Weismainer Haus Benedikt bietet Autisten sicheren Hafen

4 Min
In dieses Zimmer lässt sich Einblick von außen nehmen, ohne einzutreten. Friederike Spörlein demonstriert das Öffnen bzw. Aushängen. Es ist aber selten belegt. Fotos: Markus Häggberg
In dieses Zimmer lässt sich Einblick von außen nehmen, ohne einzutreten. Friederike Spörlein demonstriert das Öffnen bzw. Aushängen. Es ist aber selten belegt. Fotos: Markus Häggberg
Das Haus Benedikt: ein freundlicher Anblick. Klar und strukturiert ist seine Form. Auch das ist Absicht, denn auch das Äußere soll nicht reizüberflutend wirken.
Das Haus Benedikt: ein freundlicher Anblick. Klar und strukturiert ist seine Form. Auch das ist Absicht, denn auch das Äußere soll nicht reizüberflutend wirken.
 
Was der Tag bereithält, ist auf Kärtchen gemalt und fließt in ein Steckkartensystem ein. Eine anschauliche Orientierungshilfe für einen jungen Mann, dem eine feste Ordnung den Tag erträglicher macht.
Was der Tag bereithält, ist auf Kärtchen gemalt und fließt in ein Steckkartensystem ein. Eine anschauliche Orientierungshilfe für einen jungen Mann, dem eine feste Ordnung den Tag erträglicher macht.
 
Schlafen, Essen, Gemeinschaft pflegen - all das ist für den geistig behinderten Bewohner des angrenzenden Zimmers auf diesem Plan ersichtlich. Von oben nach unten arbeitet er so seinen Tag ab.
Schlafen, Essen, Gemeinschaft pflegen - all das ist für den geistig behinderten Bewohner des angrenzenden Zimmers auf diesem Plan ersichtlich. Von oben nach unten arbeitet er so seinen Tag ab.
 
Friederike Spörlein führt eine Bewohnerin durch die Gänge in ihr Zimmer. In diesen Momenten lässt sich etwas Verbundenheit seitens der Klienten erahnen.
Friederike Spörlein führt eine Bewohnerin durch die Gänge in ihr Zimmer. In diesen Momenten lässt sich etwas Verbundenheit seitens der Klienten erahnen.
 

Friederike Spörlein arbeitet in Weismain in einer Einrichtung für Menschen mit autistischen Zügen. Feste Strukturen sind ihnen wichtig.

Der Film Rain Man hat Ende der 80er Jahre Autismus ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Dustin Hoffmann bereitete sich ein Jahr lang auf diese Rolle vor. Friederike Spörlein fährt seit sechs Jahren beruflich von Altenkunstadt nach Weismain. Dort, im Haus Benedikt, betreut die Regens-Wagner-Stiftung geistig Behinderte, denen allen eines gemeinsam ist: autistische Züge. Von Arbeitserfolg spricht Friederike Spörlein dann, wenn sie dazu beitragen kann, eine Lebenssituation eines Betroffenen zu erleichtern. Aber oft steht sie auch vor einem Rätsel.

Die Räume sind kahl. Reizreduziert heißt das hier. Es gibt sogar Essecken mit Sichtschutz, die ein wenig an Wahlkabinen erinnern. Wer dort sein Essen zu sich nimmt, der tut sich schwer damit, aufzunehmen, was es sonst noch im Raum gibt.
Er würde sich nicht mehr auf sein Essen konzentrieren, weil die Reize, die auf ihn einstürmen, nicht zu bewältigen wären.

In der Gruppe Josua, in der Friederike Spörlein tätig ist, gibt es neun Personen zwischen 25 und 55 Jahren, die zu ihren geistigen Behinderungen autistische Züge aufweisen. Das ist ihnen gemein, das beeinträchtigt auch ihr Sozialverhalten. Sie haben Schwierigkeiten, mit anderen Menschen zu sprechen, Gesagtes richtig zu interpretieren oder Mimik und Körpersprache einzusetzen und zu deuten. Häufig benötigen diese Menschen Ordnungen und Strukturen, die nur sie verstehen.

Friederike Spörlein öffnet ein Zimmer. Es ist ausschließlich weiß gehalten und beinahe leer. Im oberen Eck, jenseits der Tür, befindet sich ein Kameraauge, und der Bewohner möchte allabendlich hinter seiner gepolsterten Tür eingeschlossen werden. Manchmal sogar fixiert, also ans Bett geschnallt. Was befremdlich erscheinen mag, "vermittelt ihm das Gefühl von Sicherheit", erklärt Friederike Spörlein. Dieses Gefühl ist für den jungen Mann unverzichtbar für den Seelenfrieden, und kein gutes Zureden könnte es ihm sonst geben.
"Faszination und Charme" fällt Friederike Spörlein ein, wenn sie an die Bewohner der Gruppe Josua denkt, für die sie zuständig ist. Seit 2007 gibt es diese Einrichtung, seit einigen Jahren ist auch Friederike Spörlein als Betreuerin dabei. Seitdem, sagt die ehemalige Arzthelferin aber auch, würde sie "um den Finger gewickelt" und "nie ganz verstehen".

Das Beobachten ist wichtig

Umso wichtiger ist das Beobachten. Dem, so die Altenkunstadterin, komme in ihrer Arbeit eine große Bedeutung zu. So kommt man auf Ideen, die den Tagesablauf der Bewohner etwas erleichtern können. Wie zum Beispiel auf die, Zeit zu veranschaulichen. Vielen Bewohnern ist die Zeit einerlei, sie verfliegt, ist da, ist unmerklich, bleibt abstrakt. Selbst wenn sich Zeiger auf einem Zifferblatt bewegen. Ein Time-Timer kann da helfen. Er hat auch ein Zifferblatt, aber es besteht aus zwei Farben, deren Anteile sich verschieben, je nachdem, wie viel Zeit vergeht. Am Wechselspiel der Farben erkennen Bewohner leichter, wie viel Zeit ihnen bleibt, um irgendwelche Tätigkeiten zu erledigen. Diesen sollen sie auch nachgehen, im Rahmen einer Ordnung, die ihnen bekommt und die sie verlangen.

Wenn eine Erleichterung möglich ist, ist Dank aber nicht zu erwarten. Menschen mit autistischen Anlagen benötigen kaum soziale Kontakte. Das schließt auch die eigene Verwandtschaft mit ein. "Die wollen das nicht und die brauchen das nicht", sagt die Altenkun stadterin. Trotzdem hat der Beobachter nicht das Gefühl, dass es nicht doch eine Form der Vertrautheit zwischen Friederike Spörlein und den Menschen dieser geschlossenen Abteilung gibt. Wieder andere haben nicht die Fähigkeit, einen Wunsch nach sozialen Kontakten auszudrücken. Auch der junge Mann, dessen Fotografie an seiner Tür prangt und dem Symbolbilder eines Steckkartensystems verraten, wie sein Tagesablauf zu meistern ist, wird sich nie bedanken. Vor dem Fernseher im Gemeinschaftsraum sitzt ein weiterer junger Mann. Der Fernseher flimmert gesichert hinter einer Scheibe, denn, auch das gibt es, manche Bewohner verspüren den Impuls, etwas zu zerstören. Der junge Mann schaut eine TV-Serie. Das tut er um diese Zeit immer, ein anderer Programmpunkt des Tages würde Unverständnis bei ihm hervorrufen. Und diesen Zustand bei ihm belassen.

Neues Arbeitsfeld

Der Beruf, dem Friederike Spörlein nachgeht, ist kein erlernter. Sie hatte lange familienbedingt beruflich ausgesetzt, bis nach vielen Jahren der Impuls wieder da war, erneut berufstätig sein zu wollen. Bei Regens Wagner erhielt sie die Chance zu einer Arbeit auf einem für sie neuen Feld. "Ich habe Kinder zur Welt gebracht und großgezogen", erklärt Friederike Spörlein. Im Falle eines Falles wechselt sie hier auch die Windeln schon erwachsener Klienten. "Das kommt vor", sagt die Frau achselzuckend. Vier Jahre lang hat sie sich durch Wochenendseminare auf dem Gebiet "Bindungsenergetik" eingelesen und weitergebildet.
Die feinfühlige Frau strahlt Ruhe aus. Das ist etwas, was ihren Schützlingen gut tut. Zwei Gruppen gibt es in dem Trakt des Gebäudes. Jede Gruppe hat eine extra Küche. So kann ein strukturiertes Anleiten geleistet werden. Separiertheit trägt auch zum Aggressionsabbau bei.
Friederike Spörlein arbeitet gerne hier, auch wenn ein Dank der Klienten nicht zu erwarten ist. Und doch: Es gibt eine besondere Form der Vertrautheit zwischen ihr und den Menschen mit Autismus - auch wenn es diese wohl nicht stören würde, sollte die Frau einmal nicht zum Dienst erscheinen.

Was ist Autismus?

Autismus kommt in allen sozialen Schichten und allen Völkern vor. Es handelt sich um eine schwere Entwicklungsstörung, von der Jungen etwa drei bis viermal so oft betroffen sind wie Mädchen. Man geht davon aus, dass in Oberfranken rund 6600 Menschen mit Autismus leben. Autismus erfordert sehr individuelle Hilfe und Therapie, da auch die Ausprägung der Symptome sehr individuell ist. Die betroffenen Menschen haben oft außergewöhnliche Begabungen, etwa im musikalischen Bereich oder bei Kalenderberechnungen, aber Schwierigkeiten, Sinneswahrnehmungen zu verarbeiten und Probleme beim Aufbau von Beziehungen sowie in der Kommunikation.Mit der Intelligenz hat diese Störung nichts zu tun: Es gibt so-
wohl geistig behinderte Betroffene, als auch welche, die das Abiturmachen und studieren. Sie haben eine andere Wahrnehmung und reagieren daher empfindlich auf bestimmte Sinnesreize. Symptome für frühkindlichen Autismus sind unter anderem das Vermeiden von Blick- und Körperkontakt, eine auffällige Sprache oder das stereotype Nachsprechen von Gehörtem sowie das ständige Wiederholen bestimmter Handlungen, kein kreatives Spielen und kein Spielen mit anderen; auch unangemessenes Lachen oder Kichern. Veränderungen ihrer Gewohnheiten kann Panik hervorrufen. Von Außenstehenden werden autistische Kinder oft als unerzogen erlebt; die Eltern leiden darunter, dass man ihnen die Schuld an dem auffälligen Verhalten ihrer Kinder gibt.