Savoir-vivre in Nürnberg: Ralf Siegemund hat aus einer Bedürfnisanstalt einen beliebten Treffpunkt gemacht. Im "Schnepperschütz" sitzt man auf der Treppe, trinkt fränkischen Riesling und bewundert den Sonnenuntergang.
Die Schlange vor dem "Schnepperschütz" müsste eigentlich länger sein an diesem Abend. Überall rund um den Laden genießen Gäste die Abendsonne. Auf der Treppe hocken sie so eng zusammen, als wollten sie gleich ein Gruppenfoto schießen. Auch die Logenplätze mit Lehne unter den roten Sonnenschirmen sind bis auf wenige Ausnahmen besetzt.
Irgendwo dazwischen verläuft die Schlange. Mal klein, mal groß. "Warte mal ab! Nachher wird sie noch größer", verspricht Ralf Siegemund und zeigt auf seine Gäste, die brav wie die Schulkinder in der relativ kurzen Reihe stehen. Manche halten sogar Händchen. Durch einen Spalt in den Brückenquadern aus Sandstein gelangt die Schlange schrittweise zum Tresen.
Die Skeptiker und das Klohäusla
In einem dunklen Raum mit hohen Decken, der nicht größer als 18 Quadratmeter sein dürfte, geht es zu wie in einer Tapas-Bar kurz vor dem Stierkampf. Getränke werden bestellt, bezahlt und hinausjongliert. Selbstbedienung macht hier Spaß. Auch wenn die Stammgäste den Neulingen raten, die Schlange wachsam im Blick zu haben. Damit niemand verdurstet, steht Ralf Siegemund wie ein Fels in der Brandung mittendrin.
"Begeistert waren sie nicht bei der Stadt, als ich mit der Idee angekommen bin, aus der öffentlichen Toilette einen Kiosk zu machen", erzählt er und nippt an seinem Riesling, der betörend fruchtig aus dem Glas duftet. "Wer hockt sich schon ins Klohäusla?", hätten die Skeptiker ihm zugerufen. In der Rückschau muss man sagen, den Kritikern fehlte es an Fantasie. Vielleicht ist die Idee sogar genial gewesen, aus den öffentlichen Toiletten aus den 30er-Jahren ein Café zu machen. Die Stadt wollte die Bedürfnisanstalt vor sieben Jahren am liebsten schließen und mit Sand bis zur Decke auffüllen.
Wein aus Sand am Main
Irgendwann muss Siegemund den als Feinschmecker bekannten Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) von seiner Idee überzeugt haben. Das "Experiment" wurde genehmigt. "Mittlerweile sind wir kein Geheimtipp mehr", sagt Siegemund und zeigt auf die Schlange, die mittlerweile auf "Boa constrictor"-Länge angewachsen ist.
Dann entkorkt er einen Bocksbeutel, auf dem in schlichten Lettern der Name Rippstein zu lesen ist. "Der Matthias Rippstein aus Sand am Main macht nicht nur einen gigantischen Wein. Er steht auch für das neue Lebensgefühl des Frankenweines. Mehr als die Hälfte seines ausgezeichneten Rieslings wird bei uns im ,Schnepperschütz' getrunken", sagt Ralf und lacht.
Überhaupt setzt der Wirt auf fränkische Spitzenqualität. Aus dem Zapfhahn fließt Enzensteiner - fränkisches Bio-Bier der Familie Kreß aus Schnaittach vor den Toren der schönen Hersbrucker Schweiz. Auf dem Teller landet das "beste Brot der Welt" von einem Bäckermeister aus Dachsbach im mindestens genauso wunderschönen Aischgrund. Die saftigen Sauerteigscheiben werden "kreativ belegt" (der Renner ist das "Pastrami"-Brot mit geräuchter Ochsenbrust). Brot-Gourmets greifen zur schlichten Variante und bestellen die leckeren Stullen mit Fassbutter und Fleur du Sel für zwei Euro.
Das hat dann doch tatsächlich etwas von Paris. Und man vergisst fast, dass die Pegnitz und nicht die Seine am "Schnepper's" vorbeifließt.
Info: Der Szene-Treff "Schnepperschütz"
Adresse Schnepperschütz, Hallerwiese 3 - Nürnberg/Johannis. Sommerlicher Szene-Treffpunkt für Genießer, täglich geöffnet bis 15. Oktober.
Name Der Name "Schnepperschütz" ist schnell erklärt. Schon im frühen 15. Jahrhundert haben die Nürnberger auf der Wiese mit Armbrüsten um die Wette geschossen. Weil dem Franken das Wort zu wenig witzig war, hat er "schneppern" dazu gesagt. Noch heute kann man sich auf der Hallerwiese, eine der ältesten Grünanlagen im Land, an einem romantischen Springbrunnen anschauen, wie fesch die Schützen früher mit Pfeil und Bogen "geschneppert" haben.