Wenn Erinnerungen verschwinden sollen: Wie du traumatische Erlebnisse verdrängen kannst

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An traumatische Erlebnisse wollen wir uns lieber nicht mehr erinnern.
An traumatische Erlebnisse wollen wir uns lieber nicht mehr erinnern.
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Neutrale Gegenstände wie z.B. Gummistiefel können Erinnerungen an eine Flutkatastrophe auslösen.
Neutrale Gegenstände wie z.B. Gummistiefel können Erinnerungen an eine Flutkatastrophe auslösen.
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Hätte der Steinzeit-Jäger sich immer an die traumatische Flucht vor dem Säbelzahntiger erinnert, hätte er das Jagen eingestellt und wäre verhungert.
Hätte der Steinzeit-Jäger sich immer an die traumatische Flucht vor dem Säbelzahntiger erinnert, hätte er das Jagen eingestellt und wäre verhungert.
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Aktive Verdrängung hilft, traumatische Erlebnisse vergessen zu können. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigt, wie negative Erinnerungen verblassen können.

  • Die Kraft der Bilder
  • Verdrängung: gut oder schlecht?
  • Aktives Verdrängen lässt Erinnerungen verblassen
  • Das Experiment
  • Verdrängen statt verhungern

Die Kraft von Bildern ist unbestritten. Du kennst vermutlich den Spruch "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte". Manchmal reicht einfach schon ein Blick auf einen Gegenstand, die Bewegung einer Person oder auch nur ein Geruch und schon sind die bildhaften Erinnerungen wieder da. So gibt es sicher Dinge in deinem Leben, an die du dich gerne erinnerst. Andere Lebensereignisse würdest du vermutlich lieber gänzlich aus deiner Vita streichen wollen. Obwohl du dich an negative Erfahrungen möglichst nicht mehr erinnern möchtest, gibt es dennoch immer wieder diese Momente, in denen die Ereignisse plötzlich ungefragt wieder wach werden.

Verdrängung: gut oder schlecht?

Zuletzt und aktuell erreichen uns über die Medien mehr als sonst viele Katastrophenbilder. Zum Beispiel die Bilder von der Flutkatastrophe im Ahrtal oder schreckliche Kriegsbilder aus der Ukraine. Für die Menschen, die dieses Unheil selbst erleben und erleiden, ist es eine ungleich höhere psychische Belastung als für uns, die "nur" die Berichte darüber konsumieren. Um solche Ereignisse psychisch überwinden zu können, können sie vom Gehirn verdrängt werden.

Freud schrieb 1914 in seiner Schrift zur "Geschichte der psychoanalytischen Bewegung", dass die Verdrängungslehre ein Grundpfeiler sei, auf dem das Gebäude der Psychoanalyse ruhe. Nach Freuds Auffassung bedeutet Verdrängung, unangenehme oder schmerzliche Erfahrungen ins Unbewusste abzuschieben - ein fundamentaler Abwehrmechanismus, um Menschen das seelische Überleben zu ermöglichen.

Anderseits hat Verdrängung auch einen nicht allzu guten Ruf. Denn, so ein gängiges Vorurteil, wer verdrängt, der setzt sich nicht aktiv mit seinen Problemen auseinander. Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass ein aktives Verdrängen dabei helfen kann, traumatische Erlebnisse vergessen zu können. In dem Zusammenhang ist aber klar zwischen traumatischen Ereignissen und dem Bewältigen lösbarer Probleme zu unterscheiden. Sich beispielsweise seinen Ängsten zu stellen, ist die gesündere Entscheidung, als sie verdrängen zu wollen. 

Aktives Verdrängen lässt Erinnerungen verblassen

Ann-Kristin Meyer, Doktorandin am MPI CBS, fasst die Ergebnisse der Studie so zusammen: "Unterdrückt man aktiv eine Erinnerung und ruft sie anschließend erneut ab, treten die Bilder weniger lebhaft in Erscheinung als zuvor."

Frühere Untersuchungen zeigten bereits, was beim Prozess des Unterdrückens in unserem Gehirn passiert: Der präfrontale Cortex hemmt die Aktivität des Hippocampus. Letzterer, wörtlich übersetzt übrigens wegen seiner äußeren Form Seepferdchen genannt, ist vergleichbar mit einem Arbeitsspeicher. Als Teil des limbischen Systems ist seine Funktion die einer Schaltzentrale zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis. Die aktuellen Studienergebnisse lassen nun den Schluss zu, dass durch die Hemmung Erinnerungen anhaltend und langfristig abgeschwächt werden. 

Somit kann aktives Vergessen "ein hilfreicher Mechanismus sein, um Erinnerungen an schlimme Erlebnisse nicht immer wieder ungewollt aufkommen zu lassen", so Roland Benoit, Studienleiter und Leiter der Forschungsgruppe "Adaptives Gedächtnis" am MPI CBS. Die eigenen Gedanken an negative Ereignisse zu kontrollieren, macht es offensichtlich möglich, diese Erinnerungen abzuschwächen und die gebildeten neuronalen Spuren potenziell zu löschen.

Das Experiment

Im Rahmen der Studie wurde von den Wissenschaftler*innen ein dreistufiges Verfahren angewandt. Zunächst sollten die Teilnehmer*innen Bilder negativer Erlebnisse, wie beispielsweise der einer Flutkatastrophe, mit einem eher neutralen Gegenstand, in dem Fall einem Gummistiefel, in Zusammenhang bringen. Hierzu wurden den Teilnehmer*innen mehrfach Katastrophenszenarien zusammen mit einem Gummistiefel gezeigt. Das Bild des Stiefels reichte letztlich aus, um automatisch die schrecklichen Bilder hervorzurufen. Dieser Prozess im Gehirn wurde mittels Magnetresonanztomografie (MRT) aufgezeichnet.

In der zweiten Stufe der Untersuchung sahen die Teilnehmer*innen lediglich die Gegenstände. Die Anweisung lautete an einen Teil der Gruppe, sich die dazugehörige Szene in Erinnerung zu rufen. Der andere Personenkreis sollte die Gedanken an die Szene möglichst unterdrücken.

Im dritten Abschnitt der Studie bekamen die Teilnehmer*innen erneut nacheinander alle Gegenstände gezeigt. Dabei sollten sie versuchen, sich an die jeweiligen Szenen zu erinnern. Durch die vorherige Aufteilung in zwei Gruppen konnte das Forschungsteam nun prüfen, ob die Erinnerungen in Gruppe der "aktiven Unterdrücker" tatsächlich stärker verblasst waren. Durch die MRT-Aufzeichnungen ließen sich zudem Muster der Hirnaktivität vor und nach dem Unterdrücken miteinander vergleichen.

Verdrängen statt verhungern

Die aktuellen Studienergebnisse korrelieren mit denen einer früheren Studie aus dem Jahr 2007. Hierzu führten Brendan Depue von der Universtity of Colorado gemeinsam mit seinem Team vergleichbare Untersuchungen durch. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, "dass Menschen die Fähigkeit haben, spezifische Erinnerungen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu unterdrücken, wenn sie dies wiederholt üben." Dazu würden im Gehirn spezifische Areale gewissermaßen ausgeschaltet, um bestimmte Erinnerungen gezielt zu blockieren.

Die interessante Frage, warum einige Menschen besser vergessen können als andere, sei, laut Roland Benoit vom MPI CBS, bislang nicht ganz geklärt. Jedoch falle es Menschen, die z.B. unter Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, erkennbar schwerer. Folgestudien wollen dieser Frage gezielt nachgehen und herausfinden, ob und wie absichtliches Vergessen zu psychischer Gesundheit beiträgt.

Übrigens führt Depue eine evolutionäre Theorie ins Feld, aus welchem Grund Menschen die Verdrängung erlernt haben könnten. Wenn ein Steinzeit-Jäger immer daran hätte denken müssen, wieder mal nur knapp dem berühmten Säbelzahntiger entkommen zu sein, hätte dieser unter diesen traumatischen Erlebnissen dermaßen leiden können, dass er die Jagd eingestellt hätte, dann aber verhungert sei. Also besser verdrängen, anstatt zu verhungern.