Somit kann aktives Vergessen "ein hilfreicher Mechanismus sein, um Erinnerungen an schlimme Erlebnisse nicht immer wieder ungewollt aufkommen zu lassen", so Roland Benoit, Studienleiter und Leiter der Forschungsgruppe "Adaptives Gedächtnis" am MPI CBS. Die eigenen Gedanken an negative Ereignisse zu kontrollieren, macht es offensichtlich möglich, diese Erinnerungen abzuschwächen und die gebildeten neuronalen Spuren potenziell zu löschen.
Das Experiment
Im Rahmen der Studie wurde von den Wissenschaftler*innen ein dreistufiges Verfahren angewandt. Zunächst sollten die Teilnehmer*innen Bilder negativer Erlebnisse, wie beispielsweise der einer Flutkatastrophe, mit einem eher neutralen Gegenstand, in dem Fall einem Gummistiefel, in Zusammenhang bringen. Hierzu wurden den Teilnehmer*innen mehrfach Katastrophenszenarien zusammen mit einem Gummistiefel gezeigt. Das Bild des Stiefels reichte letztlich aus, um automatisch die schrecklichen Bilder hervorzurufen. Dieser Prozess im Gehirn wurde mittels Magnetresonanztomografie (MRT) aufgezeichnet.
In der zweiten Stufe der Untersuchung sahen die Teilnehmer*innen lediglich die Gegenstände. Die Anweisung lautete an einen Teil der Gruppe, sich die dazugehörige Szene in Erinnerung zu rufen. Der andere Personenkreis sollte die Gedanken an die Szene möglichst unterdrücken.
Im dritten Abschnitt der Studie bekamen die Teilnehmer*innen erneut nacheinander alle Gegenstände gezeigt. Dabei sollten sie versuchen, sich an die jeweiligen Szenen zu erinnern. Durch die vorherige Aufteilung in zwei Gruppen konnte das Forschungsteam nun prüfen, ob die Erinnerungen in Gruppe der "aktiven Unterdrücker" tatsächlich stärker verblasst waren. Durch die MRT-Aufzeichnungen ließen sich zudem Muster der Hirnaktivität vor und nach dem Unterdrücken miteinander vergleichen.
Verdrängen statt verhungern
Die aktuellen Studienergebnisse korrelieren mit denen einer früheren Studie aus dem Jahr 2007. Hierzu führten Brendan Depue von der Universtity of Colorado gemeinsam mit seinem Team vergleichbare Untersuchungen durch. Im Ergebnis konnte gezeigt werden, "dass Menschen die Fähigkeit haben, spezifische Erinnerungen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu unterdrücken, wenn sie dies wiederholt üben." Dazu würden im Gehirn spezifische Areale gewissermaßen ausgeschaltet, um bestimmte Erinnerungen gezielt zu blockieren.
Die interessante Frage, warum einige Menschen besser vergessen können als andere, sei, laut Roland Benoit vom MPI CBS, bislang nicht ganz geklärt. Jedoch falle es Menschen, die z.B. unter Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, erkennbar schwerer. Folgestudien wollen dieser Frage gezielt nachgehen und herausfinden, ob und wie absichtliches Vergessen zu psychischer Gesundheit beiträgt.
Übrigens führt Depue eine evolutionäre Theorie ins Feld, aus welchem Grund Menschen die Verdrängung erlernt haben könnten. Wenn ein Steinzeit-Jäger immer daran hätte denken müssen, wieder mal nur knapp dem berühmten Säbelzahntiger entkommen zu sein, hätte dieser unter diesen traumatischen Erlebnissen dermaßen leiden können, dass er die Jagd eingestellt hätte, dann aber verhungert sei. Also besser verdrängen, anstatt zu verhungern.