Ändern sich die Zeiten? Kulturwandel hat massiven Einfluss auf Arbeitswelt

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Für einen gelungenen Kulturwandel müssen viele Puzzlestücke zusammenpassen.
Für einen gelungenen Kulturwandel müssen viele Puzzlestücke zusammenpassen.
CC0 / Pixabay / Alexas_Fotos

Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Das nimmt auch bedeutenden Einfluss auf die Kultur in Unternehmen. Dabei gestaltet sich ein gewünschter und notwendiger Kulturwandel in der Praxis so schwer wie das Verlieren überflüssiger Pfunde.

  • Kulturwandel in der Arbeitswelt
  • Change Management und Kulturwandel
  • Anspruch und Wirklichkeit
  • So gelingt der Change
  • Fazit

Wenn es einen letzten Beweis dafür gebraucht hat, dass unsere Arbeitswelt zunehmend durch Globalisierung und Digitalisierung beeinflusst wird, dann war wenigstens Covid-19 dafür gut. Denn vor der Pandemie war es in vielen Unternehmen beispielsweise noch völlig unvorstellbar oder es wurde nur selten praktiziert, zum Beispiel Meetings via Videokonferenz abzuhalten oder die Mitarbeitenden über Wochen fernab vom Arbeitsplatz nun am heimischen Schreibtisch remote arbeiten zu lassen. Das hat sich inzwischen geändert. So sehr, dass selbst vermeintlich hippe "Gute-Laune-Kompanien" aktuell Probleme bekommen, das Rad wieder zurückzudrehen. Dies ist aber nur ein Aspekt von vielen, der zeigt, wie ein gesellschaftlicher Kulturwandel massiven Einfluss auf die Arbeitswelt nimmt.    

Change Management und Kulturwandel

Der Begriff "Change Management" ist insbesondere im beruflichen Kontext in aller Munde. In Unternehmen ist es die Antwort des Managements darauf, dass sich die Rahmenbedingungen stetig und immer schneller ändern. Die Anforderungen an Unternehmen und damit zugleich an die dort arbeitenden Menschen nehmen in dem Maße zu, wie sich die Erreichung von (nicht nur ökonomischen) Zielen immer schwieriger gestaltet. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und wirken sich zunächst in Form eines gesellschaftlichen Kulturwandels aus, der dann sukzessiv auch Einfluss auf die Arbeitswelt nimmt und in Folge einen Kulturwandel in Unternehmen auslöst. So etablieren sich bspw. seit einigen Jahren neue Formen der Arbeitsorganisation wie agiles Arbeiten. Ebenso werden von Arbeitnehmern*innen verstärkt flexible Arbeitszeitmodelle eingefordert, mit denen sich Privat- und Arbeitsleben gleichberechtigt vereinbaren lassen. Auch die zunehmenden Bestrebungen der Gleichberechtigung von Männern und Frauen tragen hierzu bei, was durch eine geschlechtergerechte Sprache (Gendern) im Unternehmen zum Ausdruck kommen soll.

Grundlegend hat historisch betrachtet immer technischer Fortschritt nachhaltige Veränderungen herbeigeführt. Zum Verständnis hilft ein Blick auf die Verschiebungen der drei volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren "Arbeit, Boden und Kapital". Waren es früher Arbeit und Boden, die den volkswirtschaftlichen Ertrag dominiert haben, hat mit Verlauf der Industrialisierung und steigender Produktivität zunehmend das Kapital diese Rolle übernommen. Das spiegelt sich u. a. auch in den drei Wirtschaftssektoren "Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen" wider, mit denen das Bruttoinlandsprodukt berechnet wird. Laut statista betrug im Jahr 2021 der Anteil der Dienstleistung an der Bruttowertschöpfung rund 69,5 Prozent. Das produzierende Gewerbe (Industrie) trug 24 Prozent und der Wirtschaftszweig Land- und Forstwirtschaft, Fischerei noch lediglich 0,9 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. Im Jahr 1950 war das Verhältnis (mit Blick auf die Beschäftigten) ausgeglichener. Hier lag die Land- und Forstwirtschaft bei 24,6 Prozent, die Industrie bei 42,9 Prozent und der Dienstleistungsbereich bei 32,5 Prozent. Allein aus diesen Verschiebungen lassen sich erhebliche Einflüsse auf gesellschaftlichen und betrieblichen Kulturwandel ableiten. 

Um mit Change Management einen dauerhaften Kulturwandel in Unternehmen herbeizuführen, wird dies methodisch mit dem klassischen Handwerkszeug der Organisationsentwicklung versucht. Maßgebliches Ziel ist hierbei, die Einstellungen und Verhaltensweise der Mitarbeitenden in Einklang mit den Zielen der Organisation zu bringen. In der Praxis zeigt sich dabei, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein langer Weg liegt.  

Anspruch und Wirklichkeit

Globalisierung und Digitalisierung sind wesentliche Treiber von Veränderungen und werden oft auch als sog. "Gamechanger" bezeichnet. Durch sie werden etablierte Systeme, Denk- und Arbeitsmuster infrage und teils sogar auf den Kopf gestellt. Wenn sich Rahmenbedingungen aber ändern, resultieren daraus ebenso veränderte Ansprüche – sowohl an die Menschen als auch an die Unternehmen. In Folge wird ein Kulturwandel in Gang gesetzt, der sich sukzessiv u. a. auf ökonomischer, ökologischer und auf sozialer Ebene vollzieht. Um sich an neue Bedingungen anpassen zu können, bedarf es einer gehörigen Portion an Veränderungsbereitschaft aller Beteiligten.

Veränderungen, so wichtig, richtig und unausweichlich sie im Leben auch sind, gehören jedoch nicht für jede*n unbedingt zur Lieblingsdisziplin. Hier reichen schon einfache Alltagsbeispiele, wie bspw. der Wunsch, einige überflüssige Pfunde verlieren zu wollen, als Beleg aus. Man beginnt meist (von innen oder außen) hoch motiviert, aber selbst wenn man das Ziel erreicht hat, schlägt meist das Jojo-Imperium zurück. So kursieren im Internet auch einige sehr ernüchternde Aussagen, bezogen auf die Erfolgsquote von Projekten im Bereich von Change Management und Transformationsprozessen. Professor Mark Hughes ist dieser Frage nachgegangen und hat in seinem Artikel, der allerdings schon über zehn Jahre zurückliegt, die Frage gestellt "Do 70 Per Cent of All Organizational Change Initiatives Really Fail?" Hughes ist dabei laut dem Online-Magazin für Human Resources hrweb.at zu dem Ergebnis gekommen, "dass zwar die Existenz eines populären Narrativs von 70 Prozent organisatorischem Versagen anerkannt wird, es jedoch keine gültigen und zuverlässigen empirischen Beweise gibt, die ein solches Narrativ unterstützen."

Eine Studie der Porsche Consulting GmbH vom November 2020 bestätigt dagegen eine Misserfolgsquote von Change Management Projekten und entsprechenden Transformationsvorhaben von sogar 80 %. Die Befragung von Führungskräften der 100 größten deutschen Unternehmen ergab, dass "aktuell nur rund 20 Prozent der Transformationen erfolgreich" sind. Eine unzureichende Kommunikation (77 %) sowie mangelnde Führung (73 %) wurden dabei als die am häufigsten genannten Gründe für das Verfehlen der Transformationsziele genannt. Ein durchaus interessantes und erhellendes Ergebnis mit Blick auf die Befragten.

So gelingt der Change

Der Neurobiologe und Gehirnforscher Gerald Hüther hat für die geringen Erfolgsquoten eine einfache These: Gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, verbrauchen menschliche Gehirne so wenig Energie wie möglich. Weil Veränderungen und in Folge Anpassungsleistungen für das Gehirn aber große Anstrengung mit hohem Energiebedarf bedeuten, tendiert es dahin, diesen viel zu hohen Energieverbrauch wieder zu normalisieren. Das geschieht z. B. durch Ablenkung oder gar Flucht. In dem Zusammenhang erscheint auch die Verschiebung des Stellenwertes von Arbeit und Freizeit plausibel. Man beschäftigt sich entweder gar nicht oder zumindest deutlich weniger intensiv mit den anstehenden Herausforderungen, als es für ihre Lösung notwendig wäre. Die Folgen, sich aufgrund der tendenziell steigenden Anforderungen chronisch zu überlasten, lassen sich mitunter durch den drastischen Anstieg an "gestiegene Ausfallzeiten und Erwerbsunfähigkeiten aufgrund psychischer Erkrankungen" erklären.    

Der Umkehrschluss bedeutet nun jedoch keineswegs, dass wir alle untätig bleiben und lediglich mit minimalem Aufwand durch das Leben gehen sollen. Denn Veränderungen sind ein kontinuierlicher Bestandteil des Lebens. Vermeidung, Verneinung und Flucht sind daher keine erfolgversprechenden Lösungswege. Es ist vielmehr der individuelle und durchaus auch liebevolle Umgang mit sich selbst und den Veränderungen. Auch wenn das in einer ausgeprägten Leistungsgesellschaft oft noch belächelt wird, so nehmen die Folgen eines "immer weiter so" einen immer größeren Platz in unserer Gesellschaft ein. Das zeigt zum Beispiel die 77-minütige Dokumentation "Arbeit ohne Sinn", die in der Mediathek von arte verfügbar ist.

Erfolgsfaktoren für ein zumindest zwanzigprozentiges Gelingen von Veränderungsprojekten liegen laut der zitierten Porsche Consulting-Studie überwiegend im Bereich von Kommunikation und Führung. Was sich einfach liest, stellt in der Praxis dann doch durchaus eine Hürde dar. Denn auch wenn das Handwerkszeug z. B. für eine gewünschte Organisationsentwicklung etabliert und bekannt ist, kommt es bei einem angestrebten Kulturwandel neben der "richtigen" Anwendung vor allem immer auf die Menschen an, die in einer Organisation miteinander arbeiten. Der sog. "systemische Ansatz" berücksichtigt, dass jeder Mensch durch seine Sozialisierung, seine Lebenserfahrungen, sein privates wie berufliches Umfeld und die Resultate seiner getroffenen Entscheidungen geprägt wird. Dadurch entstehen unser Wertekompass, unsere Haltung, Einstellung, unsere Verhaltens- und Reaktionsmuster. Somit treffen in einer Organisation viele unterschiedliche "Systeme" aufeinander, die alle unterschiedliche, ggf. auch unerfüllte Erwartungshaltungen mit sich führen. Daraus erfolgen in der Arbeitswelt Störungen, schlechte Stimmung und letztlich eine reduzierte Arbeitsleistung. Das Tool des Gruppenspiegels kann in einem Change Prozess als erste Maßnahme dafür sorgen, relativ schnell die unterschiedlichen Erwartungen transparent offenzulegen. Darauf aufbauend liegt es an jeder Organisation selbst, wie sehr motiviert sie aus sich heraus und mit welchem (liebevollem) Umgang untereinander sie den Veränderungen erfolgreich begegnen möchte.     

Fazit

Veränderungen gehören zum Leben. Egal, ob privat oder beruflich. Die Praxis zeigt, dass wir uns trotz vieler Ratgeber und umfangreichem Expertenwissen schwer damit tun, Veränderungen erfolgreich und dauerhaft herbeizuführen. Vermeintliche Erfolgsfaktoren wie Motivation, Disziplin, Konsequenz und Willensstärke scheinen nur kurzfristig Ergebnisse im Sinne der Zielerwartung zu liefern. Frei nach dem Motto "im Leben geht es darum, zu sehen, was da ist, nicht darum, zu sehen, was du sehen willst" (Zitat aus dem Buch "Karma" von Sadhguru, S. 80), führen ein liebevollerer Umgang mit uns sowie eine verständnisvolle Begegnung mit den Veränderungen eher zum Ziel. Wenn auch solche Aussagen häufig noch in unserer leistungsgeprägten Gesellschaft belächelt werden, so zeigen uns die vermehrt auftretenden psychischen Erkrankungen, dass unser eingeschlagener Weg mit dem Anspruch an Veränderungen und den Umgang mit ihnen nur eine Erfolgsquote von 20 % hat.