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Sie hat Multiple Sklerose, er pflegt sie: Dieses Paar aus Kronach genießt das Leben trotzdem


Autor: Andreas Schmitt

Gehülz, Freitag, 26. Oktober 2018

Daniela und Frank Rauh genießen ihre gemeinsamen Stunden, obwohl diese ihnen alles abverlangen. Sie hat Multiple Sklerose, er pflegt sie selbst.
Daniela und Frank Rauh aus dem Kronacher Stadtteil Gehülz entspannen mit ihrem Hund Cookie am liebsten auf ihrem  Balkon. Foto: Andreas Schmitt


"Für uns ist nur die Gegenwart wichtig. Wir versuchen, den Moment zu leben", sagt Frank Rauh. Nein, der 46-Jährige und seine Frau Daniela (44) aus dem Kronacher Stadtteil Gehülz sind eigentlich nicht das Paar, das man klassischerweise im Rahmen einer Serie über Vorsorge erwarten könnte.

Zwar leidet Daniela Rauh an der unheilbaren Krankheit Multiple Sklerose (MS), was den Alltag der Eheleute komplett bestimmt. Das, was eventuell kommen mag - eine Verschlimmerung oder gar der Tod, spielt im Denken des Paares aber nur eine untergeordnete Rolle. Lieber beschäftigen sich Daniela und Frank mit dem Leben und denken daran, was die gemeinsame Zeit für sie im besten Fall bereithält.

Tolle gemeinsame Reisen

"Unsere Leidenschaft ist das Reisen", sagt Daniela, die in ihrem alltäglichen Tagesablauf nur selten aus der Wohnung kommt.

Mehrfach schon haben die Rauhs Danielas in den USA lebende Schwester besucht - inklusive einer Tour an der kompletten Ostküste entlang und eines Hubschrauberfluges über New York. "Der Aufwand wegzukommen, ist riesig", sagt Frank. Aber nicht wegfahren ist für sie auch keine Option. "Im Urlaub ist immer alles schön", sagt Daniela. Erst im Juni waren die beiden und ihr Hund Cookie mit dem Auto in Caorle an der italienischen Adriaküste. Auch Spanien, Nordafrika und einige andere Ziele haben sie schon angesteuert.

Kennengelernt haben sich Daniela und Frank 1991 bei einer Feier in der Diskothek "Brünnla" in Rothenkirchen. "Seitdem hängen wir wie Seelenverwandte eigentlich immer zusammen", sagt Frank Rauh. 1999 wurde standesamtlich, zehn Jahre später noch einmal kirchlich geheiratet.

Die Diagnose MS erhielt Daniela 1990. Anfangs war von der Krankheit wenig zu sehen - lediglich leichte Sehnerventzündungen hatte Daniela damals schon. Mit den Jahren wurde es aber schlechter. Seit 2000 sitzt sie im Rollstuhl.

Entschieden, selbst zu pflegen

Vor etwa fünf Jahren hat Frank Rauh dann eine weitreichende Entscheidung getroffen. "Ich habe zwar keine ruhige Minute. Aber ich fühle mich immer noch ruhiger, als wenn ich auf die Arbeit gehe und nicht weiß, ob es Dani gutgeht", erklärt der 46-Jährige, warum er seine Frau weitgehend selbst pflegt.

Und fügt einige Sätze später noch hinzu: "Es würde sicherlich nicht funktionieren, wenn ich sie nicht so lieben würde."

Der Tagesablauf der beiden könnte unterschiedlicher kaum sein. Frank hat Stress, Daniela hat viel Zeit. Um 4.20 Uhr steht er auf, macht zunächst sich und das Frühstück fertig. Um 5.50 Uhr weckt er dann seine Frau, übernimmt die Körperpflege, hilft ihr zum Beispiel beim Duschen und Zähneputzen.

Pfleger trotz 40-Stunden-Job

Und um 6.30 Uhr geht er dann auf die Arbeit. Denn Frank Rauh ist nur in der Freizeit Pfleger, arbeitet hauptberuflich 40 Stunden pro Woche bei der Stadt Kronach im Bauhof in leitender Position. "Ich habe ganz wenig Zeit. Leuten zu erklären, dass ich nicht mal schnell eine halbe Stunde habe, ist manchmal schwer." Das selbstständige Pflegen ist bei dem Paar aus der Not heraus geboren. "Das mit dem Pflegedienst war immer eine Hängepartie", sagt Frank Rauh, der seinen Arbeitgeber lobt. "Sollte etwas sein, kann ich immer weg und hole die Arbeitszeit dann nach."

Lediglich einmal am Tag kommt jetzt noch ein Pflegedienst um 10 Uhr nach Gehülz, hievt Daniela mittels eines Krans auf die Toilette. Frank übrigens hat dafür eine andere Technik, hebt seine Frau selbst nach oben.

"Ich finde die Pflege gut so", sagt Daniela - und schaut stolz zu ihrem Mann. Und der antwortet: "Sie hilft mir mit ihrer starken Persönlichkeit, indem sie immer positiv ist. Da fällt es leicht, weiterzumachen." Ansonsten bekommt Daniela vormittags noch Krankengymnastik, Lymphdrainage und Ergotherapie. Mittags kommt dann ihr Mann nach Hause.

Anschließend ist Daniela, die sich bewusst gegen Kinder entschied ("Für sie wäre meine Krankheit eine Zumutung gewesen.") viel allein. Ihr Zeitvertreib: Viele Telefonate mit Freundinnen, oft Leidensgenossinnen. Und Hörbücher. Einmal die Woche besucht sie zudem ihr Vater - dann stehen unter anderem Kreuzworträtsel an.

Viele Jüngere in Kronach und Umgebung kennen Daniela Rauh als Nachhilfelehrerin für Unter- und Mittelstufenschüler an den Gymnasien. Irgendwann jedoch war ihr das zu viel - und sie legte die Tätigkeit auf Eis. Wenn Frank Rauh gegen 17 Uhr von der Arbeit nach Hause kommt, bereitet er das Abendessen vor. Bis 21 Uhr kommt er kaum zur Ruhe. "Der Tag ist wirklich lange, es ist immer irgendetwas zu tun."

Die größte Angst des 46-Jährigen ist, dass mit ihm selbst etwas sein könnte. Er hat etwa einen Knorpelschaden im Knie - auch bedingt vom ständigen Stützen seiner Frau.

"Aber für die Schmerzen gibt es Schmerzmittel. Alles nicht so schlimm wie eine Operation, die für Daniela das Pflegeheim bedeuten würde", findet Frank Rauh.

Bewunderung ist eher Druck

"Genial, dass du das machst", sagt Daniela zu ihrem Mann, dem das Kompliment seiner Frau ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Wenn ihn andere Menschen darauf ansprechen, wie toll er alles mache, löst diese Bewunderung übrigens eher Druck bei ihm aus. "Daniela ist so lebensbejahend und froh. Nur dann kann man ein Stück von seinem Leben opfern."

Frank findet Ausgleich bei seiner Leidenschaft, dem Fotografieren, und bei Waldspaziergängen mit Hund Cookie. Genau das sind auch die Momente, in denen er über die Zukunft nachdenkt.

Finanziell kommt das Paar über die Runden, kann aber keine großen Sprünge machen. Daniela erhält 200 Euro Rente und Pflegegeld für Pflegegrad 5; dazu kommt das Einkommen von Frank. Gespartes gibt es nicht, die Lebensversicherung haben sie sich ausbezahlen lassen. "Wir leben im Hier und Jetzt", betont Frank. Deshalb haben sie bislang auch noch keine Patientenverfügung abgegeben.

Erst einmal liegt der Fokus noch auf gemeinsamen Urlauben. Die beiden wollen noch einige schöne Orte bereisen. Möglich ist das, weil sie für ihre Wohnung im Haus seiner Mutter nur Nebenkosten, aber keine Miete zahlen müssen. Über die Option, das Haus zu kaufen, hat Frank nachgedacht.

"Das wäre eine gute Altersvorsorge, aber ich müsste auch viel Freiheit hergeben", sagt er. Und diese Freiheit lebt das Paar, das sich einfach nicht unterkriegen lässt, jeden Tag aufs Neue - auch bei Konzertbesuchen. Vor kurzem erst fuhren sie nach Bayreuth. Dort spielten die "Toten Hosen".