Kulmbacher Ärzte fühlen sich von Spahn verraten

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Booster-Impfung gegen Corona: Biontech und Moderna
Immer mehr Menschen in Deutschland holen sich eine "Booster-Impfung" gegen Corona. Doch welche Nebenwirkungen können bei den Vakzinen von Moderna oder Biontech auftreten?
Booster-Impfung gegen Corona: Biontech und Moderna
Archiv/Rogelio V. Solis, dpa
Thomas Heinl
Thomas Heinl
 
Jürgen Berthold Bauer
Jürgen Berthold Bauer
 
Markus Ipta
Markus Ipta
 
Anja Tischer
Anja Tischer
 

Die Ärzte im Landkreis Kulmbach üben harsche Kritik an der kurzfristigen Kürzung der verfügbaren Impfstoffmenge.

Der Ludwigschorgaster Allgemeinarzt Thomas Heinl ist wie so viele seiner Kollegen stinksauer auf die politischen Entscheidungsträger. "Unsere Politiker, allen voran Gesundheitsminister Spahn, haben uns verraten", klagt der Mediziner über die Tatsache, dass die von ihm bestellten Mengen an BioNtech-Impfstoffdosen "zwar versprochen wurden, aber nun kurzfristig von einem Tag auf den anderen ohne Angabe eines Grundes auf ein Minimum reduziert und nicht geliefert werden".

Auch der neue Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands, Markus Ipta, und die Vorsitzende des Hausärztevereins, Anja Tischer, weisen in einer gemeinsamen Presseerklärung auf die Problematik hin. "Kurzfristige Änderung der Bestellmengen der verfügbaren Corona-Impfstoffen ist ein sehr ärgerliches Geschehen. Erst durften wir niedergelassenen Impfärzte nur alle zwei Wochen die Impfstoffe bestellen, was zu erheblicher Planungsunsicherheit führte. Jetzt endlich können wir wieder wochenweise bestellen, aber erhalten nur reduzierte Impfmengen von BioNTech", halten sie fest. "Der Gesundheitsminister, Herr Spahn, will hier, kurz vor Haltbarkeitsablauf, Moderna verimpft sehen. Aber BioNTech und Moderna sind beide nicht ausreichend bis zum Ende des Jahres vorhanden, um wiederum alle Impfwilligen zu Boostern oder gar Erstimpfungen durchzuführen", heißt es bei ihnen.

"Wie soll man da durchstarten?"

So seien versprochene Impfdosen nicht geliefert worden. Erst habe der Bund 30 Impfdosen pro Woche für die Praxis freigegeben, dann - nach massivem Protest durch Ärzte und Politik - seien 48 Impfdosen geliefert worden, aber mit dem Ergebnis, dass in der folgenden Woche nur 18 Impfdosen ausgeliefert worden seien. "Wie soll man hier mit einer großangelegten Impfkampagne durchstarten können?", fragen die beiden Mediziner.

Planung von der Impfungen für Ende November und Dezember müssten nun neu organisiert werden, da die Patienten dem Wechsel von BioNTech auf Moderna zustimmen und zudem bestimmte Richtlinien eingehalten werden müssten. "Damit wurde der Praxisablauf erheblich durcheinandergebracht", klagen Ipta und Tischer.

Erneut trete eine Verunsicherung der Gesellschaft ein. Das Image des Impfstoffes Moderna - ähnlich wie bereits bei Astra geschehen - werde negativ beeinflusst. "Wir Ärzte wissen, dass Moderna BioNtech ebenbürtig ist, aber ein Imageschaden kann schwerlich rückgängig gemacht werden", kritisieren die Ärzte.

Ärgerlich seien auch die undifferenzierten Aussagen zur Impfung und zu Impfstoffen von diversen Politikern. Aussagen wie "jeder kann den Impfstoff weiterhin auswählen" seien nicht mehr aktuell, da bei limitierten Impfdosen eindeutige Zuordnungen der verschiedenen Impfstoffe erfolgen müssten:

Ab jetzt, so Markus Ipta und Anja Tischer, würden vorrangig mit BioNTech geimpft: Schwangere und Stillende, Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren, Personen zwischen 18 und 29 Jahren, Zweitimpfungen nach Erstimpfung BioNTech und Boosterimpfungen nach Kreuzimpfung Astra/BioNTech. Allen anderen Impflinge werde Moderna angeboten!

"Diese Änderungen betreffen uns beim Impfen im niedergelassenen Bereich als auch im Impfzentrum Kulmbach", so die Verbandsvorsitzenden.

"Wir haben die Terminvergaben und Impfungen massiv ausgeweitet und stehen jetzt da wie die Doofen", ärgert sich auch Thomas Heinl. Bis Ende Januar hatte er in seiner Praxis geplant und pro Woche zwischen 60 und 70 Patienten zum Impfen bestellt, nun könne man zum Teil 50 Prozent weniger impfen.

In den vergangenen Wochen, als man das alles mit immensem Arbeitsaufwand organisiert habe, habe es nie geheißen, BioNtech werde knapp. "Die Rationierung kam von heute auf morgen. Das ist eine Unverschämtheit. Und dann sitzen sie am Sonntagabend alle bei Anne Will und lügen dem Volk etwas vor", empört sich der Allgemeinarzt.

Ihm bleibe nun nichts anderes übrig, als seinen Patienten eine Impfung mit Moderna anzubieten, "falls dieser Impfstoff geliefert wird". Die vereinbarten Termine lässt der Ludwigschorgaster Arzt von Praxisseite aus bestehen und hofft, dass er Impfwillige von dem gleichwertigen mRNA-Serum Moderna überzeugen kann, auch wenn er weiß: "Jetzt geht das Diskutieren wieder los. Das kostet viel Zeit und Energie."

Wütend auf die Politik ist auch Jürgen Berthold Bauer, Internist und Hausarzt im Gesundheitsbahnhof Harsdorf. Gesundheitsminister Spahn habe aus dem Astra-Debakel nichts gelernt. Die Diskussion um den Moderna-Impfstoff sei "ein Störfeuer, das niemand braucht". In seiner Praxis sei durch die plötzliche Reduzierung des Biontech-Impfstoffs die gesamte Impfplanung zerrissen, klagt Bauer. Moderna sei ein gleichwertiger Impfstoff, aber das sei schwer zu vermitteln, wenn seitens der Politik der Eindruck erweckt werde, dass jetzt minderwertiges Liegengebliebenes verimpft werden müsse. "Das ist eine Katastrophe!"

72 Dosen BioNtech wollte Bauer letzte Woche verabreichen. Bekommen hat er 18. Etwa 25 Patienten akzeptierten stattdessen Moderna, der Rest will lieber warten und vorläufig verzichten. Das sei für den Impffortschritt schlecht. "Wir Ärzte tun alles dafür, möglichst viele Menschen möglichst schnell zu impfen, und dann kommt über Nacht so eine Holter-die-polter-Aktion, die uns wieder zurückwirft. Wir hätten wenigstens zwei Wochen Vorlauf gebraucht, um unsere Patienten auf die veränderte Situation vorzubereiten und entsprechend aufzuklären."

Man hätte auf die Virologen hören und den Sommer intensiver nutzen müssen, um die Impfkampagnen voranzutreiben, sagt der Mediziner. Die Impfung sei wichtig, egal welcher Impfstoff zum Einsatz komme.

Impfzentrum hält Termine

Großer Andrang herrscht derzeit im Kulmbacher Impfzentrum. Reicht dort der Impfstoffvorrat aus? "Alle zugesagten Termine werden stattfinden", sagt der Leiter des Impfzentrums, Marcel Hocquel. "Wir müssen von Woche zu Woche sehen, wie viel Impfstoff verfügbar ist und geben dementsprechend dann weitere Termine frei." Verimpft werden gemäß der aktuellen Empfehlungen Bi ontech für Menschen unter 30 Jahren und Moderna für alle ab 30.

Die Bayerische Landesärztekammer weist in einem Schreiben an die Vorsitzenden der Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbände, das der Bayerischen Rundschau vorliegt, darauf hin, dass bundesweit die vom Bundesgesundheitsministerium in Aussicht gestellte Menge an Corona-Impfstoff, insbesondere der Firma BioNTech, nicht an die Praxen ausgeliefert worden seien. Die Landesärztekammer interveniere auf allen Ebenen massiv und sei gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege um eine Lösung bemüht, damit die Impfkampagne nicht erneut schwer behindert werde.