Die Lage in der Türkei bleibt nicht ohne Folgen für das Filmfestival, das mit einem Dokumentarfilm über den Istanbul-Fotograf Ara Güler eröffnet wird.
Die Türkei produziert derzeit viele negative Schlagzeilen. Die kritische Lage am Bosporus bringt auch das 22. Filmfestival Türkei-Deutschland (FFTD), das vom 4. bis zum 12. März in Nürnberg stattfindet, in die Bredouille. Die Veranstalter haben heuer bislang vergeblich auf Fördergelder aus der Türkei gewartet. Rund 50.000 Euro seien fest eingeplant gewesen, sagte Festivaldirektor Adil Kaya am Freitag im Nürnberger Filmhauskino bei der Vorstellung des diesjährigen Festivalprogramms.
Kaya glaube nicht mehr daran, dass in diesem Jahr noch staatliche Mittel aus der Türkei nach Nürnberg fließen. Ein entsprechendes Werbebanner mit weißem Halbmond auf rotem Grund habe der Festivalverein "InterForum" deshalb kürzlich von der Homepage entfernt.
Dieser Schritt habe nichts mit der aktuellen Kritik aus Nürnberg an den Festivalmachern zu tun, versicherte Kaya. Özlem Demir, Nürnberger Stadträtin der Partei "Die Linke", hatte kürzlich gefordert, dass kein Staatsdiener aus der Türkei auf dem Filmfestival sprechen dürfe. Außerdem sollte das Festival auf Sponsoring-Tätigkeiten des türkischen Staates verzichten.
Verein droht die Pleite
Adil Kaya kann diese Einwände nicht verstehen. "Die Veranstaltung heißt Filmfestival. Wir wollen keine Konferenz über Politik machen. Wir wollen uns auf Filme konzentrieren", betonte der Festivaldirektor am Freitag und wies auf den Ernst der finanziellen Lage hin. "Wenn wir von der Türkei tatsächlich kein Geld bekommen, dann wird der Verein hinter dem Festival pleite gehen", betonte Kaya und zeigte sich im nächsten Atemzug wenig optimistisch, dass die Türkei heuer doch noch die Schatulle aufmachen wird.
Die finanzielle Lage des Festivals habe sich aus einem weiterem Grund aktuell zugespitzt. In diesem Jahr sei mit dem Konzern "Siemens" neben dem türkischen Staat überraschend ein weiterer Großsponsor abgesprungen, sagte Kaya. Ein einziger Firmenförderer sei dem Festival mit dem Unternehmen "Sigos" aus Nürnberg erhalten geblieben, musste der Vorsitzender des Festivalteams einräumen. Adil Kaya erwähnte in diesem Zusammenhang nicht, dass er selbst der aktuelle Geschäftsführer des letzten Firmensponsors des Festivals ist. Die Stadt Nürnberg trägt rund 70.000 Euro zum Gesamtbudget des Festivals in Höhe von insgesamt etwa 250.000 Euro bei. Außerdem stellt die Stadt mit dem Filmhaus im Künstlerhaus den Machern den notwendigen Raum zur Verfügung, sagte Michael Baader vom städtischen "KunstKulturQuartier". Inhaltlich habe die Stadt den Veranstaltern laut Baader nicht herein geredet. Baader räumte ein, dass im Hintergrund derzeit "höchste Diplomatie" gefragt sei. Kaya machte deutlich, dass kein türkischer Staatsvertreter auf dem Festival sprechen werde. Der türkische Botschafter werde ebenfalls nicht nach Nürnberg kommen, kündigte Kaya an. "Wir versuchen immer sauber zu bleiben", betonte Michael Baader für die Stadt Nürnberg.
Viel Kritik an Veranstalter
Kritische Fragen mussten sich die Festivalmacher am Freitag auch zu anderen Themen anhören. Ein Vorwurf lautete, dass im Rahmen einer Podiumsdiskussion ausschließlich der NSU-Prozess und nicht auch der Terror in der Türkei auf dem Programm stünde. Bemängelt wurde bei der Pressekonferenz ferner, dass das Festival heuer keine kritischen Entwicklungen in der Türkei selbst aufgegriffen habe. Auf die wiederholten Nachfragen reagierten die Festivalmacher zunehmend dünnhäutig und offensichtlich genervt. "Es ist so billig, immer nach Ankara zu schauen", befand beispielsweise Adil Kaya und meinte damit, dass sich Deutschland um die eigenen Probleme wie die Ausländerfeindlichkeit oder Aufarbeitung des rechtsradikalen NSU-Terrors kümmern solle.
Überhaupt wolle das Festival die Filme und nicht die Politik in den Mittelpunkt stellen, versuchte Kaya wieder das cineastische Programm auf den Kinoleinwänden des Festivals in den Fokus zu rücken. "Dass es das Filmfestival Türkei Deutschland in Nürnberg überhaupt gibt, das ist eigentlich schon politisch genug", sagte Kaya im Hinblick auf die lange Tradition des Festivals, in der die große Politik schon immer eine Rolle gespielt habe. Kaya erinnerte an die 90er Jahre, als Flüchtlingsheime in Deutschland brannten und der Kurdenkrieg in der Türkei tobte. Damals habe man ebenfalls den Gürtel enger schnallen müssen, weil weniger Fördermittel geflossen seien.
Kaya wünscht sich, dass die Besucher den Filmen auf dem Festival zuhören. Hier würde die Kritik an der Politik geäußert. Filmemacher wie Osman Okkan würden nach Nürnberg kommen und könnten ein langes leidvolles Lied von der politischen Verfolgung und Unterdrückung in der Türkei singen. "Osaman Okkan ist einer der ganz großen Kritiker des türkischen Regimes", lobte Kaya den prominenten Festivalgast. Zur Eröffnung des Filmfestivals am 4. März wird sein Film über den nicht weniger prominenten Fotografen Ara Güler gezeigt. Beide wollen nach Nürnberg zur Eröffnung kommen. In seinem Film "Ara Güler - eine Istanbuler Legende" zeigt Okkan, wie die Bilder des heute 88-jährigen Fotografen eine ganze Generation von Schriftstellern und Künstlern inspiriert haben. Viele zeitgenössische Künstler der Türkei würden noch heute Ara Güler als ihr großes Vorbild bezeichnen. Güler wird in Nürnberg genauso wie der deutsche Kameramann Jürgen Jürges mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet. Im Wettbewerb um den besten Spielfilm konkurrieren heuer fünf Streifen aus Deutschland und vier Movies aus der Türkei. Der Menschenrechtspreis "Öngören" wird am 11. März im Festsaal des Künstlerhauses überreicht. Das ausführliche Festivalprogramm mit allen Filmen, Diskussionen und Preisverleihungen gibt es im Internet unter der Adresse
www.fftd.de.
Filmfestival Türkei/Deutschland findet vom 4. bis 12. März in Nürnberg statt.
Ehrenpreis Ara Güler erhält den Ehrenpreis des Festivals für seine tragende Rolle in der Internationalisierung des Kunstverständnisses der Türkei nach den 50er Jahren. Seine individuelle Perspektive, in der immer wieder der Mensch in den Mittelpunkt rückt, seine Kunst in der Darstellung von Menschen aus aller Welt, als ob sie unsere Nachbarn wären, ebnete nicht nur den türkischen Kinokünstlern den Weg zu einem Selbstverständnis der Internationalität und Interkulturalität. Güler ist die Referenz der visuellen Ästhetik der kulturellen Brücken, des Humanismus und der Individualität. Die bildhafte Intensität vieler der uns bekannten Kino-Werke haben wir seinem Lebenswerk, der "École Ara Güler", zu verdanken.
Jury des Spielfilmwettbewerbs Das Filmfestival Türkei Deutschland freut sich darüber, eine hochkarätige Jury in Nürnberg willkommen zu heißen: Wir freuen uns ganz besonders auf den diesjährigen Jurypräsidenten Edgar Reitz (Heimat-Trilogie, Cardillac). Der beliebte Schauspieler Uğur Polat und Schauspieler und Drehbuchautor Ercan Kesal aus Istanbul, Petra Kashmiry von Eurimages sowie der der Theaterregisseur Barish Karademir aus Nürnberg bilden die Spielfilmjury.
Podiumsdiskussion Unter der Überschrift "Hat Deutschland aus dem Fall NSU gelernt?" diskutieren am Montagabend (6.März) im Künstlerhaus unter anderem ein Opferanwalt aus dem NSU-Prozess und ein Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus Berlin.