Gasgewinnung in Kulmbach oder: Sag niemals nie zum Fracking?

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Das Logo der FRacking-Gegner
Das Logo der FRacking-Gegner
Jochen Nützel

In den USA gang und gäbe, bei uns hochumstritten: die Gewinnung von Schiefergas. Unter unseren Füßen lagern Vorräte - aber müssen wir trotz Krise jede regionale Ressource heben, koste es, was es wolle? Im Landkreis war die Haltung dazu bisher eindeutig.

Fracking? Ein Wort wie Donnerhall. Der Kreistag hatte dazu eine Resolution verabschiedet, einstimmig angenommen quer durch alle Fraktionen mit dem Tenor: Diese umstrittene Methode zur Gewinnung von Gas aus der Tiefe kommt für den Landkreis nicht infrage. 2015 war das, die Energiewelt noch in Ordnung; Russland galt als verlässlicher Partner und Energielieferant des Westens und eigene Vorkommen schienen uninteressant, weil zu teuer. Doch Zeitenwenden bringen bisweilen geistige Kehrtwenden mit sich. Plötzlich wird über eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten gesprochen und Kohleverstromung als notwendiges Übel in Kauf genommen. Und nun auch noch Fracking erlauben?

Veränderte Vorzeichen

Die Vorzeichen hatten sich bereits 2018 geändert, wie sich FDP-Stadt- und Kreisrat Thomas Nagel erinnert (er war einer derjenigen, die Fracking nicht per se verteufeln). Ein Gesetz machte erstmals Vorgaben, ob und wie in Deutschland Gas nach der Fracking-Methode gefördert werden darf. Die Minister der Merkel-Regierung in der Großen Koalition hatten sich auf einen Entwurf geeinigt: Probebohrungen mit Frackingflüssigkeiten sind demnach erlaubt, wenn sie das Trinkwasser nicht gefährden. Eine Expertenkommission sollte prüfen, ob sich ein Abbau lohnen würde - ohne Gefahr für Mensch und Umwelt. Dann dürften Energieunternehmen Anträge stellen, um kommerziell zu fracken.

Wie Nagel das bewertet? "Fracking in Deutschland ist eine Option, die wir diskutieren müssen wegen einer solchen Energiekrise wie gerade jetzt. Das Thema ist allerdings sehr unbeliebt in der Bevölkerung. Deshalb sollten wir darüber nicht in Hinterzimmern diskutieren, sondern die Ängste ernst nehmen und nicht über die Köpfe der Menschen entscheiden." Seine Partei wolle angesichts der Energiekrise das Verbot der Erdgasförderung durch Fracking auf den Prüfstand stellen. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass Fracking unter modernen Sicherheitsstandards wenig relevante Umweltschäden verursache. "Ich selbst sehe das aber aktuell noch skeptisch."

Allerdings sagt Nagel auch: Wer Frackinggas aus den USA importiert, kann nicht gegen eine sichere Förderung in Deutschland sein. "Negative Folgen für die Umwelt darf es aber nicht geben."

Erhöhter Methanausstoß befürchtet

Als "absoluter Gegner von Fracking" positioniert sich Rainer Ludwig (Freie Wähler), wie Nagel Mitglied im Stadtrat und Kreistag sowie als Landtagsabgeordneter energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion. "Ich habe mich stets gegen das umstrittene und umweltzerstörende Förderverfahren ausgesprochen. Die Methode dient nur der Gewinnung fossiler Brennstoffe und steht nicht im Kontext, nachhaltig erneuerbare Ressourcen zu fördern. Fracking zerstört natürliche Lebensräume und gefährdet Arten - dadurch geraten lokale Ökosysteme aus dem Gleichgewicht!" Daher sei es für Ludwig der falsche Weg auch in der Krise: Durch schädliche Chemikalien würde nicht nur die Struktur des Bodens verändert, es komme zu erhöhtem Methanausstoß sowie zu einer ernsthaften Kontamination des Grundwassers - und somit zur Gefährdung der Trinkwasserversorgung. "Deren Schutz hat immer Vorrang."

2018 hatte die FW- Fraktion einen Antrag im Münchner Maximilianeum eingebracht, der sich klar gegen diese Technologie wendet. In Bayern komme Fracking allein aufgrund der geologischen Gegebenheiten nicht in Betracht, sagt Ludwig. "Das überteuerte Verfahren würde auch den aktuellen Versorgungsengpass nicht verhindern, denn Bau und Inbetriebnahme solcher Anlagen würden sich über Jahre hinziehen." Zentrale Aufgabe mit höchster Priorität sei der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien. Wer schnell Energiereserven erschließen wolle, müsse über kurzzeitig verlängerte Laufzeiten von Kernkraftwerken nachdenken.

Langer Vorlauf

Den Zeitfaktor benennt auch die CSU-Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner. "Klar ist, dass das erste Frackinggas wahrscheinlich erst in drei Jahren und relevante Gasmengen erst in zehn Jahren gefördert werden könnten." Dennoch hält sie eine aktuelle Diskussion für nötig. "Unsere Entscheidungen müssen immer im Kontext der Zeit gesehen werden. Deshalb war die Entscheidung damals richtig, Fracking nicht flächendeckend anzuwenden und das unkonventionelle Fracking zu verbieten." Gleichzeitig aber sollte durch Modellprojekte das Know-how der Technologie erhalten und weiterentwickelt werden. Fossile Rohstoffe sollten nur in Notlagen genutzt und für künftige Generationen bewahrt werden. "Ob Russlands Angriff auf die Ukraine als eine solche Notlage eingestuft werden muss, ist zu diskutieren."

Zeulner schlägt vor, schnellstmöglich andere Optionen in Betracht zu ziehen. Wie Ludwig denkt sie an verlängerte AKW-Laufzeiten mit den vor Ort befindlichen Ressourcen, aber auch die zügige Erweiterung von Kapazitäten der Biogasanlagen, wenn diese ausschließlich mit Gülle arbeiten, sowie die beschleunigte Realisierung von Windkraftanlagen etwa in Industriegebieten. "Zudem sollten wir auch die Kapazitäten bei der heimischen konventionellen Gasförderung erhöhen."

Doppelter Irrweg

Fracking und verzögerter Atomausstieg - für Dagmar Keis-Lechner ein doppelter Irrweg. Die Stadt- und Kreisrätin der Grünen hatte sich bereits bei der ersten Debatte vor sieben Jahren als Sprecherin der Initiative "Abgefrackt", einer Gruppe von Frackinggegnern, engagiert. Sie sah Fracking in Bayern politisch durch die Hintertür kommen und hoffte auf einen Verbotsantrag aus Bundes- und Landesparlament. Dann hörte man lange nichts mehr, die Gefahr schien gebannt. Bis vor einigen Wochen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angesichts drohender Nachschublücken das Thema erneut auf die Agenda setzte.

Für die Kulmbacherin ist klar: "Wir müssen von den fossilen Energien weg! Sie zerstören unser Leben und unsere Erde und bringen uns in eine gigantische Abhängigkeit, denn alles steht in Verbindungen zu Öl, Gas und Kohle." 20 "verschlafene Jahre" bei der Energiewende fielen dem Land nun gewaltig auf die Füße. "Spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine und damit auf unsere freiheitlichen demokratischen Werte wurde auch unseren politischen Mitbewerbern klar, dass wir wegkommen müssen vom russischen Gas und Öl. Leichter gesagt als getan, denn welcher Lieferant soll und kann die Lücke schließen und wie bekommen wir das logistisch hin?" Da liege es nahe, erst einmal vor Ort nach Lösungen zu suchen - und so kämen Vorschläge wie das Fracking aus der energiepolitischen Mottenkiste.

Für die Grünen-Politikerin steht fest: "Wenn dieses Gasvorkommen gehoben werden soll, sind tiefe Bohrungen nötig, in denen mit hohem Druck Sand, jede Menge Wasser und giftige Chemikalien hineingepumpt werden. Dabei wurde schon damals berechnet, dass die Ausbeute im Weidener Becken nur eine sehr überschaubar Menge im Gesamtverbrauch ausmacht. Letztlich helfen kann uns nur, Energie zu sparen."

Rückblick

Das wurde aus der Erkundungslizenz

Fracking vor unserer Haustür? Das war ein Aufreger vor acht Jahren. Im April 2014 löste eine Karte im bayerischen Landtag Irritationen aus: Sie zeigte ein Erkundungsgebiet für Öl- und Gasvorkommen, die Lizenz dazu hatte eine Firma namens Rose Petroleum. Das markierte Areal war ein Siebeneck, die Kanten schnitten Mistelgau und Ahorntal im Westen, im Norden Warmensteinach, im Süden Sulzbach-Rosenberg. Und der Zipfel des Gebiets links lappte bei Neudrossenfeld in den Landkreis Kulmbach.

"Weiden-Bassin" - Weidener Becken - war das Gebiet überschrieben. Auf dem 2600 Quadratkilometer umspannenden Sektor durfte das genannte britische Unternehmen über einen Zeitraum von drei Jahren nach Öl- und Gasvorkommen suchen - und zwar mittels Schallwellen, wie es in einer Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums hieß. Sollten die Briten fündig werden, könnten sie in der Folge den Antrag auf Bohrungen stellen. Und: Allein die seien erlaubt, so die offizielle Auskunft. Kein Fracking also.

Was bei der Beprobung rauskam? Offenbar nichts. Und was aus der Lizenz wurde? Die wurde nach Angaben des Protestnetzwerks "Abgefrackt" nicht verlängert. Eine andere Firma, die hier Anfragen stellen könnte, sei nicht in Sicht. Dennoch wollen die Gegner wachsam bleiben, sagt ihre Sprecherin Dagmar Keis-Lechner.

So funktioniert die Schiefergas-Gewinnung

Definition Fracking als

Begriff ist die Kurzform von Hydraulic Fracturing. Es beschreibt das Herausbrechen ("to fracture") von Schiefergasen aus tieferen Gesteinsschichten. Grundsätzlich wird mit Wasser und Sand ein chemisches Gemisch in den Boden gepresst, das die Schichten aufdrücken und die Gase zur Bohrstelle leiten soll. In den USA ist die Methode gängige Praxis, um in Erdgaslagerstätten die Förderquote zu erhöhen bzw. Vorkommen anzuzapfen, die aufgrund der Gesteinsdichte nicht erschließbar waren.

Gefahren In den USA ist es zu einigen Störfällen gekommen, wie aus einem Bericht der dortigen Umweltbehörden hervorgeht. In einem See in West Virginia verendeten Tausende Fische nach einem Einsatz. Überhaupt gilt bei Kritikern die Gefahr der Verunreinigung von Grundwasser- und Trinkwasserreservoires als unkalkulierbar, weil die Chemikalien nie vollständig zurückgewonnen würden. Der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung teilt die Bedenken nicht, Fracking sei bewährt.

Vorrat In Deutschland lagern nach Schätzungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften rund 2,3 Billionen Kubikmeter gewinnbares Schiefergas im Untergrund. Die Menge würde laut Experten reichen, auf aktuellem Niveau den deutschen Gasverbrauch für zehn Jahre zu decken.