Herzstillstand und Sauerstoffmangel: "Tsunami" erstmals bei Menschen festgestellt
Autor: Michi Standl
Deutschland, Montag, 10. Juli 2023
Bei einem Herzstillstand kommt es zum Sauerstoffmangel im Gehirn. Den komplexen Vorgang danach konnten Wissenschaftler erstmals direkt an Patient*innen nachweisen.
- Jährlich erleiden in Deutschland 65.000 Menschen einen Herzstillstand
- Das passiert, wenn das Gehirn keinen Sauerstoff bekommt
- Streudepolarisation überflutet den Körper
- Vorgang nach Tierversuchen erstmals beim Menschen nachgewiesen
Laut Deutscher Gesellschaft für Kardiologie (DGK) erleiden in Deutschland jährlich etwa 65.000 Menschen einen Herzstillstand, bei rund 60.000 verläuft er tödlich. Wenn der Blutkreislauf zum Erliegen kommt, wird das Hirn nicht mehr mit dem so notwendigen Sauerstoff versorgt. Dass sich dabei eine sogenannte Streudepolarisation wie ein Tsunami im Körper ausbreitet und die Nerven angreift, haben Wissenschaftler*innen bis zu der von der Berliner Charité und der US-Universität in Cincinnati vorgelegten Studie nur vermutet. Die Erkenntnisse beruhten bis zu der Veröffentlichung nur auf Tierversuchen. Die Berliner und US-amerikanischen Forscher*innen konnten diesen Vorgang an Menschen nachweisen.
Sauerstoffentzug und Streudepolarisation: "Tsunami" bis dato nur bei Tieren nachgewiesen
Anhand von Tierversuchen haben Forscher*innen schon im Laufe der vergangenen Jahrzehnte festgestellt, was bei Sauerstoffentzug im Gehirn passiert.
Video:
- Nach 20 bis 40 Sekunden stellt das Gehirn auf eine Art Energiesparmodus um.
- Es stellt die elektrischen Aktivitäten ein.
- Die Kommunikation der Nervenzellen stoppt vollständig.
- Nach dem Aufbrauchen der Energiereserven bricht das Ionen- und Spannungsgefälle zwischen den Nervenzellen und der Umgebung zusammen.
- Diesen Vorgang bezeichnen Wissenschaftler*innen als Spreading Depolarization oder Streudepolarisation, das sie mit einem Tsunami vergleichen, der durch die Hirnrinde und andere Hirnstrukturen durchbricht.
- Dabei stößt diese Welle sogenannte Schadenskaskaden an, welche die Nervenzellen vergiften, was letztendlich zum Tod führt.
Allerdings ist die Welle bis zu einem gewissen Zeitpunkt vollständig reversibel, wenn die Durchblutung rechtzeitig wieder einsetzt. Das kann durch frühzeitige Reanimation in die Wege geleitet werden. Wenn das gelingt, erholen sich die Nervenzellen vollständig.
Streudepolarisation beim Menschen nachgewiesen
Dass ein Herzstillstand auch beim Menschen eine Streudepolarisation auslösen kann, war bis zum Zeitpunkt der Studie nicht bekannt. Es war nicht möglich, entsprechende Messungen am menschlichen Gehirn in den ersten Minuten nach einem Herzstillstand durchzuführen.
Den Berliner Wissenschaftler*innen ist es zusammen mit den US-Kolleg*innen gelungen, die Vorgänge im Gehirn ohne Tierversuche zu untersuchen. Sie nutzten Neuromonitoring. Mit diesem Verfahren können Aktivitäten von Nerven optisch und akustisch dargestellt werden.