Puzzlespiel mit Namen und Daten

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Ditmar Kühne hat historische Familienbeziehungen der Stadt dokumentiert und in Buchform veröffentlicht.
Ditmar Kühne hat historische Familienbeziehungen der Stadt dokumentiert und in Buchform veröffentlicht.
Dagmar Besand

Ditmar Kühne hat in jahrelanger Arbeit die Kirchenbücher von 1533 bis 1700 ausgewertet. Die dabei entstandenen Bücher geben Einblick in die einstige Kulmbacher Gesellschaft.

Schwer zu entziffernde Schriften, Tausende Namen, unzählige Querbindungen, die mühsam gesucht und gefunden werden müssen. Wer sich mit so etwas beschäftigt, braucht vor allem eines: Geduld! Ditmar Kühne hat reichlich davon, und so ist ihm der Abschluss eines kniffligen Puzzlespiels gelungen: die Auswertung der historischen Kulmbacher Kirchenbücher. Alle Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen sind darin verzeichnet.

Interessiert das heute noch jemanden, wer in Kulmbach vor 400 Jahren in welche Familie eingeheiratet hat? Wie viele Kinder das Paar hatte und wie viele von ihnen überlebten?

Familienbeziehungen prägten die Stadt

Das Thema ist spannender als man im ersten Moment denkt. Nicht nur für Ahnenforscher. Die Lebensstationen der früheren Bewohner Kulmbachs geben nämlich ganz besondere Einblicke in die Geschichte der Stadt, in ihre gesellschaftlichen Strukturen. Wer waren die Menschen, von denen ein Großteil der heute hier ansässigen Bevölkerung abstammt? Diese Frage beschäftigt Ditmar Kühne, der 2005 begann, die Kulmbacher Kirchenbücher aus der Zeit von 1533 bis 1629 zu studieren und wissenschaftlich auszuwerten. Die Ergebnisse finden sich im ersten Ortsfamilien- und Häuserbuch, das 2010 erschienen ist.

Damit war ein Teil der Historie aufgearbeitet. Doch halbe Sachen macht Kühne nicht. Und so machte er weiter und beleuchtet nun im zweiten Buch die Zeit von 1630 bis 1700.

Ahnenforschung ist zeitaufwendig. Man muss sorgfältig arbeiten - erst recht, wenn es nicht nur um den eigenen Stammbaum geht, sondern um die Wurzeln und die über Jahrhunderte gewachsenen Verflechtungen der Bevölkerung einer ganzen Stadt. Das Erfassen und Verknüpfen aller Daten ist eine mühsame Angelegenheit, doch wenn das einmal erledigt ist, wird es interessant, sagt Kühne, der bei seinen Recherchen auch auf besondere Schicksale stieß.

Heute nahezu unvorstellbar ist beispielsweise die Geschichte der Türkin Haditscha, von der nur der Vorname aufgeschrieben wurde. Sie war eine Witwe, die Obrist von Schönbeck 1688 als Kriegsgefangene nach Kulmbach brachte und "seiner Gemahlin zur Sklavin" gab. Als die Türkin drei Jahre später starb, wollten die Schönbecks sie auf dem Friedhof beisetzen lassen. Das durften sie nicht, da die Muslima sich nicht "von ihrem Unglauben abgewendet" hatte. So wurde sie nachts vom Nachwächter aus der Stadt getragen und "hinten an der Mauer eingegraben". Mehr Wertschätzung erfuhr dagegen eine andere türkische Witwe nur wenige Jahre später. Sie konvertierte und ließ sich auf den christlichen Namen Sophia Magdalena taufen.

Was reizt Ditmar Kühne an der Beschäftigung mit alten Kirchenbüchern? "Mein ursprünglicher Antrieb war, dass ich mehr über meine eigenen Vorfahren wissen wollte", erzählt der 82-Jährige. Als sich dem gebürtigen Schlesier in den neunziger Jahren die Gelegenheit bot, die alten Kirchenbücher von Hussinetz anzuschauen, der Heimat seiner Großeltern, reifte der Wunsch, eine umfassende Dokumentation zu erstellen. Daraus entstand Kühnes erstes Ortsfamilienbuch, das er dem damaligen Kulmbacher Dekan Jürgen Zinck zeigte. Der war von dem Angebot, etwas Vergleichbares für Kulmbach zu erstellen, begeistert.

"Ein bisschen verrückt muss man sein"

Langweilig sei ihm die Aufgabe nie geworden, sagt Kühne, der von seiner früheren Tätigkeit als Wissenschaftler an der Bundesanstalt für Fleischforschung (heute Max-Rubner-Institut) an akribische Forschungsarbeit gewöhnt ist. "Aber ein bisschen verrückt muss man schon sein, um so etwas zu machen."

Beide Bücher gedruckt in Händen zu halten, das erfüllt den Autor schon mit einem gewissen Stolz. "Es ist schön, wenn man etwas Bleibendes schaffen kann, von dem Generationen profitieren können." Kulmbach sei seit 50 Jahren seine Heimat, für die er das gerne tun wollte.

Zu einem wertvollen Nachschlagewerk werden die Bücher dadurch, dass Ditmar Kühne die Angaben aus den Kirchenbüchern durch verschiedene andere Quellen und Sekundärliteratur ergänzt hat. Um die Vernetzung der Familien über die Heiratsbeziehungen hinaus deutlich zu machen, hat er sämtliche Patenschaften einbezogen.

Auch da gibt es Staunenswertes. Den Taufeintrag des Carl Adam Joseph Friedrich aus dem Jahr 1687 zum Beispiel, der sensationelle 32 Paten hat - nicht irgendwelche Leute, sondern bekannte Namen aus bestem Hause. Die Namen Giech, Guttenberg und Künßberg sind darunter. Der Eintrag im Kirchenbuch ist ungewöhnlich umfangreich, erklärt jedoch so viel Prominenz zur Taufe nicht. Friedrich war ein polnischer Jude, dessen Alter mit ungefähr 20 Jahren angegeben wird. Die Konvertierung eines Juden scheint jedenfalls ein besonderes Ereignis gewesen zu sein.

Im zweiten Teil der Publikation hat Ditmar Kühne den zeitgleichen Teil aus dem bisher unveröffentlichten Häuserbuch des Stadtarchivs wiedergegeben, das die Besitzerfolge der einzelnen Häuser aufschlüsselt. Das Jahr 1700 als Abschlussjahr des Buches ist übrigens nicht zufällig gewählt. Für den evangelischen Teil Oberfrankens markiert dieses Jahr den Übergang vom Julianischen zum Gregorianischen Kalender.

Wird es noch ein drittes Buch als Fortsetzung geben? In dieser Form nicht, "das wird mir dann doch zu viel". Aber spätere Daten sind ebenfalls verfügbar, auch mit Kühnes Hilfe. Die Ahnenpässe und Familien-Stammbücher aus der Zeit vor 1945, die im Dritten Reich zur Notwendigkeit geworden waren, reichen vier Generationen und damit etwa bis 1800 zurück. So blieb noch eine Lücke von 1701 bis 1800, die Ditmar Kühne in einer online verfügbaren Dokumentation geschlossen hat. "Dafür habe ich alle Hochzeiten in diesem Zeitraum erfasst. Das Ganze ist online verfügbar."

Im neuen Buch finden sich auch zahlreiche Abbildungen: Portraits und Kupferstiche der evangelischen Pfarrer, Bilder von von Grabplatten und Epitaphen, aktuelle Bilder etlicher alter Häuser.

Wertvoll für jeden, der forscht

Kühnes Dokumentationen sind äußerst wertvoll - auch für das Kulmbacher Stadtarchiv. Erich Olbrich, selbst Heimatforscher, hat oft mit Anfragen zur Erbenermittlung oder Ahnenforschung zu tun. "Wir haben unsere standesamtliche Bücher ab 1878. Alles, was vorher war, findet sich nur in den Kirchenbüchern, und die sind nicht allgemein zugänglich. Die Ortsfamilien- und Häuserbücher sind da eine echte Hilfe."

Bücher Die Ortsfamilien- und Häuserbücher für Kulmbach sind in einer Auflage von zunächst 200 Exemplaren von der Gesellschaft für Familienforschung in Franken herausgegeben. Band eins ist für 33 Euro, Band zwei für 45 Euro im Buchhandel zu haben.

Online Wer sich für die Einträge von 1701 bis 1800 interessiert findet diese online unter der Adresse:

https://ofb.genealogy.net/kulmbach/