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"Geringe Wahlbeteiligung stärkt extreme Kräfte": Würzburger Forscherin im Interview


Autor: Stephan Großmann

Würzburg, Mittwoch, 22. Mai 2019

Am Sonntag sind die Deutschen aufgerufen, zusammen mit den EU-Staaten ein neues EU-Parlament zu wählen. Warum es so wichtig ist, seine Stimme abzugeben, erklärt die Würzburger Europaforscherin Gisela Müller-Brandeck-Bocquet.
Wählen schwächt die extremen Ränder, sagt  Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Professorin für Europaforschung und Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg. Foto: Daniel Peter


Europa ist gar nicht so weit entfernt, wie viele Menschen denken. Warum die Europäische Union direkte Auswirkungen auf das Zusammenleben in Franken hat und wieso es sich lohnt, zur Wahl zu gehen, erklärt Professorin Gisela Müller-Brandeck-Boucquet, die Leiterin des Lehrstuhls für Europaforschung und Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg, im Interview:

Frau Müller-Brandeck-Bocquet, "die EU ist doch weit weg, geht uns nichts an", hört man häufig. Stimmt das?

Gisela Müller-Brandeck-Bocquet: Das ist vollkommen falsch. Von der EU stammen über 60 Prozent der auch in Deutschland gültigen Gesetze und Vorschriften. Denn im gemeinsamen Binnenmarkt müssen natürlich auch gemeinsame Regeln gelten, zum Beispiel für einen fairen Wettbewerb, für Abgasnormen von Pkws und demnächst endlich auch Lkws etc.

Diese EU-Gesetze werden vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat beschlossen und müssen in allen Mitgliedstaaten angewandt werden. Brüssel ist also nicht weit weg, sondern betrifft uns täglich.

Was bedeutet die EU für Franken?

Die EU bedeutet für Franken wie für alle anderen bayrischen Regionen und auch für alle deutschen Bundesländer viel. Wie schon gesagt, setzt sie in vielen Bereichen gemeinsame Regeln und Standards, damit Europa weiter zusammenwächst und in der heutigen globalisierten Welt den "European way of life", die europäische Lebensart, beibehalten werden kann. Die EU beruht auf dem Subsidiaritätsprinizp, so dass auch regionale Lebensart gewahrt werden kann.

Kann das friedliche Zusammenleben ohne eine solche Gemeinschaft noch funktionieren?

Die EU ist die Friedensgarantin nach innen, das heißt, zwischen den Mitgliedstaaten; ihre Vorgängerinnen EWG und EG sind aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege entstanden und haben den Völkern des vereinten Europas über 70 Jahre Frieden erhalten. Das darf nicht vergessen werden, gerade heute, wo die Erinnerungen an diese Kriege immer mehr verblassen.

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Vor fünf Jahren ging nicht einmal jeder Zweite zur Urne: Wie gefährlich ist das, wenn sich nur so wenige zu interessieren scheinen?

Das ist sehr gefährlich, weil eine geringe Wahlbeteiligung immer die extremen Kräfte am rechten und am linken Rand stärkt. Und diese Kräfte wollen kein vereintes und starkes Europa. Darum: Am 26. Mai 2019 wählen gehen!

Was tun, um den Menschen die EU wieder schmackhafter zu machen?

Da ist vor allem sehr viel Informationsarbeit zu leisten, weil die Bürger oft nicht genug über die Bedeutung der EU für ihr tägliches Leben und für ihre und ihrer Kinder Zukunftssicherung wissen. Denn nur die EU kann beispielsweise fairen Handel mit China erreichen. Oder als EU Vorreiterin im Klimaschutz sein, wenn andere, wie die USA, aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen.

Also: Augen aufmachen und sehen, dass wir alle die EU dringend brauchen, um auch weltweit unsere Interessen und Werte zu wahren und durchzusetzen; alleine kann das kein europäischer Staat das leisten, auch Deutschland nicht.

"Geht wählen, es steht viel auf dem Spiel": Kommentar unseres Redakteurs Stephan Großmann