Das Reinheitsgebot wird heuer 500 Jahre alt

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Am 23. April dieses Jahres jährt sich das Reinheitsgebot zum 500.Mal. Symbolbild: W. Heiber Fotostudio
Am 23. April dieses Jahres jährt sich das Reinheitsgebot zum 500.Mal. Symbolbild: W. Heiber Fotostudio
Trotz Reinheitsgebot: In Brauerei-Fachzeitschriften in Bayern werden unerlaubte Zusatzstoffe ungeniert angeboten. Die Anzeigen stammen aus "Der Bayerische Bierbrauer" des Jahres 1872.
Trotz Reinheitsgebot: In Brauerei-Fachzeitschriften in Bayern werden unerlaubte Zusatzstoffe ungeniert angeboten. Die Anzeigen stammen aus "Der Bayerische Bierbrauer" des Jahres 1872.
 
Hubert Erzmann aus Weimar, inzwischen 83-jährig, der Entdecker der ältesten Reinheitsgebotes für Bier.
Hubert Erzmann aus Weimar, inzwischen 83-jährig, der Entdecker der ältesten Reinheitsgebotes für Bier.
 
Die Originalfassung des Reinheitsgebots
Die Originalfassung des Reinheitsgebots
 

Das Reinheitsgebot für Bier wird heuer 500 Jahre alt.

Im Jahre 1516 hatte Bayernherzog Wilhelm IV genug vom gepanschten Bier und erließ für das Herzogtum Bayern die Verordnung, dass für Bier künftig nur Wasser, Malz und Hopfen Verwendung finden dürfen. Die Wirkungsweise der Hefe wurde erst später bekannt. Seitdem lassen sich die Bayern für diesen Geistesblitz des Adeligen feiern. Zu Unrecht wohlgemerkt - wie sich inzwischen herausgestellt hat. Die Urheberschaft für das älteste Lebensmittelgesetz gebührt nicht den Bajuwaren, sondern zwei Kommunen in Thüringen. Doch der Reihe nach.

Eigentlich suchte der pensionierte damals 69-jährige Bauingenieur, Hobbyhistoriker und bescheidene Münzsammler Hubert Erzmann im Dezember des Jahres 2000 im Weimarer Stadtarchiv nach Münz- oder Prägestätten dieser Stadt. Da fiel ihm das "Bürgerbuch" von 1348 in die Hände. Damit begann die Suche. Aber die Aufzeichnungen gingen in ganz andere Richtungen. Sie befassten sich zunächst mit lebensmittelrechtlichen Verordnungen. Auf der fünften Seite gab es Direktiven zur Herstellung von Wurst. Die sechste Seite begann mit dem Titel "Von bruwern und fremden getrencke, wher das einlegt".

Man muss wissen, dass das Lesen von Schriftstücken aus dem 14. Jahrhundert äußert schwierig ist. Das betrifft sowohl die mitteldeutsche Schreibschrift als auch die Ausdrucksweise und Wortwahl jener Zeit. Als Erzmann das Dokument schließlich transkribiert hatte, traute er seinen Augen nicht. Obwohl nicht vom "Bierfach" und nachdem er den Text mehrmals genau überprüft hatte, ahnte der die Sensation: Er hatte das älteste bekannte Reinheitsgebot für Bier entdeckt. In freier Übersetzung stand da zu lesen: "Auch soll kein Brauer etwas anderes zu seinem Bier nehmen als Malz und Hopfen, keinen Steinwurz - und auch kein Harz; wer diese geschriebene Vorschrift nicht einhält, der büße eine lötige Mark". Eine "lötige Mark" war übrigens viel Geld und entsprach 267 Gramm Silber. Damit war es amtlich: Das älteste Reinheitsgebot für Bier stammt aus Weimar und zwar aus dem Jahre 1348.

Erfreut und pflichtgemäß wurde Erzmann natürlich sofort bei OB Volkhard Germer vorstellig. Zu Erzmanns Erstaunen erließ das Stadtoberhaupt eine Nachrichtensperre. Die Sensation sollte erst zum Archivtag am 20. Mai 2001 präsentiert werden. Die Entdeckung würdigte auch die Bild-Zeitung am 19.Mai 2001: "Rentner fand das älteste Reinheitsgebot der Welt". Die Überraschung am Archivtag war gelungen. Nur Germers Bürgermeisterkollege aus Weißensee, Peter Albach, schluckte gewaltig. Sollte der Anspruch Weißensees, das älteste Reinheitsgebot für Bier zu besitzen passee sein? Immer noch zweifelnd und zähneknirschend gratulierte er dem Weimarer Stadtoberhaupt. Lächelnd und mit dem Schalk im Auge entgegnete Germer, dass man diese neue Erkenntnis "gnadenlos vermarkten" werde. Dies ist bis heute nicht geschehen. Die Weimarer können mit anderen Pfunden wuchern.


Reinheitsgebot hat sich über lange Zeit bewährt

Aber auch schon vorher hatte Thüringen den Ton in punkto Reinheitsgebot angegeben. Sehr zum Ärger der Bayern. In der nordthüringischen Stadt Weißensee hatte man in der "Statuta thaberna" von 1434 über Wirtshausregeln und das Brauen von Bier das Reinheitsgebot entdeckt, das 82 Jahre älter war, als jenes in den süddeutschen Gefilden. Im Artikel 12 heißt es: "Es soll auch nicht in das Bier weder Harz noch keinerlei andere Ungefercke (gefährliche Stoffe). Dazu soll man nichts anderes geben, als Hopfen, Malz und Wasser."

Also das Reinheitsgebot - deutlicher geht's nicht. Es wurde zum "Tag des Bieres" am 24. April 1998 publik gemacht. Das war auch ein Fressen für die Zeitungen. Die Thüringer schreiben: " "Bayern Bierbrauer schäumen", oder "Weißensee versetzte gestern Bayern in helle Aufregung". Auch der Spiegel ("Kampf um die Quelle") oder die FAZ nahmen sich dieses Themas an. Der Bayerische Brauerbund sprach von einer "rein lokalen Bestimmung", die zudem "nur begrenze Zeit" eingehalten worden sei.

Ganz einerlei welche Stadt oder welcher Region das Reinheitsgebot zugeordnet wird, es hat sich über Jahrhunderte bewährt und ist ein Segen für die Deutsche Brauwirtschaft. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Verordnung auf Bayern als "Bayerisches Reinheitsgebot" begrenzt, bis der Norden und Sachsen nachzogen. Als letzte kamen Baden 1896 und Württemberg im Jahre 1900. Somit wurde das bayerische zum deutschen Reinheitsgebot. Die Weimarer Republik übernahm das Reinheitsgebot ebenfalls, allerdings erst auf Druck des Freistaates Bayern, denn er erklärte, er werde der Republik erst dann beitreten, wenn das Reinheitsgebot im gesamten Gebiet der Republik gelte.

Es gibt 194 selbständige Staaten auf der Erde. Die Länder, die nach dem deutschen Reinheitsgebot brauen, sind an den Fingern einer Hand abzuzählen. Nicht einmal unser Nachbarstaat Österreich fühlt sich daran gebunden. Die Vorschrift gilt jedoch in der ehemaligen deutschen Kolonie "Deutsch-Südwest", dem heutigen Namibia. Und dort ist man stolz auf diese Brautradition. Dass auch in Griechenland das Reinheitsgebot eingeführt und geachtet ist, verdanken die Helenen einem Wittelsbacher, also einem Bayern. Otto I. avancierte im Jahre 1832 zum König von Griechenland. In seinem Gefolge brachte er natürlich auch seinen Braumeister mit: Karl Fuchs. Dessen Sohn gründete einige Jahre später die Athener Brauerei "Fix". Zum Reinheitsgebot bekennen sich seit einigen Jahren auch Norwegen und die Schweiz. Das ist alles.


Aktuell 1350 Brauereien in Deutschland

Keine der derzeit 1350 Brauereien in Deutschland würde es heutzutage wagen, gegen die Bestimmungen des Reinheitsgebots zu verstoßen. Zu schlimm wäre der Prestige- und Ansehensverlust. Auf Grund der heutigen modernen Technik kommen alle Biere mit langer Haltbarkeit in Fass und Flasche. Die Farbe des Gerstensaftes bestimmt eine ausgefeilte Malztechnik.

Aber hielt man sich über die Jahrhunderte immer strikt an das Gebot? Wenn man sich plus/minus 250 Jahre zurückversetzt, gab es andere Verhältnisse. Die vielen kleinen Brauereien in Stadt und Land. Wie leicht konnte es da passieren, dass ein Sud verdarb. Oder dass das alternde Bier im Lagertank umzukippen drohte, weil man es nicht mehr recht an den Mann bringen konnte, weil der Nachbar ein neues frisches Bier am Hahn hatte. Der drohende Verlust konnte einen kleinen Brauer hart treffen.

Ausgerechnet in Bayern wurden in den Fachzeitungen Stoffe und Beigaben angeboten, die eindeutig gegen das herrschende Reinheitsgebot verstießen. Der "Bayerische Bierbrauer" offerierte in seinen Ausgaben des Jahres 1872 folgende Zusatzstoffe: "Siegerist'sche Klärmittel gegen schal, sauer und trübe gewordene Biere", oder "schweflichsaueren Kalk, zur Sicherung vor Stich und zur Haltbarmachung der Biere als Beigabe zum ausgegorenen fertigem Biere, oder "als bestes Klärungsmittel Tannin, chemisch rein". Schließlich wird den Brauern "Glycerin, chemisch rein" angeboten oder Gelatine und Hausenblase". Anmerkung: Hausenblase ist die getrocknete Schwimmblase der Hausen, einer Störart, also Fisch. Eigentlich eine richtige Sauerei.

Den Vogel schossen vor rund 120 Jahren die Kulmbacher ab. Damals eine der größten Bierstädte des Deutschen Reiches, fügten sie ihrem weltbekannten tiefdunklen, reich alkoholhaltigen und mit einer lieblichen Note versehenen "Culmbacher" unerlaubt Zucker- oder Bier-Couleur zu. Damit verschafften sie sich einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil. Diese Beigabe ist eigentlich etwas ganz Banales. Sie ist Natur und besteht aus gebranntem Stärkezucker, aber eben nicht erlaubt. Der Prozess wurde den Kulmbacher Brauerei im Februar 1901 vor dem Landgericht zu Bayreuth gemacht. Nach Urteilsverkündung verloren sie über vierzig Prozent ihres bedeutenden und lebenswichtigen Exportumsatzes.


Zusatzstoffe in Zeiten des Kalten Krieges erlaubt

Mangels Ressourcen wurden in der Zeit des Kalten Krieges bis zur Wiedervereinigung in der ehemaligen DDR eine ganze Reihe von Zusatzstoffen erlaubt. Wie es sich für einen totalitären Staat gehört, waren diese jedoch genau reglementiert. Hier regelte die TGL 7764 bis zur Wende am 3. Oktober 1990, welche Beimischungen zum Brauen zugelassen waren. Neben Wasser, Malz und Hopfen waren das auch Gerstenrohfrucht, Riesgrieß, Maisgrieß, Zucker, Stärkecouleur, Natriumsacharin, Pepsinkonzentrat, Milchsäure, Salz, Tannin, Kieselgelpräparate und Ascorbinsäure. Entgegen oft landläufiger Meinung war dagegen der Zusatz von Rindergalle nie ein Thema.

Auf Grund einer Klage der EWG-Kommission 1984 entschied er Europäische Gerichtshof am 12. März 1987, dass das Verbot, ausländische Biere, die nicht nach den deutschen Regeln hergestellt wurden, in Deutschland unter der Bezeichnung "Bier" zu verkaufen, gegen die Warenverkehrsfreiheit des EWG-Vertrages verstößt. Mit anderen Worten: In Deutschland hergestellter Gerstensaft darf nur als "Bier" bezeichnet werden, wenn er nach den Regeln des Deutschen Reinheitsgebotes gebraut worden ist. Ausländische Biere, die nach Deutschland eingeführt werden, dürfen auch als "Bier" bezeichnet werden, wenn sie andere Stoffe enthalten.

Wenn also in der Gasthausbrauerei "Felsenkeller" in Weimar die findigen und kreativen Braumeister Klaus Schmidt und Marcel Wohlberecht ihren Gästen etwas Besonderes kredenzen wollen und in einen ihrer Sude entweder Kartoffelstärke oder Honig beimischen, dann dürfen diese Leckereien nicht als Bier bezeichnet, sondern müssen mit dem Kennzeichnung "Honigtrunk" oder "Kartoffeltrunk" versehen werden. Gleiches gilt für die Bergquell-Brauerei Löbau in der Lausitz. Auf dem Etikett ihres "Lausitzer Porter" musste auf die Bezeichnung "Bier" verzichtet werden, weil der Inhalt dieses schwarzen Erzeugnisses nachgesüßt wurde.

Die fehlende Bezeichnung macht der bekannten Marke keinen Abbruch. Sie ist in Fachmärkten bundesweit vertreten. Mehr Durchsetzungsvermögen hatte die Klosterbrauerei Neuzelle in Brandenburg. Der "Schwarze Abt" seit über 400 Jahren nach einer Rezeptur gebraut, die auch Zucker enthält, darf weiterhin die Bezeichnung "Bier" führen. In einem 13 Jahren andauernden Rechtsstreit entschied schließlich das Bundesverwaltungsgericht zu Gunsten der Klosterbrauerei und gegen das klagende Land Brandenburg.


Ausnahmegenehmigungen für "besondere Biere"



Was als "Bier" bezeichnet werden darf, regelt die Bierverordnung (BierV) von 2005. Besonders strenge Vorschriften gibt es für untergärige Biere. Und die BierV sieht nun auch plötzlich Ausnahmegenehmigungen für "besonders Biere" vor. Diese Möglichkeit nutzte die "Köstritzer Schwarzbierbrauerei". In den Sud für ihre obergärige neue helle "Weizenbierspezialität" und "inspiriert von belgischer Brautradition", dürfen nun auch getrocknete Orangenschalen und Koriander beigegeben werden!

Die deutschen Biertrinker schwören auf ihr Reinheitsgebot. Gerade in der heutigen Zeit wo ein Lebensmittelskandal den anderen in unsere Lande ablöst, kann das heimische Bier ohne Bedenken verzehrt und genossen werden. Ausländische Biere spielen in Deutschland kaum eine Rolle. Der Bierimport liegt bei bescheidenen 2,5 Prozent. Allein aus den Zutaten Wasser, Malz und Hopfen zaubern die rund 1.350 Brauereien in Deutschland. Sie brauen rund 5.500 verschiedene Marken. Und jede ist anders, vom lichten hell, über bernsteinfarben, mittelbraun bis tiefdunkel, vom alkoholfreien und leichten Bier über Pils, Export, Weizen bis hin zu den alkoholreichen Bock- und Doppelbockbieren. Dazu Spezialbiere wie Kellerbier, Zwickl, Rauch- oder Steinbier bis hin zum Eisbock.