragte Fachkräfte im Ausland überzeugt werden müssen, nach Deutschland zu kommen.
Zudem sehen hierzulande auch nicht genügend Menschen in diesen, häufig immer noch schlecht entlohnten Berufen für sich keine attraktive Zukunft. Dadurch verstärken sich die Engpässe, denen in erster Linie strukturelle und gesellschaftspolitische Entwicklungsfaktoren zugrunde liegen. Abgesehen davon, dass weltweit in unterschiedlich starker Ausprägung zunehmend nationalistische Tendenzen festzustellen sind, die i. d. R. mit einer nur geringen Willkommenskultur und gesellschaftlichen Toleranz einhergehen. Von daher mag eine qualifizierte Zuwanderungspolitik lösungsorientiert, aber zu einfach gedacht sein. Denn sie umzusetzen liegt an den jeweils vorherrschenden Gegebenheiten und ganz besonders an den Menschen und ihrem kulturell geprägten Umgang miteinander.
Brauchen wir eine neue Agenda?
Mit Blick auf die derzeitige Lage und zugleich gut 20 Jahre zurück, wird der Ruf nach einer neuen Agenda 2010 laut. Die seinerzeit im März 2003 vorgeschlagene Agenda 2010 sah umfangreiche politische Reformmaßnahmen in den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Ausbildung, Sozialversicherung und Arbeitsmarkt vor. Damals gab es hierzulande eine hohe Arbeitslosigkeit mit 4,3 Mio. Menschen (11,6 %), ein wie heute nicht vorhandenes Wirtschaftswachstum (-0,1 %) sowie die gesamte Weltkonjunktur belastende Irak-Krise. In allen diesen Themenfeldern besteht auch aktuell wieder Reformbedarf.
Im Vergleich zu heute sind verschärfende Entwicklungen u. a. in den Bereichen der Digitalisierung und Sicherheit, der notwendigen, aber nur schleichenden Transformation von Ökonomie und Ökologie sowie der Migration, überwiegend ausgelöst durch politische Instabilitäten und Kriege, hinzugekommen. Zudem entsteht unter den europäischen Staaten keine kraftvolle Einigkeit, sodass Interessenkonflikte und Abhängigkeiten ein gemeinsames Handeln verhindern. Veränderungen der außenpolitischen Landschaft sowie deren sich verschiebende Kräfteverhältnisse erschweren zusätzlich. Nicht zuletzt zeichnet sich bedingt durch hohe Energiepreise, vergleichsweise strikte Umweltauflagen und eine starre Bürokratie eine zunehmende Deindustrialisierung ab.
Ob vor diesem komplexen Hintergrund eine rein national-innenpolitische neue Agenda eine ausreichende Lösung sein kann, bleibt daher fraglich. Gleichwohl steht außer Frage, dass es mehr denn je dringlich ist, sich ob der bestehenden Herausforderungen strategisch und konzeptionell, ggf. auch mit einer Agenda neu aufzustellen. Hier spielen wiederum die innenpolitischen Machtverhältnisse eine entscheidende Rolle, die im Februar 2025 mit den Neuwahlen entschieden werden.
Bruttoinslandsprodukt: So setzt es sich in Deutschland zusammen
Die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft, ausgedrückt durch das sog. Bruttoinlandsprodukt (BIP), wird in verschiedene Wirtschaftssektoren unterteilt: in den primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft), den sekundären Sektor (produzierender Industriesektor) sowie den tertiären Sektor (Dienstleistungssektor). Aktuell trägt zu knapp 70 % der Dienstleistungssektor zum BIP bei. Während der produzierende Industriesektor ohne den Bausektor bei etwa 24 % zum BIP beiträgt, das Baugewerbe knapp 6 %, erwirtschaftet die Land- und Forstwirtschaft kaum noch 1 %. Insbesondere im Zusammenhang mit massiven Klimaschutzmaßnahmen, die den (deutschen) CO₂-Ausstoß dauerhaft reduzieren sollen, klagt die deutsche Industrie nicht nur über im internationalen Vergleich hohe Energiekosten.
Durch EU-Verordnungen und EU-Direktiven, aber auch durch eigene Entscheide, hat sich Deutschland mit ambitionierten staatlichen Eingriffen und Lenkungsmaßnahmen auf dem beschrittenen Klimaschutzweg selber hohe, kaum überwindbare Hürden auferlegt: Verbot von Ölheizungen, Verbrenner-Verbot bei PKW, Verschärfung der Flottenverbrauchsformel, kurzfristiger Kohle- und sukzessiver Erdgasausstieg, Planungen zum Rück- und Umbau der Gasnetze, Energieeffizienzgesetz und Atomausstieg. Zu allen Punkten lässt es sich kontrovers diskutieren. In Summe tragen sie, u. a. auch nach Meinung von Ökonom Professor Sinn, jedoch dazu bei, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu schwächen und zu destabilisieren. Perspektivisch gerät damit dann auch der derzeit noch rd. 70%ige BIP-Anteil des Dienstleistungssektors unter Druck, da Dienstleistungen nur dann weiterhin in Anspruch genommen werden können, wenn die dafür notwendige wirtschaftliche Basis stabil bleibt.
Binnennachfrage in Form von privatem Konsum wird umso bedeutender, wenn die Exportnachfrage zu lahmen beginnt. Privater Konsum wiederum ist nur zu erwarten, wenn die Menschen optimistisch und planbar in eine vermeintlich sichere Zukunft schauen. Dafür fehlen aktuell an vielen Stellen momentan die Grundlagen, wodurch die Forderung des Instituts für Wirtschaft nach mehr Konsumneigung zwar aus wissenschaftlicher Sicht nachzuvollziehen ist, aber für alle Betroffenen doch etwas höhnisch klingen mag.
Ökonomischer Wettbewerb sichert Wohlstand weltweit
Eine allgemeingültige und von allen Beteiligten akzeptierte Antwort zur Lösung der skizzierten Herausforderungen wird es und kann es nicht geben. Dafür bestehen weltweit zu unterschiedliche Sozial- und Wirtschaftssysteme, die ungleich verteilten, lediglich temporären, aber nicht dauerhaften Wohlstand für alle bereithalten können. Denn dieser Wohlstand begründet sich überwiegend auf einem konkurrierenden ökonomischen Wettbewerb sowie die überverhältnismäßige Inanspruchnahme natürlicher Umweltressourcen. Interessenkonflikte, Abhängigkeiten sowie ideologisch und religiöse geprägte Weltanschauungen verhindern zusätzlich, dass wir friedlich miteinander statt gegeneinander leben.
Die ungleichen Bedingungen fördern zugleich die Motivation, nach Besserem zu streben. Der Weg dorthin wiederum wird unterschiedlich beschritten. Je mehr individuelle Freiheitsgrade bestehen, desto mehr scheint es notwendig zu sein, in Form von regulierenden Gesetzen sowie Ge- und Verboten eine gewünschte Ordnung herzustellen. Dabei führt der allseits geschätzte Umgang mit persönlichen Freiheiten nicht zwangsläufig dazu, zugleich Verantwortung für das gesellschaftliche und gemeinschaftliche Wohl zu übernehmen.
Insofern würden eine nationale Agenda sowie weiterführende internationale Abkommen über eine soziale, ökonomische und ökologische Zusammenarbeit zwar gute gemeinte Absichtserklärungen darstellen, aber letztlich die Probleme nicht lösen. Als aktuelles Beispiel dient die mit ernüchternden Ergebnissen zu Ende gegangene Weltklimakonferenz in Baku.
Prognosen: Wie wird das Jahr 2025?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) in Berlin hat in seinen jüngsten Annahmen für das laufende Jahr eine Stagnation prognostiziert und erwartet für die beiden kommenden Jahre 2025 und 2026 ein leichtes Wachstum von 0,9 beziehungsweise 1,4 Prozent. Während privater Konsum nur allmählich anziehe, sinke die Inflation weiter. Der Industrieaufschwung bleibt nach Annahmen des DIW zunächst aus, der Dienstleistungssektor stützt dabei das Bruttoinlandsprodukt. Angesichts der zu erwartenden, ansteigenden Arbeitslosenzahlen blickt das Institut verhalten darauf, dass sich der private Konsum im weiteren Prognosezeitraum als entscheidende Wachstumsstütze erweisen wird.
Zu groß sei die Verunsicherung über die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die durchaus die Kauflaune der Verbraucherinnen und Verbraucher trüben könne. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit Sitz in Nürnberg sieht voraus, dass der Arbeitsmarkt durch den aktuellen Wirtschaftsabschwung zunehmend beeinträchtigt wird, sich die Beschäftigung, gemessen an der schwachen Konjunktur, aber noch vergleichsweise stabil halten wird.
Für das Jahr 2025 sei mit einer geringen Zunahme der Erwerbstätigen um 170.000 auf dann 35,12 Millionen Personen zu rechnen, was aber einen neuen Höchststand bedeuten würde. Die Anstiege beruhen laut IAB jedoch allein auf sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigungen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten sinke in beiden Prognosejahren.