Nürnberg: Arzt hilft an Ukraine-Grenze - das Schicksal zweier Kinder lässt ihn nicht mehr los
Autor: Daniel Krüger
Nürnberg, Sonntag, 13. März 2022
Der Nürnberger Hausarzt Gerhard Gradl war vergangene Woche für einen Hilfseinsatz an der ukrainisch-polnischen Grenze unterwegs. Das Schicksal einer Familie lässt ihn auch nach der Rückkehr nicht los.
- Nürnberger Arzt im Hilfseinsatz an Ukraine-Grenze
- Mediziner war bereits bei Hungersnöten und Naturkatastrophen im Ausland
- "Psychologische Traumata": Hausarzt begegnet Familie - ihre Geschichte rührt ihn zutiefst
- "Obwohl sie auf gepackten Koffern sitzen": Polnische Einheimische überraschen Nürnberger
Der Nürnberger Hausarzt Gerhard Gradl war vergangene Woche, vom 1. bis zum 5. März 2022, für die Hilfsorganisation Humedica im Einsatz an der polnisch-ukrainischen Grenze. "Ich bin bei solchen Ereignissen grundsätzlich bereit zu sagen: 'Wenn ihr mich braucht, dann komme ich'", erklärt Gradl im Gespräch mit inFranken.de. Bei dem Einsatz sei es darum gegangen, mit einem Team aus freiwilligen Helfern und Helferinnen die Lage zu erkunden, um künftige längerfristige Unterstützung zu planen.
Nürnberger Arzt trifft an Ukraine-Grenze Großeltern mit Kindern - "beim Einkaufen erschossen"
Das Team sei verschiedene polnisch-ukrainische Grenzübergänge abgefahren und in mehreren Großstädten mit Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz über die schwierige Situation durch den Krieg gesprochen. Dabei sei Gradl auch einer geflohenen Familie begegnet, deren Schicksal ihn besonders bewegt hat. "Das Schwierigste, was ich erlebt habe, waren Großeltern mit zwei kleinen Kindern", erzählt der Hausarzt. "Deren Eltern wurden beim Einkaufen auf offener Straße erschossen", so Gradl.
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An der Grenze sei bei den Geflüchteten "die gesamte Bandbreite an psychologischen Traumata" vertreten gewesen, sagt der Nürnberger. Auch nach der Rückkehr in seine Nürnberger Praxis habe er nicht alles beiseiteschieben können, was er erlebt habe. "Was ich mit nach Hause genommen habe, ist eine unbeschreibliche Wut in mir auf sinnloses Töten", erzählt der Mediziner. Seine Einschätzung des Konflikts: "Durch Machtansprüche wird normalen Menschen, die nur in Frieden sein möchten, ein solches Leben verwehrt."
Dabei ist es nicht der erste Hilfseinsatz von Humedica, an dem der 63-Jährige mitmacht. "Ich beteilige mich seit 2010 und war seitdem bereits acht Mal im Ausland, darunter bei einer Hungersnot in Kombination mit Malaria im Niger, im Libanon im Rahmen des Syrien-Kriegs und bei Überschwemmungen in Benin", erklärt Gradl. Er habe auch schon "eine Schießerei im Libanon mitbekommen, die sich aber zum Glück nicht gegen uns richtete", erzählt der Hausarzt. In der Ukraine oder in Russland sei er bisher aber noch nicht gewesen. "Die Mentalität ist mir aber durch einen privaten Aufenthalt in Georgien vor einiger Zeit grundsätzlich geläufig."
Überraschung für Nürnberger Mediziner an polnisch-ukrainischer Grenze - "mit offenen Armen"
Vor dem Einsatz hatte Gradl nach eigener Aussage die Befürchtung, "dass es wie bei allen Flüchtlingsbewegungen so sein wird, dass es am Ende sehr chaotisch wird". Vor Ort sei er dann überrascht gewesen, "wie gut das Ganze organisiert ist". Die Versorgung der Flüchtlinge sei "sehr freundlich" abgelaufen, auch "vonseiten der polnischen Polizei und Feuerwehr". Die polnischen Einheimischen an der Grenze hätten die Menschen "mit offenen Armen unterstützt, obwohl sie teils selbst auf gepackten Koffern sitzen", sagt Gradl. "Personal und Material ist genügend vorhanden gewesen."
Ein Team, das zur gleichen Zeit im Grenzgebiet von Rumänien und Moldawien zur Ukraine unterwegs war, habe deshalb mehr Hilfsbedarf gesehen, weil sich an den dortigen Grenzübergängen "enorm lange Warteschlangen gebildet haben", erzählt der Hausarzt aus Nürnberg. "Seit Mittwochvormittag ist eine der Helferinnen aus meiner Gruppe deshalb sogar im Land selbst, um dort zu unterstützen." Wo genau, dazu dürfe sich Gradl auch aus Sicherheitsgründen nicht äußern. Klar sei aber, betont er, dass solche Einsätze nur unter strengen Vorkehrungen abliefen.