Pestfriedhof in Nürnberg: Riesige Massengräber könnten bedeutende Erkenntnisse liefern
Autor: Alexander Milesevic, Agentur dpa
Nürnberg, Mittwoch, 31. Juli 2024
Tausende jahrhundertealte Knochen graben Fachleute in Nürnberg aus - die Opfer einer großen Pestwelle. Forscher wollen dem größten Pestfriedhof in Deutschland seine Geheimnisse entlocken.
Die archäologischen Arbeiten auf einem großen Pestfriedhof aus dem 17. Jahrhundert in Nürnberg nähern sich allmählich ihrem Abschluss. Die Überreste von mehr als 2000 Verstorbenen sind laut den Aussagen von Stadtarchäologin Melanie Langbein bereits ans Licht gekommen. Einige Hundert Pestopfer erwartet sie noch unter der Erde. Eindeutig ist ihren Angaben zufolge bereits jetzt: Es handelt sich um den größten Pestfriedhof, der bisher in Deutschland gefunden wurde. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten vielfältig sein.
Dass es sich um eine bedeutende Entdeckung handelt, war Langbein und ihrem Team schon Anfang des Jahres klar. Zu jener Zeit ging sie anhand von Hochrechnungen von mehr als tausend Toten aus, die nach Ansicht der Experten 1632/33 während einer großen Pestwelle verstorben und in mehreren Lagen in den acht Massengräbern beerdigt worden waren. Am Ende könnten es nun 2800 bis 3000 Tote sein.
Alter Pestfriedhof in Nürnberg: Knochen erzählen vom Leben der Menschen damals
Diese Zahl sei überraschend hoch, bemerkt Langbein. Die Verstorbenen liegen ihren Angaben nach in vielen Schichten übereinander. Bis zu eineinhalb Meter tief müssen sich die Experten in den Boden graben, um die Knochen vorsichtig freizulegen. Diese sind grün verfärbt, weil früher eine Kupfermühle auf dem Grundstück Abfälle entsorgt hatte.
Aus den Knochen lässt sich laut Langbein viel über die Menschen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herauslesen. "Wir haben wirklich von den Altersklassen alles mit dabei: Alte, Junge, Männer, Frauen, kleine Kinder, Säuglinge. Da ist der komplette Bevölkerungsquerschnitt vorhanden, und das macht die Sache dann auch so spannend, wenn es an die anthropologische Auswertung geht." Anhand der Knochen können die Forscher unter anderem erkennen, wie es den Menschen damals ging, welche Krankheiten sie hatten, wie hart sie arbeiten mussten und ob sie unter Mangelerscheinungen litten.
Wichtige Erkenntnisse erhoffen sich Forschende nach Angaben von Langbein auch über die Entwicklung der Pest, denn aus den Zähnen der Verstorbenen könnte DNA des Erregers extrahierbar sein. Eine andere Forschungsarbeit rückt Darmparasiten in den Fokus, für die die Experten bereits Proben aus den Becken der Verstorbenen nahmen. Zudem interessiert sich ein Forensiker für Insektenreste aus den Massengräbern und will dadurch genaue Informationen über die Todeszeit erhalten, wie die Grabungsfirma In Terra Veritas in einem Video erläutert.
Kleidungsreste in Boden bewahrt geblieben
Spannend sei auch, dass in dem Sandboden Kleidungsreste bewahrt geblieben seien, sagte Langbein. Leder, Wolle und Textilien verrotten im Boden normalerweise schnell. Dies ermögliche Rückschlüsse auf die Alltagskleidung, da die Verstorbenen in den Massengräbern nicht wie sonst üblich im Leichenhemd bestattet worden seien, so die Stadtarchäologin. Und gerade über diese alltägliche Mode sei weniger bekannt als über Festtagskleidung und Prachtgewänder, die zum Teil über Jahrhunderte erhalten geblieben seien.
Die Forschung stehe jedoch noch am Anfang, sagte Langbein. "Das ist ein Projekt, das sich sicherlich über mehrere Jahre ziehen wird." Jetzt stehe vor allem die Ausgrabung im Vordergrund, damit das Gelände möglichst bald für Bauarbeiten freigegeben werden kann. Auf dem rund 5900 Quadratmeter großen Grundstück im Stadtteil St. Johannis an der Ecke Brückenstraße/Großweidenmühlstraße sollen dann ein Pflegeheim und Wohnungen für Senioren errichtet werden.