Arbeiten bis 70: "Ganzes Paket erforderlich" - Ältere "ermuntern", länger zu arbeiten
Autor: Nadine Wüste, Agentur dpa
Deutschland, Dienstag, 08. Oktober 2024
Könnten bis 2035 ältere Menschen zwischen 55 und 70 Jahren dazu "bewogen" werden, länger zu arbeiten, könnte das der deutschen Wirtschaft massiv helfen. Umfassende Maßnahmen und Anreize könnten dafür sorgen.
Mit umfassenden Maßnahmen können einer Studie zufolge bis 2035 bei den 55- bis 70-Jährigen Arbeitskräfte im Umfang von 1,36 Millionen Vollzeitbeschäftigten gewonnen werden. Das entspreche umgerechnet etwa 1,5 Millionen älteren Personen, berichtete Arbeitsmarktexperte Eric Thode von der Bertelsmann Stiftung. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam kürzlich erst eine Studie des Ifo-Instituts zum Fachkräftemangel.
Um Menschen in der letzten Phase ihres Berufslebens zu ermuntern, mehr zu arbeiten, länger im Job zu bleiben oder aus dem Ruhestand noch einmal zurückzukehren, sei ein ganzes Paket an Schritten und Veränderungen erforderlich. Dazu gehörten finanzielle Anreize, arbeitsrechtliche Erleichterungen, die Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze sowie der Ausbau von Gesundheitsvorsorge, Pflege- und Betreuungsangeboten.
Ältere zu längerem Arbeiten bewegen: "Rahmenbedingungen müssen geändert werden"
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht in seiner nun veröffentlichten Modellrechnung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung davon aus, dass bis 2035 in der Gruppe der 55- bis 70-Jährigen die Zahl der Erwerbstätigen aufgrund des demografischen Wandels um rund 1,5 Millionen Personen sinkt - auf dann noch knapp 9 Millionen. Dieses künftige Schrumpfen lasse sich aber kompensieren, wenn es Wirtschaft und Politik gelinge, Ältere mit passgenauen Angeboten zu erreichen. Und Rahmenbedingungen - etwa steuerlich und rechtlich - müssten geändert werden, sagte Thode der Deutschen Presse-Agentur.
Was sind die zentralen Ansatzpunkte? Bei der Analyse sind der Stiftung zufolge alle Personen der Altersgruppe 55-75 eingerechnet und es gehe um alle Branchen. "Für unterschiedliche Berufsgruppen braucht man natürlich auch unterschiedliche Maßnahmen", betonte Thode. Konkrete Beispiele: Ein lange in der Produktion Beschäftigter könne im höheren Alter auf eine weniger körperlich anstrengende Position im Betrieb wechseln. Ein Dachdecker-Senior kümmere sich im Büro am PC um die Materialbeschaffung. Einer älteren Pflegekraft werden technische Hilfsmittel wie Hebelifte zur Verfügung gestellt, um ihre Patienten kräfteschonend aus dem Bett zu holen.
Das Land sei auf die Arbeitskraft und Erfahrung Älterer angewiesen. Bei der Simulation habe sich das DIW an Schweden orientiert, wo die Beschäftigung Älterer viel ausgeprägter und zugleich die Lebenszufriedenheit sehr hoch sei. Größere Potenziale sieht die Studie in mehreren Gruppen
Hemmungen abbauen, Wertschätzung aufbauen
Die Ausgangslage: Rund 6,1 Millionen Menschen in der Altersgruppe beziehen derzeit eine Alters- oder Erwerbsminderungsrente. Drei Viertel der Altersrentner ab 65 Jahren sagen, dass sie gesundheitlich nicht eingeschränkt sind. "Für sie wären finanzielle Anreize und passgenaue Arbeitsangebote geeignete Maßnahmen." In Deutschland arbeiten zudem aktuell 3,6 Millionen Menschen zwischen 55 und 70 Jahren in Teilzeit - im Durchschnitt 20,3 Wochenstunden. Viele könne man für ein Aufstocken bis hin zu Vollzeit gewinnen, wenn die Angebote passend seien und man sie von Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen entlaste. Große Potenziale sehen DIW und Stiftung auch, wenn man ältere Menschen mobilisiere, die aktuell die nicht mehr erwerbstätig sind, aber noch keine Rente beziehen, sondern ihren Lebensunterhalt aus anderen Quellen decken.
Um ungenutztes Beschäftigungspotenzial Älterer zu heben, sollten Hemmnisse abgebaut werden und es brauche mehr Wertschätzung für sie. Weiterbildung sei wichtig und von der Politik zu garantieren. In der Steuer- und Sozialpolitik müsse es Anpassungen geben, auch im Arbeitsrecht, listet die Untersuchung auf. Längst nicht alle im fortgeschrittenen Alter seien gesundheitlich noch in der Lage zu arbeiten, schilderte Thode. Eine früh ansetzende Gesundheitsförderung sei essenziell.