AOK kündigt 90-jähriger Frau aus Enchenreuth

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Hausarzt Dr. Reinhard Baar hat eine 90-jährige Patientin, die aus der hausarztzentrierten Versorgung "ausgeschrieben" worden ist. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die AOK die Zahlung übersehen hat. Natürlich wird die Frau weiterhin berücksichtigt. Foto: Sonja Adam
Hausarzt Dr. Reinhard Baar hat eine 90-jährige Patientin, die aus der hausarztzentrierten Versorgung "ausgeschrieben" worden ist. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die AOK die Zahlung übersehen hat. Natürlich wird die Frau weiterhin berücksichtigt. Foto: Sonja Adam

Einen ziemlichen Schrecken bekam Lina Hohenberger aus Enchenreuth, die Patientin von Dr. Baar in Presseck ist. Sie wurde aus der sogenannten hausarztzentrierten Versorgung der AOK Bayern "hinausgeworfen". Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Die Krankenkasse hat sich inzwischen auch entschuldigt.

Als Lina Hohenberger vor wenigen Tagen ein Schreiben der AOK bekam, war die rüstige 90-Jährige ziemlich aufgeregt. In dem Brief, den die Helmbrechtser Filiale der Krankenkasse abgeschickt hatte, stand, dass die Enchenreutherin in Zukunft nicht mehr an der hausarztzentrierten Versorgung der AOK Bayern teilnehmen darf.
"Sie nehmen am Hausarztvertrag der AOK Bayern mit dem Bayerischen Hausärzteverband teil. Die hausarztzentrierte Versorgung kann gewählt werden, wenn keine offene Zahlung besteht. Nach unseren Unterlagen ist bei Ihnen noch eine Forderung in Höhe von 20 Euro offen. Ihre Teilnahme endet deshalb am 31. März 2015", hieß es. Und: Für die 90-Jährige sei eine erneute Einschreibung nicht mehr möglich, fügte die AOK noch hinzu.

Weniger Geld für den Arzt

Lina Hohenberger fiel aus allen Wolken. Sie rief ihren Hausarzt Dr. Reinhard Baar in Presseck an und ließ sich erst einmal erklären, was das Schreiben überhaupt bedeutet. Denn natürlich ist die Enchenreutherin nicht aus der Krankenkasse geworfen worden, sondern "nur" aus der hausarztzentrierten Versorgung. Das bedeutet: Die medizinische Betreuung ist nicht in Gefahr. Aber durch die Beendigung des Vertrags bekommt der Hausarzt, der die Frau regelmäßig bei Hausbesuchen betreut und auch weiter versorgen wird, nicht mehr den erhöhten Leistungssatz, sondern nur noch den normalen für Kassenpatienten. "Das macht ganz schön etwas aus. Man ärgert sich natürlich als Arzt, wenn eine Patientin ,ausgeschrieben' wird", sagt Baar.

Die Seniorin konnte sich auf das Schreiben keinen Reim machen. "Ich habe doch immer alles bezahlt." Sicherheitshalber hat sie die "offenen" 20 Euro sofort noch einmal überwiesen. Die Krankenkasse vor Ort wollte keinen Kommentar abgeben. Sie verwies an die übergeordnete Stelle und diese wiederum an die Pressestelle der AOK Bayern in München. "Am 3. Februar ist der Frau eine Rechnung zugestellt worden", sagt Pressesprecher Michael Leonhart zu dem Fall. Bereits zwei Wochen später wurde die Seniorin ausgeschrieben. Mahnungen habe es nicht gegeben, bestätigt die AOK. Denn auf der Rechnung habe ein Zahlungsziel gestanden.

Tatsächlich wird die Enchenreutherin Ende März "ausgeschrieben", also aus der hausarztzentrierten Versorgung hinausgeworfen. Möglicherweise besteht ab 1. April wieder die Möglichkeit, sie neu aufzunehmen. "Aber bis die Vereinbarung wieder greift, dauert das dann auch ein Vierteljahr", prangert der Hausarzt an.
Ob ab 1. April tatsächlich wieder eine Chance besteht, ist aber noch lange nicht gewiss, wie der AOK-Pressesprecher zugeben muss. Denn aktuell verhandeln die Krankenkasse und der bayerische Hausärzteverband. "Niemand weiß, ob es bis 1. April einen neuen Vertrag geben wird", sagt die AOK. Aktuell sind deutschlandweit 3,2 Millionen Menschen in der hausarztzentrierten Versorgung.

Die Hausärzte bekommen für solche Patienten mehr Geld - bis zu ein Drittel mehr. Die Hausärzte machen Medikamentenberatung, bündeln die Behandlung. "Die AOK Bayern hat 500 000 Menschen in der hausarztzentrierten Versorgung, das entspricht rund 16 Prozent - und das, obwohl wir nur einen Marktanteil von acht Prozent haben", erläutert der Pressesprecher und betont, dass sich die AOK immer für die Idee, Hausärzte als Lotsen einzusetzen, stark gemacht habe.

"Es gab Spannungen"

Seit 2008 habe die AOK 1,1 Milliarden Euro an die bayerischen Hausärzte weitergereicht. Doch dann habe es mit dem Verband Spannungen gegeben. Eine Schlichtungsstelle sei eingeschaltet und ein Aufnahmestopp für die hausarztzentrierte Versorgung verhängt worden.

Leonhart beteuert, dass es sich bei der Neunzigjährigen um einen bedauerlichen Einzelfall handelt. Dies kann der Pressecker Hausarzt Dr. Reinhard Baar jedoch nicht bestätigen. Nur die Hälfte seiner Patienten sei aktuell in der hausarztzentrierten Versorgung. Und auch die Tatsache, dass schon seit einem Jahr keine neuen Patienten aufgenommen werden können, prangert der Mediziner an. Durch Initiativen der Krankenkassen und weil die Menschen gar nicht genau wissen, welche Auswirkungen eine hausarztzentrierte Versorgung für den Arzt hat, seien ihm allein im vergangenen Jahr rund 50 Patienten aus dem System herausgefallen und teils auch freiwillig ausgetreten.
Dr. Baar hofft, dass der Schiedsspruch zwischen AOK und Hausärzteverband gelingt und seine betagte Patientin bald wieder eingegliedert wird.

Die AOK entschuldigt sich

Durch die Recherchen der Bayerischen Rundschau kam heraus, dass es sich bei dem Fall der Enchenreutherin von Anfang an um einen bedauerlichen Irrtum gehandelt hat. Denn Lina Hohenberger hat ordnungsgemäß bezahlt. "Wir haben einen Zahlungseingang. Allerdings - und das ist sehr bedauerlich - wurde dieser beim internen Abgleich übersehen. Die Versicherte erhält das überzahlte Geld zurück. Wir entschuldigen uns in aller Form bei der Versicherten. Sie nimmt selbstverständlich weiterhin an der hausarztzentrierten Versorgung teil", teilt AOK-Pressesprecher Michael Leonhart mit.