Die Mär vom fairen Lohn

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Die Frage nach fairem Lohn? Oft eine Grauzone. Wer was verdient - darüber redet man nicht. Betriebsseelsorger Eckhard Joey Schneider hat diverse Erfahrungen gemacht, aber an der Solidarität innerhalb der Arbeitnehmerschaft führe kein Weg vorbei.Archiv
Die Frage nach fairem Lohn? Oft eine Grauzone. Wer was verdient - darüber redet man nicht. Betriebsseelsorger Eckhard Joey Schneider hat diverse Erfahrungen gemacht, aber an der Solidarität innerhalb der Arbeitnehmerschaft führe kein Weg vorbei.Archiv

Wann ist Bezahlung "gerecht"? Betriebsseelsorger Eckhard Schneider hat da seine eigenen Erfahrungen gemacht.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Eine schöne Vorstellung. Wie aber ans Ziel kommen? Und können Gesetze helfen oder nur Solidarität? Der katholische Betriebsseelsorger Eckhard "Joey" Schneider zeichnet ein kritisches Bild. Arbeit und Entlohnung - da gibt es reale und gefühlte Ungerechtigkeiten. Herr Schneider, aus Ihrem Erfahrungsschatz als langjähriger katholischer Betriebsseelsorger und Kenner der Branche: Ist die Lohnzufriedenheit größer oder kleiner geworden?

Eckhard Schneider: Das ist ganz unterschiedlich und kommt drauf an, wo und in welcher Sparte die Beschäftigten arbeiten und wie sie selber ihre Situation bewerten. Es ist nicht nur eine monetäre Frage, sondern die Frage nach Lohn-Zufriedenheit ist immer auch eine sozialethische. Das heißt: Die Wertschätzung des Einzelnen und das Betriebsklima lassen manches Lohngefälle hinnehmen. Dennoch: Die gerechte Entlohnung ist Dreh- und Angelpunkt der Sozialethik.

Geht es dabei auch um die Frage von Tarifgehalt und frei verhandeltem Lohn?

Ich erlebe immer häufiger, dass Arbeitgeber die Tarifbindung kündigen. Sie wollen "frei" bezahlen, also entsprechend ihrer individuellen wirtschaftlichen Lage, wie sie selber einschätzen; dem Arbeitnehmer ist nur die Rolle des Empfängers und Bittstellers zugedacht. Wenn keine anderen kollektiven Vereinbarungen getroffen werden, ist die Frage nach Gleichheit in der Bezahlung problematisch. Wohin diese Entwicklung im Extremfall führen kann, zeigt sich an einem Beispiel im Klinikbereich. Leute, die die gleiche Arbeit tun, werden unterschiedlich bezahlt. Auf einer Station drei verschiedene Entlohnungsmodelle: die junge Krankenschwester, die ältere Kollegin mit dem Alttarifvertrag - und dazu die Leiharbeiterin. Alle tun die gleiche Arbeit nach dem gleichen Dienstplan. Dass das nicht förderlich ist für das Betriebsklima und für die Gewinnung von neuen Mitarbeitern, ist verständlich.

Die Leute fühlen sich zu Recht gegeneinander ausgespielt, oder?

Die Beschäftigten sprechen viel zu wenig über ihr Gehalt, oder es wird ihnen explizit untersagt. Aber in vertraulichen Gesprächen heißt es häufig: Warum ist das erlaubt? Da muss doch einer eingreifen. Wie kann das Gewerkschaft/Arbeitnehmervertretung zulassen? Und darauf muss ich den Leuten sagen: Es liegt nicht allein in deren Händen, dass solche Möglichkeiten bestehen. Ohne Solidarität und Rückendeckung werden die "Kleinen" leicht ausgespielt. Wofür gehe ich auf die Straße und wofür gebe ich mein Einverständnis?

Kann hier das neue Lohntransparenzgesetz etwas bewirken? Es soll ja helfen, Differenzen in den Gehältern von Männern und Frauen aufzudecken. Oder ist das nur eine weitere bürokratische Krücke ohne echten Fortschritt?

Transparenz klingt immer gut und ist es auch - bis wir anfangen zu schielen. Ich meine damit: Sobald der Neid deinen Blick verengt, ist das kollegiale Miteinander in Gefahr.

Aber es geht doch um gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Ohne Frage, die klassische gewerkschaftliche Forderung hat immer noch ihre Gültigkeit, dennoch ist sie nicht vom Himmel gefallen, oder gar ein Gesetz. Leider. Die Lösung der Lohnfrage wird nicht erbeten oder erbetet, sondern gemeinsam erstritten und erkämpft.

Dafür müsste man sich also, wie es so schön heißt, aus der Komfortzone bewegen und sich als Arbeitnehmer besser oder überhaupt organisieren. Sprich: Gewerkschaftsmitglied werden und /oder Betriebsratsmitglied.

Richtig. Aber das ist keine "leichte Kost" und auch nicht umsonst! Gewerkschaftliches Miteinander und Engagement in der Betriebsrätearbeit haben ihren Preis und nicht nur die Arbeitgeber geben bisweilen unumwunden zu verstehen, dass sie davon nichts halten. Werden deshalb Gewerkschaftsmitglieder und auch Betriebsräte als "Auslaufmodell" bei manchen gesehen? Ja, so erlebe ich es bisweilen. Das hat viel mit Mangel an Solidarität zu tun in einer Gesellschaft, wo der Individualismus und Siegermentalität unangefochten dominieren.

Solidarität klingt antiquiert und hat Geruch vergangener Tage. Aber das Gegenteil ist der Fall. Das einzige, was uns in dieser globalisierten Welt retten kann, ist die Solidarität. Auch und vor allem bei der Durchsetzung von Lohngerechtigkeit. Dafür musst du freilich aufstehen und stehen bleiben bei Gegenwind, jeder mit seiner Stimme, seinem Engagement und seinen Fähigkeiten. Nur so werden Gewerkschaft und den Arbeitnehmervertretungen gestärkt bei der Forderung nach dem gerechten Lohn. Im Augenblick stehen viel zu wenige auf. Die Frage ist doch: Wieso verdienen Krankenschwestern in Vollzeit so viel weniger wie der Monteur bei Bosch am Fließband? Es ist eine Frage der Wertschätzung aber auch die des gewerkschaftlichen Organisationsgrades. Wo viele sich zusammentun, kann ich etwas bewegen - auch in Sachen Lohn. Ist das auch ein geschlechterspezifisches Problem?

Ich sage mal so: Es hat sich in den vergangenen Jahren, was den Leidensdruck bei weiblichen Beschäftigten angeht, einiges getan. Frauen waren früher stärker in der Opferrolle gefangen und haben mehr hingenommen. Dank Frauenbewegung und auch durch Frauenlisten der politischen Parteien haben sich die Frauen bewegt und lassen sich nicht mehr abspeisen. Die Generation jüngerer Frauen pocht mehr auf ihre Rechte, sie gehen auch mal ein höheres Risiko ein, etwa beim Gespräch mit dem Vorgesetzten um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

In der öffentlichen Wahrnehmung scheint bei der Gleichheit der Geschlechter in der Wirtschaft vor allem die Quotendebatte um die weibliche Besetzung von Posten in Dax-Vorständen die Agenda zu bestimmen. Warum nicht mal die Geschäftsführerin oder die Abteilungsleiterin im Mittelstandsbetrieb thematisieren?

Dann schauen wir uns doch mal die zehn größten Betriebe in Kulmbach an und fragen uns: Wo steht eine Frau an der Spitze? Da fallen mir spontan der größte Arbeitgeber ein, das Klinikum, mit Brigitte Angermann als Geschäftsführerin ein, und Elisabeth Weith von der Arbeiterwohlfahrt. Dann wird es schon dunkel, gerade in der Industrie sehen wir fast ausschließlich Männer in Führungspositionen. Gleiches gilt übrigens auch für die Betriebsratsgremien, die männerdominiert sind. Die Betriebsratsvorsitzende Martina Weber von der Kulmbacher sticht heraus. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat in einer Studie die Lohnzufriedenheit abhängig von der Einkommensklasse untersucht. Das wenig überraschende Ergebnis: Gerade Geringverdiener fühlen sich tatsächlich oft ungerecht bezahlt. Jeder Zweite hält sich unterbezahlt, in den oberen Chargen hingegen jeder Siebte. Kann da der Mindestlohn helfen?

Ich habe immer wieder Arbeitgeber gehört, die gemutmaßt haben: Der Mindestlohn hilft nicht, sondern macht alles nur noch schlimmer und kostet letztendlich Arbeitsplätze; das hat sich nicht bewahrheitet. Dennoch: Der derzeitige Mindestlohn kann nur ein erster Schritt sein hin zu mehr Gerechtigkeit, aber er muss deutlich erhöht werden mit Blick auf Rente, sprich die drohende Altersarmut. Wie fühlen sich Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und von ihrer Rente dennoch nicht leben können? Was kommt da noch auf uns zu?

Im Sinne von "sozialer Sprengstoff"?

Allerdings. Und es lässt uns letztlich die Systemfrage stellen, nämlich wie der Kapitalismus sich auswirkt auf unser Miteinander. Momentan ist vieles noch gedämpft und weit weg durch die gute Konjunktur. Aber wir werden einen Abschwung heuer erleben, die Indikatoren zeigen das an. Und was dann? Der Kapitalismus - das goldene Kalb, um das wir tanzen - schaut nur auf Gewinn und Rendite, der Mensch und die gute Mutter Erde werden außer Acht gelassen. Wer Kritik daran äußert, muss damit rechnen, dass er als linker Spinner verschrien ist und in manchen Kreisen nicht mehr willkommen. Aber ich will mit dem heiligen Augustinus schließen, der formuliert: Man muss nicht nur die Räuber sehen und benennen, sondern auch das System Räuberei - und ich ergänze: das System der Ausbeutung.