Medikament gegen Darmkrebs macht Hoffnung: Alle Studienteilnehmer geheilt
Autor: Andreas Hofbauer
New York, Mittwoch, 08. Juni 2022
Eine kleine Studie aus den USA lieferte "einmalige" Ergebnisse, wie Expertinnen und Experten bestätigen. Alle Teilnehmenden an der Studie konnten komplett von Darmkrebs befreit werden, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen.
Eine kleine Studie mit gerade einmal 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sorgt weltweit für Wirbel. Es geht darin um die Behandlung von Darmkrebspatientinnen und Darmkrebspatienten. Bei allen verschwand der Krebs und konnte weder durch eine Untersuchung, Endoskopie, PET-Scans, noch durch MRT-Scans nachgewiesen werden.
Die Ergebnisse fassten die Autorinnen und Autoren der Studie vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center im New England Journal of Medicine zusammen. Die Studie wurde am Sonntag, 05. Juni 2022 veröffentlicht. Einer der Studienautorinnen und -autoren, der Onkologe Luis Alberto Diaz, sagte: "Ich glaube, dass dies das erste Mal in der Geschichte des Krebses ist, dass wir eine 100-prozentige Erfolgsquote haben." Alan Venook, Darmkrebsspezialist der Universität Kalifornien in San Francisco, der nicht an der Studie beteiligt war, bestätigte diese Einschätzung. Er bezeichnete die Ergebnisse als ein „Novum“. Eine vollständige Remission bei Krebspatienten sei „einmalig“.
"Einmalige" Ergebnisse bei Studie gegen Darmkrebs
Und das, obwohl die Studie unter keinen guten Vorzeichen stattfand. Wie die Ärztinnen und Ärzte der Studie schilderten, begannen die Patientinnen und Patienten mit der Aussicht auf eine anschließende Chemotherapie, Bestrahlung und höchstwahrscheinlich lebensverändernde Operationen, die zu Darm-, Harn- und Sexualfunktionsstörungen führen können. Bei einigen soll sogar ein künstlicher Darmausgang (Kolostomie) geplant gewesen sein. Nach der Studie dann die große Überraschung: Alle Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer benötigten keine weitere Behandlung.
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"Es gab viele Freudentränen", sagte Dr. Andrea Cercek, Onkologin am Memorial Sloan Kettering Cancer Center. Sie ist Mitverfasserin der Studie und stellte die Ergebnisse vergangenen Sonntag, 05. Juni 2022, auf der Jahrestagung der „American Society of Clinical Oncology“ vor. Sie erklärte, dass bei keinem der Patientinnen und Patienten bedeutsame Komplikationen aufgetreten seien. Durchschnittlich entwickelte einer von fünf Studienteilnehmenden eine unerwünschte Reaktion auf Medikamente, wie das im Rahmen der Studie verabreichte Präparat „Dostarlimab“. Das ist auch als sogenannter „Checkpoint-Inhibitor“ bekannt. Das ist wichtig, weil alle Darmkrebspatientinnen und Patienten an einer spezifischen genetischen Ausprägung des Darmkrebses litten, dem sogenannten „Mismatch-Reparatur-defizient (MMRd)“ oder „Mikrosatelliteninstabilität (MSI)“.
Forschende gehen davon aus, dass zwischen fünf und zehn Prozent aller Darmkrebspatientinnen und Patienten an MMRd-Tumoren leiden. Weltweit geht man derzeit von 2,2 Millionen Darmkrebserkrankungen im Jahr 2030 aus. "Ein MMRd-Tumor entwickelt einen Defekt. Er kann dann keine bestimmten Arten von Mutationen, die in Zellen auftreten, reparieren. Wenn sich diese Mutationen im Tumor ansammeln, stimulieren sie das Immunsystem, das die mutierten Krebszellen angreift", sagt Dr. Diaz, Leiter der MSK-Abteilung für Tumor-Onkologie. Der Krebs greift daher auf einen Trick zurück, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Immunzellen haben einen Schutzmechanismus, einen „Checkpoint“, der sie daran hindert, normale Zellen anzugreifen. Krebszellen wiederum können diesen Schutz und damit Immunzellen ausschalten. So kann sich der Tumor verstecken und wachsen.
Darmkrebs-Behandlung: Immunzellen bekämpfen den Krebs effektiv
Mit der Immuntherapie kann dieser Trick des Tumors jedoch ausgehebelt werden. Ein Immuntherapeutikum, ein „Checkpoint-Inhibitor“, löst den Schutzmechanismus der Krebszellen auf und ermöglicht den Immunzellen, Krebszellen zu erkennen und anzugreifen. "Wenn der Schutz der Krebszellen aufgehoben ist, sehen MMRd-Zellen besonders seltsam aus, weil sie so viele Mutationen aufweisen. Daher greifen die Immunzellen mit viel mehr Kraft an", erklärt Dr. Cercek.
Die bahnbrechenden Forschungsarbeiten von Dr. Diaz zur Behandlung von Krebs mit Immuntherapie zeigen, dass Checkpoint-Inhibitoren "Menschen mit MMRd-Darmtumoren, die sich ausgebreitet haben, helfen können", sagt er. "Wir dachten: 'Versuchen wir es, bevor der Krebs Metastasen bildet, als erste Behandlungslinie'." Das Medikament wurde alle Teilnehmenden der Studie sechs Monate lang alle drei Wochen verabreicht. Es kostet pro Dosis etwa 11.000 Dollar. Die meisten Nebenwirkungen waren für die Forschenden einfach zu kontrollieren. Bei etwa drei bis fünf Prozent traten schwerere Komplikationen auf. Die führten in einigen Fällen zu Muskelschwäche und Schwierigkeiten beim Schlucken und Kauen. Laut Dr. Venook seien das aber keine „signifikanten“ Nebenwirkungen. Dass diese bislang fehlten, bedeute "dass entweder nicht genug Patienten behandelt wurden oder dass diese Krebsarten einfach anders sind".