Die Kulmbacher Psychotherapeutin, Sarah Blank, erklärt, wie Kinder Abschied nehmen können und was ihnen in der Trauer hilft.
Der Tod des zweijährigen Paul hat die Menschen in der Region erschüttert. Der Junge war am 20. Juli unbemerkt vom Grundstück der Kindertagesstätte ausgebüxt und in einem Wasserauffangbecken auf einem benachbarten Gelände ertrunken. Fassungslosigkeit und tiefe Trauer begleiten die Betroffenen und alle, die mit ihnen fühlen. Die Frage nach dem Warum ist noch unbeantwortet, wird vielleicht nie zufriedenstellend geklärt werden können.
Am Mittwoch wurde Paul beerdigt - auf Wunsch der Eltern unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das traumatische Erlebnis zu verarbeiten, braucht nun Zeit - für die Erwachsenen, aber auch für die Kita-Kinder. Wie man Kinder dabei unterstützen und ihnen das Unbegreifliche verständlich machen kann, darüber haben wir mit der Kulmbacher Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche Sarah Blank gesprochen, die seit 2011 auf diesem Gebiet tätig ist, seit 2015 in eigener Praxis, die kürzlich nach Neudrossenfeld umgezogen ist.
Was macht ein solches traumatisches Erlebnis mit uns - gerade, wenn es um den Tod eines kleinen Kindes geht?
Sarah Blank: So etwas löst bei jedem tiefe Betroffenheit aus. Schon wenn man davon liest, hat man Bilder im Kopf, gegebenenfalls fließen eigene Erfahrungen ein. Als Erwachsener fühlt man sich verantwortlich für Kinder, will sie vor Gefahren schützen. Unfälle mit Kindern werden als besonders belastend erlebt, denn man denkt: Das hätte doch verhindert werden müssen! Aber es konnte nicht verhindert werden. Es fällt schwer, das zu akzeptieren.
Wie verarbeiten kleine Kinder die Erfahrung, dass ihr Freund und Spielkamerad nie mehr wiederkommt?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort, denn traumatische Erlebnisse werden unterschiedlich verarbeitet. Man muss individuell schauen: Was braucht das Kind? Oft sind das vor allem viel Nähe und Geborgenheit, aber auch Gespräche helfen. Kinder haben Fragen im Kopf, auf die sie eine Antwort möchten. Sie wollen verstehen, was passiert ist und warum.
Wie man das beantworten kann, hängt auch vom Alter des Kindes ab, was es nachvollziehen kann. Es ist wichtig, es in dieser Situation nicht zu überfordern. Erwachsene sollten auf die Gefühle des Kindes eingehen und ihm zeigen: Du darfst traurig sein, die Erwachsenen sind auch traurig. Manche Kinder wollen nicht reden, ziehen sich zurück, schützen sich damit vor den vielen Eindrücken. Auch das ist eine Form der Verarbeitung. Vielleicht möchten sie später darüber reden.
Wann gibt es Handlungsbedarf?
Wenn die Eltern anhaltende Wesens- oder Verhaltensänderungen beobachten wie Rückzug, Lustlosigkeit, Passivität, Einschlafprobleme, Alpträume, Rückschritte in der Entwicklung. Wer allein nicht weiter weiß, sollte sich extern Hilfe holen, zum Beispiel Seelsorger, Kinderärzte oder Psychotherapeuten kontaktieren. Bei der Suche nach freien Terminen bei Ärzten und Therapeuten hilft die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern.
Haben kleine Kinder schon eine Vorstellung vom Tod?
Im ganz jungen Alter haben sie da in der Regel noch keine Berührungspunkte, verstehen deshalb auch nicht immer, warum jemand plötzlich nicht mehr da ist. Doch sie erleben, wie ihr Umfeld damit umgeht, lernen dadurch, was es heißt, wenn jemand stirbt.
Was brauchen Kinder in dieser Situation?
Es ist wichtig, dass sie Abschied nehmen können. Für die Erwachsenen geschieht dies meist bei der Beerdigung. Für Kinder kann der Abschied auch anders aussehen. Kleine Rituale helfen dabei: ein Bild malen, eine Kerze aufstellen, zum gemeinsamen Lieblingsplatz gehen, vielleicht sogar gemeinsam mit den Eltern einen Brief schreiben, in dem man ausdrückt, was man fühlt und dem verstorbenen Kind gerne mit auf den Weg geben möchte.
Der Kita-Betrieb wurde gleich am Tag nach dem Unglück wieder aufgenommen. Ist das aus psychologischer Sicht gut - ein Stück Normalität zu schaffen?
Das ist ganz wichtig. Es muss weitergehen. Für viele Kinder ist es hilfreich, mit den anderen Kindern zusammen zu sein, in der Gruppe gemeinsam den veränderten Kita-Alltag zu leben, zu trauern und Abschied zu nehmen. Auch hier gibt es aber keine allgemeingültigen Regeln, wie es zu sein hat. Eltern sollten individuell schauen: Was ist richtig für mein Kind? Da sind sie die Experten, denn sie kennen es ja am besten. Wenn sie es für richtig halten, ihr Kind erst einmal zu Hause zu behalten, ist das auch in Ordnung.
Man kann sich als Außenstehender kaum vorstellen, wie grausam der Verlust für die Eltern sein muss: Man gibt das Kind morgens in die Obhut der Kita und sieht es nicht mehr lebend wieder. Was kann Eltern durch diese schwere Zeit helfen?
Gespräche, Zuwendung, Anteilnahme können helfen, wenn sie von beiden Seiten gewollt sind. Betroffene Eltern müssen oft erst lernen, Emotionen zuzulassen, auch wenn sie schmerzhaft sind. Sie dauerhaft unterdrücken zu wollen, führt oft dazu, dass sie sich noch mehr anstauen. Freunde und Angehörige müssen da sehr sensibel sein, darauf achten, was die Betroffenen aushalten, was sie brauchen, was ihnen zuviel ist. Angebote für Gespräche und Unterstützung zu machen, ist gut; aber eben auch Verständnis zu zeigen, wenn das nicht angenommen wird. Man sollte diese Angebote durchaus wiederholen, jedoch ohne sich aufzudrängen. Betroffene, die sich professionellen Beistand wünschen, finden diesen beim Hausarzt, bei Therapeuten, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.
Eine Tragödie ist der Vorfall auch für die Mitarbeiterinnen der Kita, in deren Obhut das Kind war. Wie können sie mit dem emotionalen Abgrund zwischen Trauer, Schuldgefühlen, Angst vor Vorwürfen und öffentlicher Verurteilung fertig werden?
Zunächst bei sich und im privaten Umfeld zu bleiben, ist sicher ratsam. Außenstehende haben keinen Einblick und damit wenig Recht zu urteilen. Wenn sie es trotzdem tun, trifft das die Menschen hart, die ohnehin leiden. Auch für sie kann professionelle Unterstützung hilfreich sein.