Gibt es Bestrebungen seitens der Politik, das zu ändern?
Ich habe kürzlich auf einer Tagung erfahren: Der Gesetzgeber diskutiert eine Novellierung, wonach ein Klinikum nur dann einen Praxissitz in ein MVZ einverleiben kann, wenn das Klinikum diese Fachrichtung auch anbietet. Hintergrund sind große Investoren-MVZ, die sich mit kleinen Kliniken und wenig Betten große ambulante Ketten aufbauen. Das haben wir in Kulmbach nicht. Hier aber dient das MVZ als Einlasspforte, schlicht um die Einweisung des niedergelassenen Kollegen zu umgehen. Wenn die Belegzahlen nicht stimmen und eine höhere Auslastung des stationären Sektors gebraucht wird, kann das Klinik-MVZ stationäre Einweisungen generieren. Dabei sollte im Medizinbetrieb eigentlich die Regel gelten: so viel ambulant behandeln wie möglich, so wenig stationär wie nötig.
Sie sprachen von einer Reglementierungswut, die Ihnen das Leben schwer macht. Was meinen Sie damit?
Aktuelles Beispiel ist der Zwang zum Anschluss an die Telematikinfrastruktur. Dadurch werden meine Praxisabläufe entscheidend verändert. Beispiel: Seit 1. Juli soll die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung elektronisch an die Krankenkassen versendet werden, zusätzlich braucht es zwei Papierausdrucke. Ab Anfang nächsten Jahres soll jedes Rezept nur noch elektronisch ausgestellt werden, das heißt: Der Patient bekommt das auf sein Smartphone, sofern er eines hat, sonst einen Papierausdruck mit einem Code, den er nicht lesen kann. Man stelle sich die 80-Jährige vor, die ich mit solchen Fragen konfrontieren muss. Da kostet mich jedes Rezept die dreifache Zeit - und für den Patienten ist rein gar nichts gewonnen. Ich bin doch Arzt geworden, um Medizin am Patienten zu machen und nicht Dinge in Computer zu tippen. Das hilft keinem und heilt keinen. Was fast noch schlimmer ist: Das neue Prozedere unterhöhlt die ärztliche Schweigepflicht, denn durch den Datentransfer können Unbekannte auf den Server und damit auf intimste Personendaten zugreifen.
Mobilisiert das die Fachärzteschaft?
Viele Kollegen bestätigen mir: Wenn sich dieses System etabliert, steigen sie aus.
Dazu kommt die Budgetierung, die seit Jahren Ärger in der Branche auslöst.
Die Honorarsituation hat sich gerade im ländlichen Bereich verschlechtert. Budgetierung bedeutet: Ich bekomme meine Leistungen nicht für jeden Patienten vollständig erstattet, was früher einmal der Fall war. Gerade bei uns, wo sehr viele Patienten eine Praxis aufsuchen, ist das kontraproduktiv. Wenn sie ab einer gewissen Schwelle nur noch die Hälfte der Leistung eines Patienten erstattet bekommen, überlegen sie sich, ob es nicht besser ist, die Praxis frühzeitiger zu schließen. Im Bereich der Privatleistungen wurde die Gebührenordnung für Ärzte seit 25 Jahren nicht mehr geändert und an die Preissteigerungen angepasst. Es erfolgte kein Inflationsausgleich, was wir gerade im Augenblick besonders spüren. Die fehlenden Praxiseinnahmen bei gleichzeitig steigenden Betriebsausgaben - das sind die Löhne der Fachangestellten, Mieten, Energiekosten etc. - führen zu einem immer kleiner werdenden positiven Praxisergebnis, aus dem die Kosten für die Praxiskredite, die Kranken-/Rentenversicherung und die private Lebensführung finanziert werden müssen.
Was machen Sie?
Ich muss überlegen, wie es weitergeht. Ich bin jetzt 68. Betreibe ich meine Kassenarztpraxis so weiter und nehme den Abzug in Kauf - oder wandle ich meine Praxis in eine Privatpraxis um? Ich hatte die Absicht, das Ganze meiner Tochter zu übergeben, die momentan noch in Ausbildung ist und in drei Jahren für die Übernahme bereit wäre. Aber wenn sich die Dinge so entwickeln, dann weiß ich nicht, ob das Sinn ergibt. Ich muss das ja noch mit meinem ärztlichen Gewissen vereinbaren können. Wenn Dinge, die dem widerstreben, immer stärker zunehmen, sehe ich nur die Konsequenz, die Kassenpraxis zu schließen.
Wie lange geben Sie sich Bedenkzeit?
Im nächsten Jahr werde ich es für mich entscheiden, spätestens wenn der Druck für das erwähnte digitale Rezept kommt. Das wäre ein echtes K.o.-Kriterium für mich. Das ist praxisfremd, was hier gefordert wird. Ich sehe, dass die Gesundheitsministerien nur von solchen Gruppen bestimmt werden, die rein auf Eigeninteressen gepolt sind. Der Lobbyismus der Pharma- und IT-Industrie ist enorm.
Facharztversorgung
Erhebung Über die aktuelle Situation der fachärztlichen Versorgung informiert die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) in ihrem sogenannten Versorgungsatlas. Hierbei werden alle medizinischen Gattungen - vom Augenarzt bis zum Neurologen - je nach Region aufgeschlüsselt.
Kennzahlen Einige Kennzahlen für Oberfranken sind durchaus bemerkenswert. So ist bei den Augenärzten (zum Stichtag 31. Januar 2022) die allergrößte Gruppe der Niedergelassenen 60 Jahre oder älter (41 Prozent), das Durchschnittsalter gibt die KVB mit 55,5 Jahren an. Die Gesamtzahl der
Mediziner in der Augenheilkunde beträgt für Oberfranken insgesamt 83. Heruntergebrochen auf den Kreis Kulmbach heißt das: Für rund 71.000 Einwohner sind fünf Augenärzte gelistet - dadurch errechnet sich für die KVB nach dem Vergabeschlüssel der Sitze ein Versorgungsgrad von 119,86 Prozent. Zum Vergleich: In Bamberg beträgt der Grad 110,65, in Bayreuth 135,91, in Coburg 116,52 - in Kronach hingegen gerade mal 48,04.