Flüchtlinge brauchen das Internet - Unterstützung durch Freifunk-Initiativen

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Flüchtlinge brauchen das Internet - davon sind Sven Borchert (r.) und die Initiative "Freifunk Dortmund" überzeugt: die Gruppe hat dort Wlan-Router für rund 400 Asylbewerber installiert. Foto: Bernd Thissen/dpa
Flüchtlinge brauchen das Internet - davon sind Sven Borchert (r.) und die Initiative "Freifunk Dortmund" überzeugt: die Gruppe hat dort Wlan-Router für rund 400 Asylbewerber installiert. Foto: Bernd Thissen/dpa

Würde man zweimal darüber nachdenken, müsste jedem klar werden: Ein Handy ist der Draht in die Heimat, dient zur Orientierung und Übersetzung in der Fremde.

"Das ist Blödsinn", sagt Mehmet Ata, Sprecher des Bundesamtes für Migration in Nürnberg. "Es trifft uns persönlich, wenn gegen Flüchtlinge gehetzt wird", sagt Anna Luckhardt vom Helferkreis Asyl in Ebern. "Für Flüchtlinge ist ein Smartphone existenziell", sagt der syrische Arzt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er fasst in einem Satz die Antwort auf eine Frage zusammen, die derzeit in der Gesellschaft und den Medien diskutiert wird: Warum haben Flüchtlinge ein Handy?

In den Köpfen mancher Menschen scheint es unverständlich, wenn Menschen aus Kriegsgebieten nach einer Odyssee in Deutschland ankommen und nichts bei sich haben - außer eben einem Handy. Es wird darüber spekuliert, wie Flüchtlinge an die Geräte kommen und wie sie ihr Handy in der Fremde finanzieren.
Ist das nicht der blanke Luxus angesichts der Not, in der sich Flüchtlinge befinden?

"Von diesen Gerüchten hören wir natürlich auch oft", sagt Mehmet Ata vom Bundesamt für Migration und äußert im selben Moment Unverständnis: "Klar, das ist Blödsinn." Aus eigener Beobachtung könne die Behörde allerdings nicht so viel dazu sagen, weshalb Ata an Menschen verweist, die Flüchtlinge in ihrem Alltag begleiten.
Zum Beispiel der "Helferkreis Asyl" aus Ebern, der in Ebern und Jesserndorf (Unterfranken) Flüchtlinge vor allem aus Syrien betreut. Anna Luckhardt, die sich wie alle anderen ehrenamtlich im Helferkreis engagiert, reagiert auf die Diskussion um die Smartphones fassungslos. "Die Flüchtlinge brauchen Handys, weil sie die einzige Verbindung in ihre Heimat und zu ihren Verwandten sind", sagt Luckhardt. "Und die Geräte haben Übersetzungsprogramme, die unabdingbar sind, wenn sich die Menschen, die weder unsere Schrift lesen noch unsere Sprache sprechen können, hier zurecht finden wollen." Außerdem hätten viele der Flüchtlinge billige Smartphones und nicht, wie oft unterstellt, teure Geräte.


Markt für Billig-Handys

Diese Beobachtung des Helferkreises trifft die Realität: Der Markt für Billig-Handys in Afrika und Nahost boomt seit Jahren. Die großen Hersteller sorgen dafür, dass sich die Menschen dort ein Smartphone leisten können - sie produzieren eigens günstige Geräte mit weniger Leistung, dafür zu Preisen von unter 100 Dollar.
In manchen Ländern haben mehr Menschen Zugang zum Mobilfunknetz als zu sauberem Wasser oder Strom. Das liegt nicht nur daran, dass es einfacher ist, Mobilfunk auszubauen als das Festnetz. Es bringt auch mit sich, dass die Menschen dieser Technik eine elementare Bedeutung beimessen. Mobiltelefone ermöglichen in vielen Regionen den Zugang zu Handel, Bildung und Politik; in Afrika werden sogar Geld und Löhne per SMS übertragen.

Apropos Geld: Die Flüchtlinge bekommen in Deutschland neben Grundleistungen wie Unterkunft und Nahrung ein Taschengeld von 140 Euro im Monat. Davon müssen sie die Handy gebühren bezahlen. Da sie ohne festen Wohnsitz keinen Vertrag bekommen, müssen sie auf oft teure Prepaid-Datentarife ausweichen.

Die Lösung wäre W-Lan. Schätzungen zufolge gibt es aber in höchstens jeder vierten Flüchtlingsunterkunft einen Internetzugang. Viele Betreiber stellen bewusst keinen, weil sie befürchten, bei illegalen Downloads oder teuren Bestellungen selbst zur Rechnung gezogen zu werden. In München und Dortmund haben sich deshalb private Initiativen gegründet: Sie stellen W-Lan-Router in die Heime und leiten die eingehenden Verbindungen wie ein Provider über eigene Server ins Internet. Damit sind sie von der sogenannten Störerhaftung befreit.
Der eingangs zitierte Syrer bestätigt alle Aussagen zum Thema Smartphone. Der 32-Jährige kam vor einem Jahr und vier Monaten nach Deutschland, das Handy war und ist sein ständiger Begleiter. Er hält damit Kontakt zu seinen Eltern und Brüdern, er nutzt es zum Übersetzen. Er weiß, dass viele Flüchtlinge sparen, um sich in Deutschland ein billiges Gerät zu kaufen. Mit Luxus habe das nichts zu tun. "Es ist ihre Verbindung zur Außenwelt", fasst er zusammen, "sie können telefonieren und skypen, sie können sich über die politische Lage informieren und sie haben eine sinnvolle Beschäftigung gegen das Warten."

Hilfreich ist ein Handy außerdem zur Orientierung. Für jeden Menschen ist die Nutzung von GPS selbstverständlich, im Zusammenhang mit Flüchtlingen ruft der Besitz von Smartphones selbst das Fernsehen auf den Plan: Das ZDF erklärt in einer Kindersendung (!) unter anderem, dass Smartphones während der Flucht anzeigen, wo man sich gerade befindet und Flüchtlingen dabei helfen, den Weg zu finden.

Ähnliche Informationen finden sich mittlerweile in allen Medien und natürlich im Internet. Große Aufmerksamkeit erreichte zum Beispiel die Stadt München, als sie kürzlich auf ihrer Internetseite eine lange Liste mit Fragen und Antworten zum Flüchtlingsthema einstellte. Dort werden nicht nur Smartphones als existenzielle Begleiter während der Flucht und im Ankunftsland dargestellt, auch die Kritik an der vermeintlichen Markenkleidung von Flüchtlingen wird abgebügelt.

Dass auch diese Häme unangebracht ist, weiß Anna Luckhardt nur zu gut. Der Helferkreis Asyl sammle ständig Kleiderspenden für die Flüchtlinge - logisch, dass darunter auch Markenklamotten sind. Luckhardt bezeichnet die Arbeit mit den Flüchtlingen als Geschenk. "Diese Menschen hier zu haben, verändert unsere Denkweise, unsere Weltsicht und erweitert unseren Horizont. Deshalb trifft es uns vom Helferkreis Asyl tief, wenn gegen die Flüchtlinge gehetzt wird. Es trifft uns persönlich", sagt Luckhardt.


Ein Syrer, der es geschafft hat

Umso mehr freut es die Ehrenamtlichen, dass einigen ihrer Schützlinge der Weg in die deutsche Gesellschaft gelingt. Wie dem zitierten Syrer: Er wurde anerkannt und erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung. Jetzt wohnt er in Bamberg, lernt fleißig deutsch und hilft in Flüchtlingsunterkünften beim Übersetzen. Sein dringendster Wunsch: Arbeit. In Syrien war er Arzt, "in Deutschland würde ich gern eine Ausbildung zum Chirurgen machen", sagt er. Den Weg in Uni und Klinik fände er auf jeden Fall: Über den Stadtplan auf dem Smartphone.