Verteidiger nimmt auf der Anklagebank Platz
Autor: Heike Schülein
Kronach, Mittwoch, 14. November 2012
Ein Rechtsanwalt, der inzwischen seine Zulassung verloren hat, wurde wegen Untreue in 119 Fällen zu einer Bewährungsstrafe und zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Der Mann hatte Gelder nicht an seine Mandanten weitergeleitet. Es entstand ein Schaden von 56.000 Euro.
Eine Verhandlung aus anderer Perspektive erlebte am Mittwoch ein Beschuldigter vor dem Schöffengericht Kronach. War der Jurist sonst mit der Vertretung seiner Mandanten beauftragt, musste er nun einen Stuhl weiter Platz nehmen. Untreue in 119 Fällen lautete die Anklage. Hierfür wurde er von Richterin Claudia Weilmünster zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Zudem muss er 100 Sozialstunden leisten.
45 Minuten - Manche Verhandlungen sind nach dieser Zeit schon beendet. Am Mittwoch brauchte Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein so lange allein zum Verlesen der Anklageschrift. Auch auf ihrem Tisch im Gericht türmten sich dicke Akten-Ordner. Die Anklage hatte es aber nicht hinsichtlich des Umfangs in sich.
119 Mal - von 2002 bis 2008 - soll der ehemalige Rechtsanwalt im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eingehende Fremdgelder in Höhe von rund 56.000 Euro auf seinen Rechtsanwaltskonten vereinnahmt und nicht weitergeleitet haben. Hierbei handelte es sich vor allem um zivilrechtliche Angelegenheiten, insbesondere um die Geltendmachung von Schadensereignis- und Schmerzensgeldansprüchen aus Anlass von Verkehrsunfällen und sonstigen Schadensereignissen.
Der Angeschuldigte hatte aufgrund seiner desolaten finanziellen Situation die überwiesenen Beträge nicht, verspätet oder nur in Teilbeträgen an die Mandanten weitergeleitet. Dabei ging es um Einzelbeiträge von 30 Euro bis zu 6500 Euro. Eine Mitteilung über eingehende Zahlungen erhielten die Auftraggeber nur sporadisch, eine Abrechnung von abgewickelten Aufträgen erfolgte ebenfalls nur in Einzelfällen. Mandanten, die nach dem Sachstand fragten, wurden vertröstet oder hingehalten. Die Fremdgelder verwendete der Rechtsanwalt, gegen den zwischen 2004 und 2008 insgesamt 24 Vollstreckungsaufträge vorlagen, um private Löcher zu stopfen .
Kein böser Wille
Der bislang unbescholtene Anwalt, der von Pflichtverteidiger Thomas Leidner verteidigt wurde, räumte den Tatvorwurf ein. "Das ist alles richtig. Die Zahlen stammen ja aus meiner Buchhandlung. Es wäre schlecht, wenn das falsch wäre", meinte er. Teilweise seien Rückzahlungen erfolgt.
Seine finanzielle Situation sei sehr eng gewesen. Ein Knackpunkt für sein Tun sei die nicht "unter normalen Verhältnissen" erfolgte Auflösung der Kanzlei-Sozietät gewesen. "Die Mandanten fehlten. Dazu gab es Mandanten, die nicht zahlten. Gleichzeitig wollten Banken und Angestellte bedient werden", verdeutlichte der Angeklagte. Ein "großer" Mandant sei ihm viel Geld schuldig geblieben. Im Nachhinein habe sich rausgestellt, dass dieser von Anfang an pleite gewesen sei.
Kriminelle Energie
"Das wurde alles zum Selbstläufer. Es war kein böser Wille und lag nicht in seinem Bestreben, Mandanten zu schaden. Er hat von allen Beteiligten sicherlich am meisten gelitten, da es sich bei den Mandanten teilweise um langjährige Freunde handelte", so der Verteidiger. Die Staatsanwältin entgegnete: "Ihr Mandant hat langjährige Freundschaften missbraucht." Die Mandanten hätten immer wieder nachgefragt und es sei nichts passiert.
Einer dieser "langjährigen Freunde" - gleichzeitig größter Gläubiger - war es dann auch, der den Angeklagten bei der Polizei angezeigt hat. Dabei sei - so der Polizeisachbearbeiter - eine Summe von 25 000 Euro im Raum gestanden. Beim Durchsuchungsbeschluss habe er den Angeklagten gefragt, ob es weitere Fälle gebe, was dieser verneint habe. Die sichergestellten 240 Handakten und Kontoauszüge hätten aber eine andere Sprache gesprochen.
Die Spirale dreht sich
"Ich versuche, wieder auf die Beine zu kommen. Das ist in meinem Alter und bei meiner Vorgeschichte nicht einfach. Die Anwaltszulassung habe ich nicht mehr. Ich bin aber dabei, mich in einer anderen Branche selbständig zu machen", bekundete der Hartz-IV-Empfänger. Er bemühe sich um Rückzahlung der Forderungen. Dafür müsse er aber Geld verdienen.
"Die Spirale dreht sich. Irgendwann ist man drin. Gelegenheit macht Diebe und nichts ist so verführerisch wie fremdes Geld", war sich die Oberstaatsanwältin in ihrem Plädoyer sicher. Dass Mandanten nicht zahlten, sei Geschäftsrisiko. Die Umstände rechtfertigten nicht, fremde Gelder einzubehalten und blindes Vertrauen zu missbrauchen. Der Angeklagte sei, indem er sich einzelne Mandanten herausgepickt und andere Fälle ordnungsgemäß abgewickelt habe, durchaus planmäßig vorgegangen. Eine Schadenswiedergutmachung stehe in den Sternen. Sie forderte eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren sowie das Ableisten von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Verteidiger Leidner betrachtete eine Bewährungsstrafe von einem Jahr als angemessen. Zudem bat er, von Arbeitsauflagen abzusehen. Das Schöffengericht folgte der Forderung der Oberstaatsanwältin vollumfänglich. Die Richterin sprach in ihrem Urteil von krimineller Energie und einem Missbrauch seiner Vertrauensstellung. "Ein Urteil muss man spüren. 100 Arbeitsstunden innerhalb von sechs Monaten sind durchaus zu schaffen", meinte sie.