Wenn Monika Zeidler (64) den 67-jährigen Harry Smith anschaut, kommen ihr die Tränen. Immer wieder muss sie ihren Bruder, den sie erst jetzt kennenlernen durfte, umarmen und herzen. Auch Harry ist gerührt. Es ist eine besondere Geschwisterliebe.
"Wenn ich gewusst hätte, dass ich Schwestern habe, dann wäre alles anders gekommen", sagt Harry Smith. Er kann sein Glück kaum fassen. Monika Zeidler ist nicht die einzige Schwester, die er jetzt kennengelernt hat. Es gibt noch seine Schwester Ingeborg, die älter ist als er und in Nürnberg lebt, Schwester Marika, die zwei Jahre nach Harry geboren wurde, und Schwester Karin, die sechs Jahre jünger ist.
Unterschiedliche Väter Alle vier Frauen und ihr Bruder haben dieselbe Mutter, doch unterschiedliche Väter. Und deshalb haben sie sich auch zu Kinderzeiten nie gesehen. "Ich habe von einer Tante erfahren, dass ich einen Bruder habe. Aber ich wusste nur, dass er Harry heißt und dass er 1947 geboren ist", sagt Monika Zeidler. Sie kannte ein Foto, das ihre Mutter mit Harry gezeigt hat. "Meine Tante hat mir erzählt, dass es ein Schwarzerla war", sagt die 64-Jährige und lacht. Sie meint es nicht böse, und Harry muss mit lachen. Denn dass eine deutsche Frau in den Nachkriegszeiten ein dunkelhäutiges Baby bekommen hat, war damals ein Skandal, zumal die Mutter noch mit einem Deutschen verheiratet war. Harrys Vater selbst war amerikanischer Soldat.
"Wusste nicht, ob er noch lebt" Monika Zeidler, die wie ihre drei Schwestern bei Pflegeeltern aufgewachsen ist, hat lange vergeblich versucht, Harrys Adresse herauszufinden. Sie hat nicht mehr zu hoffen gewagt, ihn kennenlernen zu dürfen. "Ich wusste ja nicht einmal, ob er noch lebt."
Von Bildfläche verschwunden Harry selbst hatte keine Ahnung, dass er Geschwister hat. "Ich bin bei meinem Vater und bei meiner Mutter Maria aufgewachsen. Als ich 1966 geheiratet habe, habe ich gesehen, dass in meiner Geburtsurkunde Wahlmutter und Wahlvater steht", spricht er über seine unglaubliche Familiengeschichte. "Meine Mutter, also die Mutter, die mich aufgezogen hat, hatte nicht vor, mir zu sagen, dass sie nicht meine leibliche Mutter ist", berichtet er. Zu dieser Zeit war sein Vater von der Bildfläche verschwunden, denn er war als Zivilist in die USA zurückgekehrt.
Harry Smith ist in Deutschland geblieben und arbeitete als Zivilangestellter beim Militär. "Irgendwann hatte ich dann wieder Kontakt zu meinem Vater. Er hat mit erklärt, dass er mein leiblicher Vater ist. Wahlvater war nur eingetragen, weil er mich eben als amerikanischer Soldat adoptiert hat", sagt Harry Smith. Damals sei auch sein Nachname geändert worden. Deshalb konnte Monika Zeidler ihren Bruder nicht unter dem Namen ihrer Mutter finden.
Er wohnt in Atlanta Der 67-Jährige lebt mit seiner Frau heute in Atlanta. Als er seine Rente beantragt hat, hat er erfahren, dass er Geschwister in Deutschland hat. Er hat herausgefunden, dass seine älteste Schwester in Nürnberg wohnt. "Ingeborg hat mir dann die Nummer von Monika gegeben."
Der "Antrittsbesuch" Das Leben der Geschwister hat sich völlig verändert. Seit Monaten wird geskypt. Jetzt ist Harry Smith zum "Antrittsbesuch" nach Deutschland gekommen. "Zwei Schwestern kenne ich schon, die anderen werde ich noch kennenlernen", erzählt er. Harry freut sich, trifft er doch auch deren Kinder und Enkel.
Die Geschwister versuchen jetzt, das komplizierte Familienpuzzle zusammenzufügen. Wir sitzen bis morgens um fünf Uhr zusammen", sagt Monika Zeidler, die künftig noch mehr Zeit mit ihrem Bruder verbringen kann. Der will nämlich im kommenden Jahr nach Deutschland übersiedeln.