In der Arbeitswelt genießen schwangere Frauen besonderen Kündigungsschutz.
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Wann beginnt der Kündigungsschutz bei einer Schwangerschaft? Bei dieser im Arbeitsrecht wichtigen Fragen bleibt das Bundesarbeitsgericht bei seiner bisherigen Rechtsprechung und wendet damit eine Verschlechterung der Bedingungen ab.
Während der Schwangerschaft gibt es ein Kündigungsverbot
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg legt ein neues Rechenmodell vor
266 oder 280 Tage – was gilt?
Bundesarbeitsgericht beharrt auf mehr Schutz für Schwangere
In Deutschland kommen im Monat rund 60.000 Babys zur Welt. Ist die Frau berufstätig, hat sie einen besonderen Kündigungsschutzund eine gesetzlich geschützte Auszeit vom Berufsleben: den Mutterschutz. Beim Kündigungsschutz streiten sich Gerichte, mit welchem Rechenmodell der Termin für den Beginn der Schwangerschaft zu ermitteln ist. Das ist deshalb so wichtig, weil ab diesem Zeitpunkt der Arbeitgebende die Arbeitnehmerin nicht mehr kündigen kann. Jetzt hat die zweite Kammer des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt im Streit um 266 oder 280 Tage ein Machtwort gesprochen. Für die betroffene Frau war das alles andere als nur ein juristischer Streit. Für sie ging es um viel Geld.
Während der Schwangerschaft gibt es ein Kündigungsverbot
Bekommt eine berufstätige Frau ein Kind, gelten für sie einige Wochen vor und nach der Geburt besondere gesetzlicheBestimmungen. Sie sind zusammengefasst im Mutterschutzgesetz (MuSchG). Ein wichtiger Punkt: Laut § 17 Absatz 1 darf der Arbeitgeber seiner schwangeren Arbeitnehmerin nicht kündigen. Die Regelung beinhaltet ein Kündigungsverbot, wonach eine Entlassung während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig ist. Ausnahmen von diesem Kündigungsverbot gibt es, wenn es eine Geschäftsaufgabe oder Betriebsstilllegung gibt.
Das Arbeitsverhältnis ist trotzSchwangerschaft in folgenden Fällen wirksam zu beenden, wobei die Gründe für die beabsichtigte Kündigung nicht mit dem Zustand der Frau in der Schwangerschaft im Zusammenhang stehen dürfen:
Die Arbeitnehmerin kündigt selbst. Der Arbeitgeber hat in diesem Fall die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu benachrichtigen. Die Eigenkündigung ist nach § 10 Absatz 1 MuSchG ohne Einhaltung einer Frist zum Ende der Schutzfrist nach der Entbindung möglich.
Arbeitgeber und Arbeitnehmerin schließen einen Aufhebungsvertrag.
In Kleinbetrieben (bis fünf Beschäftigte), wenn der Arbeitgeber zur Fortführung des Betriebes dringend auf eine entsprechend qualifizierte Ersatzkraft angewiesen ist, die er nur einstellen kann, wenn er mit ihr einen unbefristeten Arbeitsvertrag schließt.
Dem Arbeitgeber muss die Schwangerschaft und der Entbindungstermin bekannt sein. Auf Verlangen des Arbeitgebers muss die Mitarbeiterin ein Zeugnis vorlegen, das von Ärztinnen oder Ärztenoder Hebammen ausgestellt werden kann. Die Kosten für eine Schwangerschaftsbescheinigung trägt der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat dann die zuständige Aufsichtsbehörde (Amt für Arbeitsschutz) über die Mitteilung der werdenden Mutter zu benachrichtigen. Er darf die Information nicht ohne Rücksprache mit der werdenden Mutter anderen Drittenbekannt machen.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg legt ein neues Rechenmodell vor
Soweit wichtige Regeln, wie sie im MuSchG niedergelegt sind. Der Zeitpunkt für den Beginn des Kündigungsverbots während einer Schwangerschaft ist im Gesetz allerdings nicht näher definiert. War bei der Kündigung noch nicht klar, dass die Mitarbeiterin schwanger ist und ob der besondere Schutz besteht oder nicht, muss ein Rechenmodell herhalten, um den Schwangerschaftsbeginn zu bestimmen.
Und genau an diesem Punkt hat das Landesarbeitsgericht (LAG) in Baden-Württemberg versucht, den Kündigungsschutz für Schwangere aufzuweichen und eine Lockerung durchzudrücken (LAG, Urteil vom 1.12.2021, Az.: 4 Sa 32/21). Und das war der Fall: Der Arbeitgeber kündigte einer Mitarbeiterin fristgerecht innerhalb der Probezeit. Die Beschäftigte klagte gegen ihre Entlassung vor dem Arbeitsgericht. Ihr Anwalt legte eine Schwangerschaftsbestätigung vor. Diese stammte von der Frauenärztin der Arbeitnehmerin, die bestätigte, dass sie sich in der sechsten Schwangerschaftswoche befinde. Später wurde dann eine ärztliche Bescheinigung über den voraussichtlichen Geburtstermin nachgereicht.
Die Arbeitnehmerin machte geltend, dass die Entlassung wegen des Kündigungsverbots während einer Schwangerschaft gemäß § 17 Absatz 1 MuSchG unwirksam sei. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei sie bereits schwanger gewesen, wovon sie aber nichts wusste. Direkt als sie davon erfuhr, habe sie dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass Beschäftigte zum Zeitpunkt der Kündigung nicht schwanger war. In jedem Fall sei die Mitteilung an den Arbeitgeber zu spät erfolgt. In einer solchen Ausgangslage hilft nur, ein Rechenexempel weiter. Damit ist Klarheit über den Beginn der Schwangerschaft und damit über den Kündigungsschutz zu schaffen.
266 oder 280 Tage – was gilt?
Das LAG erklärte die Kündigung für wirksam. Einen Verstoß wegen § 17 Absatz 1, Nr. 1 MuSchG mochte es nicht erkennen. Das Gericht rechnete in seinem Modell aber nur 266 Tage vom voraussichtlichen Entbindungstermin zurück und bestimmte so den Schwangerschaftsbeginn. Der neue Wert hat erhebliche Auswirkungen: Lag er doch vier Tage nach Zugang der Kündigung. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Arbeitnehmerin danach nicht schwanger.
Das Gericht widersetzte sich damit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Das Rechenmodell des BAG geht von 280 Tagen aus, die vom ärztlich berechneten voraussichtlichen Entbindungstermin zurückzurechnen ist. Nach Auffassung der Richter des LAG "überdehne" das BAG mit dem längeren Schutzzeitraum des MuSchG über Gebühr.
Das BAG kassierte (Urteil vom 24.11.2022, Az: 2 AZR 11/22) das LAG-Urteil und verwies es zur erneuten Entscheidung nach Baden-Württemberg zurück. In seinem Urteil stellte der zweite Senat in Erfurt fest, dass es seine Rechtsprechung unverändert aufrechterhalte: Das Kündigungsverbot beginne 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin und nicht 266.
Bundesarbeitsgericht beharrt auf mehr Schutz für Schwangere
Das LAG habe die Kündigung der schwangeren Arbeitnehmerin fälschlicherweise für wirksam gehalten, indem es auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) abgestellt habe. Richtig sei aber die Berechnung mit 280 Tagen.
Dies sei zwar die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Monats-Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen könne, begründete das oberste Arbeitsgericht seine Entscheidung. Im Sinne des Mutterschutzes sei eine maximale Ausschöpfung der Fristen notwendig. Dem BAG sei klar, dass die Berechnung die Tage einbezieht, bei denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist – aber eben nicht völlig auszuschließen sei.
Gerade im Hinblick auf EU-rechtliche Vorgaben der Mutterschutzrichtlinie hielten die Richter es für geboten, von der für Arbeitnehmerinnen günstigste Berechnungsmethode auszugehen – selbst wenn sich Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden ließen. Schließlich diene die Berechnungsmethode zur Festlegung des Zeitpunkts des Kündigungsverbots wegen Schwangerschaft vor allem dem Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen. Es gehe nicht um die tatsächliche Berechnung des Schwangerschaftsbeginns.
Fazit
Einer schwangeren Arbeitnehmerin darf der Betrieb nicht kündigen. Dieser Grundsatz gilt weiterhin uneingeschränkt und ist mit Rechenmodellen nicht zu unterlaufen. Das BAG hat deshalb zu Recht, der Berechnungsmethode des LAG Baden-Württemberg – die zu einer Verschlechterung der Situation von Schwangeren geführt hätte – eine klare Absage erteilt. Eine Aufweichung von Schutzbestimmungen für Schwangere ist kontraproduktiv für die Geburtenrate in Deutschland. Sie ist mit 9,6 Lebendgeburten auf 1.000 Einwohner*innen schon relativ niedrig.
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