Wenn die Ausbildung plötzlich warten muss

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Bis zum 30. April müssen zwei von Elvira Weschtas Schützlingen dem Landratsamt Dokumente vorlegen, die ihre Identität klären. Dazu fordert sie dieser Brief des Landratsamtes auf. Doch weil die Botschaft von Mali eher langsam arbeitet, wird die Frist nur schwer einzuhalten sein. Foto: Marian Hamacher
Bis zum 30. April müssen zwei von Elvira Weschtas Schützlingen dem Landratsamt Dokumente vorlegen, die ihre Identität klären. Dazu fordert sie dieser Brief des Landratsamtes auf. Doch weil die Botschaft von Mali eher langsam arbeitet, wird die Frist nur schwer einzuhalten sein. Foto: Marian Hamacher
Längst fühlt sich Malik in Fischbach und bei Elvira Weschta heimisch. Im September möchte er er eine Ausbildung beginnen. Foto: privat
Längst fühlt sich Malik in Fischbach und bei Elvira Weschta heimisch. Im September möchte er er eine Ausbildung beginnen. Foto: privat
 

Elvira Weschta hat in Fischbach junge Flüchtlinge aufgenommen. Zwei von ihnen könnten nun eine Ausbildung beginnen - doch das gestaltet sich schwierig.

Und dann waren sie da. Drei Taxen zwängten sich dicht hintereinander durch die engen Straßen Fischbachs. Ihr Ziel: der Landgasthof Söllner. Vor der Tür warteten schon Besitzer Richard Söllner und dessen Lebensgefährtin Elvira Weschta ungeduldig. "Ich bin mit 55 noch einmal Mutter von 15 Kindern geworden", sagt die inzwischen 57-Jährige. "Das war der 11. August 2015 um exakt 15.30 Uhr." Details, die sich Eltern eben merken.

Als die jugendlichen Flüchtlinge aus den Fahrzeugen stiegen, sei das für diese schon eine Art Kulturschock gewesen, erinnert sich Weschta: "Die wollten erst gar nicht aussteigen, sie kamen ja schließlich fast alle aus afrikanischen Großstädten - und dann landen sie in Fischbach." Von einem Extrem ins andere. "Wir wussten nicht, was auf uns zukommt, und die wussten nicht, was auf sie zukommt", sagt die Pflegehelferin. Etwa acht Wochen habe es schon gedauert, ehe sich beide Seiten angenähert hatten. Lernten, sich zu vertrauen.


Erwerbstätigkeitsverbot

Dass ihre "Kinder" inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern sogar in Fischbach bleiben wollen, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit am Duo Weschta/Söllner. Ursprünglich nur vom Jugendamt angefragt, ob sie es sich vorstellen könnten, sogenannte unbegleitete Flüchtlinge in ihrem Gasthof aufzunehmen, interpretierten beide ihre Rolle weiter. Viel weiter. Es sind ihre Schützlinge - die sie zu Ärzten und Behörden begleiteten oder für die sie einfach ein offenes Ohr haben, wenn Erinnerungen aus zum Teil mehreren Jahren Flucht hochkommen.
Kontakt hat Elvira Weschta noch zu fast allen der 15 Flüchtlinge, die vor knapp zwei Jahren nach Fischbach kamen. Einige sind nun in Pflegefamilien gelandet, sind mit ihren Familien in Deutschland wieder zusammengeführt worden oder mussten das Land wieder verlassen. Derzeit leben noch sieben im Landgasthof.

Zwei von ihnen sind Abuh (23) und Malik (18). Beide aus Mali. Im Sommer machen sie ihren Abschluss an der Lorenz-Kaim-Berufsschule. Wie es weitergeht, steht bereits fest. Besser gesagt: könnte bereits feststehen. Denn die Verträge für eine Ausbildung zum Maurer und Dachdecker sind bereits unterschrieben. Beginnen dürfen sie diese aber nicht. "Asylbewerber im laufenden Verfahren unterliegen grundsätzlich einem Erwerbstätigkeitsverbot", erklärt Hardy Hanuschke, Leiter der Abteilung für Ausländer- und Personenstandsrecht im Landratsamt.

Zwar war die Anhörung von Abuh und Malik schon vor sieben Monaten, entschieden ist über den Asylantrag aber noch nicht. Unter bestimmten Voraussetzungen könne einer Ausbildung dennoch zugestimmt werden. Das sei eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde. "Es gibt keine Matrix, kein Schema, nach dem entschieden wird", so Hanuschke. "Es fließen viele Punkte in die Bewertung ein, die von Fall zu Fall abgewogen werden." Faktoren seien unter anderem der Stand des Asylverfahrens, die Identitätsklärung des Betroffenen, die Bleibewahrscheinlichkeit, Deutschkenntnisse oder etwaige Straffälligkeit.

Bei Malik verhindern derzeit offenbar vor allem fehlende Ausweisdokumente, dass er seine Ausbildung beginnen kann. Bis Sonntag gibt ihm das Landratsamt noch Zeit, diese vorzulegen. "Diese Frist können wir aber gar nicht einhalten", sagt Weschta. Dafür arbeite die Botschaft von Mali in Berlin viel zu langsam und zeige sich wenig kooperativ. Unmöglich ist die Ausbildung aber auch nach Ablauf der Frist nicht. "Dann müssen wir sehen, was passiert", sagt Hanuschke, der aus Datenschutzgründen nicht auf Einzelfälle eingehen kann.


"Es ist frustrierend"

Eine erste Frist werde gesetzt, damit die Antragsteller in dieser Zeit an Verwandte herantreten und sich per Luftpost Dokumente schicken lassen können. "Die langjährige Erfahrung zeigt, dass es nicht immer der Wahrheit entspricht, dass Dokumente fehlen. Die werden dann noch kurzfristig nachgereicht." Für Malik fällt die Möglichkeit, Verwandte um Hilfe zu bitten, jedoch aus. "Seine Mutter ist von Boko Haram ermordet worden, sein Vater von einer der Konflikparteien", erklärt Richard Söllner.

Dem 18-Jährigen bleibt daher nur übrig, auf Nachricht aus der Botschaft zu warten. Elvira Weschta wünscht sich, dass die beiden jungen Männer dennoch ihre Ausbildung beginnen dürfen. "Es ist frustrierend, dass Millionen Euro an Steuergeldern ausgegeben werden, um die Flüchtlinge unterzubringen, sie dann aber keine Chance haben, etwas zurückzugeben", ärgert sich die Flüchtlingshelferin.

Dem Landratsamt gebe sie keine Schuld, das könne sich schließlich auch nur an Vorgaben halten. "Es muss bei der Politik ganz oben etwas passieren."

Kommentar von Marian Hamacher: Fingerspitzengefühl ist gefragt

Die Situation ist schwierig - für alle Seiten. Für den Staat, die Gesellschaft - erst Recht für Flüchtlinge und die Menschen, die sich tagtäglich für sie einsetzen: Menschen wie Elvira Weschta und Richard Söllner. Beide suchen für die ungewisse Ausbildungsfrage aber nicht die Schuld beim Landratsamt. Zurecht. Nach dem starken Zustrom von Asylbewerbern ab 2015 entstanden Herausforderungen, die bis zu diesem Zeitpunkt selten bis nie vorkamen.

Inzwischen sind die damals meist minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge in ein Alter gekommen, in dem sie auch an eine berufliche Zukunft denken. Klar: nicht alle Flüchtlinge können in Deutschland bleiben. Über ihren Status muss aber so schnell wie möglich entschieden werden. Auch, um ihnen Planungssicherheit zu geben. Denn nichts ins schlimmer, als zum Zuschauen verdammt zu sein, monatelang auf den Tag X warten zu müssen. Hier müssen die Behörden bei allem Druck Fingerspitzengefühl bewahren.