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Fränkische "Reichsbürger" sind abgetaucht


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Mittwoch, 14. Dezember 2016

Das war zu viel Öffentlichkeit: Der Kulmbacher Stammtisch wurde im Internet eliminiert. Aber ist die Szene auch aus der Stadt verschwunden?
Der Stammtisch der fränkischen "Reichsbürger" in Kulmbach ist abgetaucht.  Montage: Micho Haller


Das war zu viel Öffentlichkeit für die fränkischen "Reichsbürger": Nach unserem Bericht über ihre Treffen in Kulmbach sind sie abgetaucht. Im Internet wurden die Kontaktdaten für den Stammtisch in einer Kulmbacher Gastwirtschaft gelöscht. Seit einem Jahr sind die fränkischen "Reichsbürger" nach Kulmbach gepilgert. Ist die Szene, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jetzt verschwunden?

Der Kulmbacher Stammtisch existierte bis zum Bericht auf infranken.de vor zwei Wochen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht. Die Gruppe mit bis zu 30 Personen aus weiten Teilen Frankens blieb im Nebenzimmer einer Gastwirtschaft unter sich. Ein Journalist war dort nicht willkommen.


"Weg aus der Sklaverei"

Andere "Reichsbürger" - nach einem aktuellen Bericht sind es 4500 bundesweit, davon 1700 in Bayern - gehen mit ihrer seltsamen Weltanschauung offener um. Immer ist es eine Mischung aus staatsfeindlichen Gedanken, Verschwörungstheorien, rechten Parolen und juristischem Halbwissen. Ein Stammtisch in Weißwasser (Sachsen) gibt sich "offen für jeden, der erkannt hat, dass dieser Weg aus der Sklaverei führt" und sendet "herzliche Grüße aus der preußischen Provinz Schlesien".

Im Landkreis Rosenheim agiert die "Heimatgemeinde Chiemgau" offen staatsfeindlich: "Wir stehen den rechtlichen Grundlagen dieser Gesellschaft kritisch gegenüber und hinterfragen deren Basis."


Wieder Waffen gefunden

Mit dem Ergebnis, dass dort die Polizei ganz genau hinschaut. Bei der Durchsuchung einer "Reichsbürger"-Wohnung am Dienstag in Chieming wurden Waffen gefunden. Den Hausherren nahm die Polizei in Haft.

Offenbar spüren auch die fränkischen "Reichsbürger" den Verfolgungsdruck. "Der ganze Freistaat ermittelt", sagt der im Landratsamt Kulmbach zuständige Jurist Lars Peetz. Und Polizeisprecher Jürgen Stadter erklärt: "Der gesamte Sicherheitsapparat in Bayern ist mit den ,Reichsbürgern' beschäftigt."


Hochburg Kulmbach

Dabei ist der Landkreis Kulmbach keineswegs ein weißes Blatt auf der "Reichsbürger"-Landkarte. Das Polizeipräsidium Oberfranken rechnet etwa 200 Personen der Szene zu. Im Regierungsbezirk gibt es neun Landkreise und vier kreisfreie Städte - und mit 44 "Reichsbürgern" ist der Kulmbacher Anteil überproportional hoch.

Nach Stadters Angaben arbeiten Polizei und Verfassungsschutz daran, die Szene in Oberfranken zu durchleuchten. Dabei geht man nach festgelegten Parametern vor. Hat jemand einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt, den ominösen "gelben Schein"? Hat einer seinen Personalausweis abgegeben oder sich selbst als "Reichsbürger" bezeichnet? Ist jemand auffällig geworden, weil er Steuern, Gebühren oder Bußgelder nicht bezahlen will? Alles Indizien, so Stadter, für die Ablehnung des Staates.

In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie viele Waffen in der Szene vorhanden sind. Es erfolgt ein Abgleich mit waffenrechtlichen Dateien. "Aufgrund der polizeilichen Erkenntnisse wird in Absprache mit den zuständigen Behörden der Kreise oder Städte über das weitere Vorgehen entschieden", betont der Polizeisprecher. "Entweder werden die Leute schriftlich aufgefordert, sich zu äußern. Oder wir handeln sofort und ohne vorherige Ankündigung, wenn es die Gefahreneinschätzung erfordert." Es gehe um die Sicherheit der Bürger und der Staatsbeamten. Dafür werde viel Arbeit und Zeit investiert.


Staatsfeind bei der Polizei?

Die oberfränkische Polizei hat auch in den eigenen Reihen geprüft, ob es hier "Reichsbürger" gibt. Stadter: "So einen Fall wie in Rosenheim, wo jüngst ein Polizist vom Dienst suspendiert worden ist, haben wir nicht. Sollte sich etwas ergeben, wird man rigoros dagegen vorgehen."

Im Landkreis Kulmbach sollen acht "Reichsbürger" auch Waffen besitzen. "Die Angeschriebenen haben abgestritten, dass sie dazugehören", berichtet der Jurist. Die Aufklärung des Sachverhalts sei nicht einfach. Die Ergebnisse müssten gerichtsverwertbar sein. Daher sei das Landratsamt auf die Zusammenarbeit mit Polizei und Verfassungsschutz angewiesen.


Nicht mehr auffindbar

Der Kulmbacher Stammtisch, der seit genau einem Jahr bestand, ist unter http://gelberschein.info/stammtische/ nicht mehr im Ínternet auffindbar. Die "Reichsbürger" scheinen tatsächlich abgewandert zu sein. Andere Wirtshausgäste haben von den Montagstreffen nichts mehr bemerkt. Auch die Autos mit den auswärtigen Kennzeichen fehlen auf dem Parkplatz. Allerdings ist nicht bekannt, wohin die Szene mit ihrem Koordinator "Marco" abgewandert ist.